Wendys zwanzigstes virtuelles
Abenteuer
Parallel zu den Aufzeichnungen von seinen Abenteuern in der
virtuellen Welt filzte Wendy einen Teppich. Es bedurfte dafür keiner zusätzlichen
Anstrengungen, der Filz wuchs von selbst, so wie er mit den Beschreibungen
vorankam. Deutliches Zeichen, dass die virtuelle Welt inzwischen auch in seinen
vier Wänden angekommen war. Diese virtuelle Doppelnatur hatte den Vorteil, dass
er seinem Freund Enzo gegenüber eine ausweichende Antwort hatte, wenn der ihn
mal wieder mit der Frage bedrängte. „Was treibst du denn die ganze Zeit in
deinem Arbeitszimmer? Man bekommt dich ja kaum noch zu Gesicht.“
„Ich arbeite an einem Teppich“, war dann Wendys Antwort.
Wenn Enzo aber sein Ergebnis sehen wollte, sagte er schlicht. „Es
soll eine Überraschung werden.“
In den Tagen davor war Wendy mit seinen Aufzeichnungen wenig
erfolgreich gewesen. Die Ängste, die ihm die Tiere Vishams eingejagt hatten und
dann der Tag, an dem er das ‚Werde‘ ganz aus den Augen verloren hatte und nur
noch das ‚Stirb‘ vor sich gesehen hatte, dadurch waren große Löcher in seinem
Teppich entstanden. Er bemühte sich redlich, die Lücken zu schließen, aber sein
Gedächtnis zeigte wenig Bereitschaft ihm dabei zu helfen. Die häufigen Versuche
die Löcher auszubessern, führten dazu, dass das bisher recht ansehnliche Stück
Filz zunehmend schmuddelig, ja schmutzig wurde.
Enzo, dem die neue Leidenschaft seines Freundes ein Dorn im Auge
war, erzwang sich den Eintritt in Wendys Arbeitszimmer. Dieser war gerade
bemüht eines der Löcher zu stopfen, als sein Freund zu ihm trat.
Enzo traute seinen Augen nicht, als er seinen Geliebten über
einen verformten und im düsteren Licht abgegriffen und schmutzig wirkenden Filz
gebeugt sah. Er rief aus.
„Was, mit so einem hässlichen Ding mühst du dich ab?“
Er hatte sich weiß was vorgestellt und jetzt sah etwas Unförmiges,
von einer Farbe, die ihm zuwider war. Wegen so etwas wollte er nicht auf die
gemeinsame Zeit mit seinem Freund verzichten.
Wendy war gekränkt und versuchte seine Arbeit in das richtige
Licht zu rücken. „Ich habe nur noch ein paar Löcher zu schließen. Dann wirst du
sehen, dass sich die Mühe gelohnt hat.
Aber Enzo war anderer Ansicht und er schonte seien Freund nicht.
„Das Ding ist altmodisch. Die Farbe ist abstoßend. Es ist als Ganzes hässlich,
rief er ohne Gnade.
„Das wird schon noch“, versuchte Wendy ihn zu überzeugen.
Doch Enzo blieb hart. Er sagte. „Entweder, du schmeißt das Ding
weg, oder wir sind getrennte Leute. Dann kannst du ja sehen, wo du unterkommst.“
Wendy betrachtete seine Arbeit, aufgrund der harten Worte seines
Freundes, jetzt auch kritisch. Er musste eingestehen, dass die Farbe stumpf
wirkte. Aber auf diese hatte er keinen Einfluss. Die Pole in der virtuellen
Welt waren nicht schwarz und weiß, sondern schwarz und olivgrün – so viel hatte
er inzwischen gelernt. Schwarz hieß verborgen, olivgrün hieß sichtbar. Da er
die Aufzeichnungen ganz im Verborgenen hielt, war der Teppich ins Gegenteil geraten,
olivgrün. Und wenn er daran dachte, dass dies das Ergebnis seines ganzen
Fleißes war, so war er wirklich enttäuscht.
Enzo sagte kurz und trocken. „Schmeiß es weg.“ Er drohte sogar,
dass er ihm die Freundschaft aufkündige, wenn er das Ding nicht sofort aus dem
Haus schaffe.
Wendy hatte nicht wirklich Angst um ihre Beziehung. Er wusste, dass
Enzo gerne drohte und es dann doch nicht so ernst meinte. Aber er sah in diesem
Moment die viele harte Arbeit und musste seinem Freund Recht geben, das
Ergebnis war wirklich unansehnlich. Da gab er dem Drängen des Freundes nach und
entschloss sich dieser mühseligen Arbeit zu entledigen. Dabei dachte er nicht, dass
das unliebsame Folgen haben könnte. Er rollte den Filzteppich ein, trug ihn das
enge Treppenhaus hinunter und steckte ihn draußen in die Restmülltonne zu den
anderen stinkenden, vergammelnden und nicht mehr verwertbaren Abfällen.
Enzo fand, das gälte es zu feiern und öffnete eine Flasche Sekt.
Sie feierten im Schlafzimmer auf dem Doppelbett. Wendy fühlte sich von einer
großen Last befreit. Er war verliebt in Enzo, der ihm zu dieser Erleichterung
verholfen hatte. Der sonnte sich in seinem Erfolg, zog sich aus und ließ sich
von Wendy verwöhnen. Bis um Mitternacht feierten sie Reunion. Dann drehte sich
Enzo, der am nächsten Morgen zur Arbeit musste, um und schlief sofort ein.
Wendy ging, wenn sein Freund schlief, gewöhnlich runter ins
Arbeitszimmer und legte sich dort auf die Isomatte in den großen Schrank und
deckte sich mit seiner Daunenjacke zu. So zeigte er seine Bereitschaft mit Muse
zu arbeiten, die an seinen Aufzeichnungen über die virtuelle Welt interessiert
war. Danach schlüpfte er zu Enzo ins Bett hoch. Unter der Woche, damit er nicht
gestört wurde, wenn Enzo in der Küche hantierte. Am Wochenende, um beim
Aufwachen bei ihm zu sein. Sie wird ja sehen, dass mir heute Nacht nicht nach
Arbeiten ist, dachte er. Aber er konnte nicht einschlafen. Also ging er doch
nach unten und legte sich in den Schrank. Sofort schlief er ein. Muse weckte
ihn. Er suchte nach dem Text, bis ihm die Sache mit dem Teppich einfiel. Es
gelang ihm, Muse in ein Gespräch über die virtuelle Welt zu verwickeln. Sie
bemerkte nicht, dass die Texte fehlten. Wenigstens glaubte er, das aus ihrem
Verhalten lesen zu können. Das Gegenteil war der Fall. Ihr fiel gleich auf,
dass er nur redete, statt zu arbeiten. Sie spürte, dass er mit seinen Gefühlen
bei Enzo war. Vielleicht roch sie sogar, dass sie zusammen gewesen waren,
obwohl er sich dazwischen gewaschen hatte. In einer Pause wies sie auf sein
Lager im Schrank und sagte.
„Das ist doch keine Art zu schlafen. Ich rate dir, besorge dir
eine eigene Matratze.“
Um Fünf beendeten sie die Arbeit und er ging wie gewöhnlich zu
Enzo ins Zimmer hoch. Mit Freude stellte er fest, dass Muse ihm folgte. Das
erotisierte ihn sehr, wenn sie zusätzlich mit im Bett lag. Allerdings nahm sie
einen anderen Platz ein. Sie legte sich mit dem Kopf an die Seite, den Körper
quer zu ihren Füßen. Schade, aber egal, dachte Wendy und schlief ruhig ein. MLF
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