Wendys zweiundzwanzigstes virtuelles
Abenteuer
Wendy wachte auf der Matratze von Enzo auf. Er hatte nicht
bemerkt, wie dieser aufgestanden war. Als er fertig gefrühstückt hatte, kam
Jella und teilte ihm mit, was für diesen Tag anstand. Nach dem Erlebnis in der
Nacht, besann sich Wendy auf seine Verbindung zur Astoria-Schule. Ihm fiel ein,
dass er vor kurzem einen Aufruf der Schule gesehen hatte, man möge den
Eingangsbereich jäten. Als Jella wie üblich am Morgen ihm auftrug, was er zu
tun hatte, ging er gar nicht darauf ein. Er hörte ihr nicht mal zu. Er zog sich
alte Kleider an und teilte ihr mit, dass er vor der Astoria-Schule jäten werde.
Jella zog sich erzürnt zurück.
Der Eingangsweg führte mit zwei Knicken u-förmig durch den
Vorgarten zur Schule. Wenn ein Zugangsweg, den man täglich zu gehen hat, durch
einen Garten verlängert wird, dann sollte dieser auch gepflegt werden. Deshalb
wohl die dringende Bitte an Eltern und Freunde der Schule, man möge den
Vorgarten pflegen.
Schon beim ersten Stück außen, gesellte sich die
Gartenbau-Lehrerin zu ihm und unterstützte ihn. Er war froh, denn so genau
kannte er sich mit den Pflanzen nicht aus. So konnte er fragen, wenn er
unsicher war, ob es sich um eine Zierpflanze oder um Unkraut handelte. Sie
schien seinen Einsatz sehr zu schätzen und sagte es auch.
„Dass Sie als Ehemaliger sich einsetzen, finde ich ja toll.“
„Und mich freut, dass Sie es annehmen können“, entgegnete Wendy.
„Ja, das ist ja selbstverständlich“, meinte sie.
„Hm, ich habe schon an anderen Orten zu helfen versucht. Da hat
mein Engagement als Einmischung empfunden.“
Sie setzten ihre Arbeit beidseitig der mittleren Strecke, dem
langen Boden der U-Form fort. Zwischendurch fand Wendy kleine Kostbarkeiten in
der Erde. Er hob sie auf und sammelte sie in einer Höhlung an der Böschung beim
letzten Abschnitt. Ab und zu gingen Eltern vorbei, die etwas in der Schule zu
erledigen hatten oder ihre Kinder abholten. Dann entspann sich ein kurzes
Gespräch zwischen der Gartenbau-Lehrerin und den Vorbeigehenden. Wendy war
überrascht, wie gut die Gärtnerin die Kinder kannte. Zwischendurch kam Jella
wieder.
„Bist du jetzt so weit?“, fragte sie ungeduldig. „Wir müssen
jetzt unbedingt […]“
Aber Wendy blickte nur kurz auf und arbeitete weiter.
Jella spitz zur Gärtnerin. „Es gibt doch Eltern genug, die ihre
Kinder hier an der Schule haben. Ist denn von denen niemand bereit diese Arbeit
zu machen?“
Die Gärtnerin richtete sich auf und antwortete ruhig. „Ach,
wissen Sie, wenn man Kinder in dem Alter hat, ist man belastet genug. Da sind
nur wenige, die noch zusätzlich was leisten können.“
Jella stellte sich demonstrativ neben Wendy und wartete. Aber er
verrichtete stur seine Arbeit und beachtete sie nicht. Da ging sie zornig
davon.
Sie waren jetzt beim der letzten Strecke des U angelangt, aber es
wurde schnell dunkel und Wendy spürte, sie würden an diesem Tag nicht den
ganzen Eingangsbereich schaffen. Als einzelne Schüler vom
Instrumentenunterricht nach Hause gingen, reizte es ihn den fleißigen Schülern
je eines seiner Fundsachen zu schenken. Die meisten waren Süßigkeiten.
„Macht es was, dass sie aus der Erde sind?“, fragte er die
Gärtnerin.
„Oh nein“, fand diese, „unsere Erde ist sauber. Geben Sie’s nur,
die Schüler werden sich freuen.“
Und tatsächlich, die Schüler freuten sich sehr über die
Kleinigkeit.
Beim Zusammenräumen stieß noch Bea, die Sekretärin, dazu. Sie
fuhr den Schubkarren mit dem Unkraut zum Kompost und verräumte die Werkzeuge.
Wendy hatte nur noch seine Hände zu waschen.
Am folgenden Mittag rief die Sekretärin an und lud Wendy zu einer
Abendveranstaltung an der Astoria-Schule ein.
„Was ist es denn, Konzert, Theater, von Schülern oder ein
Gastspiel?“, wünschte Wendy zu wissen.
Aber sie wollte es nicht verraten. „Wirst schon sehen. Lass dich
einfach überraschen.“
Wendy war etwas knapp dran. Pinkeln musste er auch noch. Und wie
immer, wenn er’s eilig hatte, wollte die Blase sich nicht lösen. Als es endlich
so weit war, bemerkte er, dass er den Schlüssel fürs Mofa vergessen hatte. In
der Werkstatt war Licht. Er stieß die Tür auf und fragte, ob er das Mofa in die
Werkstatt stellen dürfe. Hiltja, der Werklehrer, winkte ihn herein. Als Wendy
Helm und Jacke abgelegt hatte, trat der Werklehrer zu ihm und begann ihm die
Arbeitsbereiche Bildhauern und Schreinern zu erklären. In welchen
Klassenstufen, was unterrichtet wird, und welche Arbeiten den Schülern mehr und
welche ihnen weniger gefallen. Es dauerte eine Weile bis Wendy begriff, dass er
sein abendliches Eintreten als Interesse an einer Mitarbeit verstanden hatte.
Ihm wurde ganz mulmig zu Mute. Diese handwerkliche Arbeit, wollte er die wieder
aufnehmen? Warum eigentlich nicht. Nein doch nicht.
„Ich möchte es nicht grundsätzlich ausschließen“, sagte er
schließlich, „aber erst muss ich mit Jella reden. Sie ist es, die ständig sagt,
dass ich mir zu viel aufhalse. Als ich gestern im Eingangsbereich jätete, war
sie gar nicht begeistert.“
„Versteh ich gut“, sagte Hiltja, „aber diese Arbeit hier ist ja
was ganz anderes und sie wird bezahlt.“
Wendy versprach, ihm Bescheid zu geben und fragte schlussendlich,
wo denn die Abendveranstaltung stattfinde?
Hiltja schüttelte den Kopf. „Abendveranstaltung heute? Weiß ich
nichts von.“
„Aber Bea hat mich doch extra deswegen angerufen.“
„Was sollte es denn sein?“, fragte der Werklehrer.
„Hat sie mir nicht verraten. Eine Überraschung“, sagte sie.
„Komisch“, bemerkte Hiltja, „und mir hat sie gesagt, du wärst
interessiert hier mitzuarbeiten.“
Da sagte Wendy nichts mehr.
Da er schon da war, sah er sich um. Er warf einen Blick in den
Maschinenraum, der recht gut ausgestaltet war. Wieder im Bankraum öffnete er
einen Schrank und fand ihn voller Lindenholzstücke. Er zog ein paar davon
heraus. Das Holz war fein und sie waren gut getrocknet, aber insgesamt doch etwas
klein. Habe ich wirklich den Nerv, die Schüler bei ihren Übungsarbeiten zu
betreuen?, fragte er sich.
Hiltja nutzte die Zeit und räumte auf. Als Wendy sich
verabschiedete, war er daran die Bilderhauer-Meißel zu schärfen. MLF
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