Samstag, 29. September 2012

104 Zwei Kaminrohre



Wendys neuntes virtuelles Abenteuer

Ausgangspunkt des neuen Abenteuers war die Magadinoebene im Tessin. Von dort aus brachen sie zu einer Wanderung auf bis nach Home, nördlich der Alpen. Der Weg führte durch eine Höhle, die die Alpen durchquert und die Wanderer bis nach Home vordringen ließ. In dem Bereich der Höhle, wo sie noch vom Außenlicht erhellt war, hatten sich die Wanderer versammelt. Der Lehrer, ein großer, gestrenger Mann, rief dazu auf, eine Person unter ihnen für die Führung auszuwählen. Denn er ging selber nicht mit. Es solle derjenige sein, der am nächsten dem Wachholderreisig sitze, den er in die Höhle gelegt hatte.
Er erzählte die Bechstein’sche Geschichte vom Hirsedieb. Dort hatte der jüngste Bruder mittels Stacheldraht sich wach halten können und hatte so das Pferdchen gefangen, das ihn später auf den Glasberg zur Prinzessin führen sollte.
Es war ausgerechnet Brigga, Wendys unbedarfte, luftige Schwester, neben der das stachelige Reisig lag. Erst schüttelte Wendy den Kopf, wie sollten sie da je ans Ziel gelangen. Aber dann dachte er, dass sie doch einiges mit dem jüngsten Bruder, aus der Geschichte gemein hatte.
Die Wanderung durchs Dunkel der Höhle musste jedenfalls geglückt sein, denn Wendy befand sich als nächstes in Home.

Hinter dem Elternhaus standen zwei Kamine nah beieinander. Stattliche, glänzende Rohre von einem Durchmesser, der gut einer Person im Innern Platz bot. Nach oben war ihr Ende nicht zu sehen.
Wendy machte sich im linken der beiden Kaminzüge zu schaffen. Von der Öffnung am Boden drang genug Licht ein, dass er darin arbeiten konnte. Es war warm im Innern wie in einem Kuhdarm. Doch er brauchte Hitze, um den gewünschten Sog zu entwickeln. Zu diesem Zweck wollte er ein Feuer machen. Die Bauweise des Rohres zeigte, dass der Kamin als Pflanze gewachsen war. Er setzte sich von Knoten zu Knoten fort. Die Knoten ließen einerseits genug freien Raum, dass er hindurch klettern konnte, andererseits bildeten sie eine waagrechte Fläche, auf der er sein Feuer anzufachen sich anschickte. Das Holz wie die Indianer in Pyramidenform aufzuschichten, war ein schwieriges Unterfangen. Er brauchte mehrere Anläufe bis die Pyramide stand und es genug Holz war.
Zwischendurch ging er zum rechten Kaminschacht, in dem sich seine Großmutter befand. Sie nannten sie die Tessinerin, weil sie die sprichwörtliche Frömmigkeit der Tessiner hatte. Damit die alte Frau von seiner Geschäftigkeit nicht gestört wurde, holte er drinnen im Home drei Schlaftabletten.
Ein Berater, der auf dem Brunnendeckel vor den Kaminen saß, riet Wendy.
Gib ihr nicht alle auf ein Mal. Ich habe ihr auch schon welche gegeben.
Also legte Wendy nur jeweils eine der weißen Tabletten nach drinnen, wenn er aus dem anderen Rohr herauskam, in dem er das Feuer vorbereitete. Die Arbeit war aufregend. Er wurde von Sorgen geplagt, ob von unten genug Luft einströmen werde, ob die Hitze an der Stelle, wo er das Feuer entfachte, nicht zu hoch werden würde, und, und, und. Aber schließlich musste es doch geklappt haben.

Wendy ging zum Hitzkircher Bahnhof in Richensee. Leider musste er feststellen, dass der Zug zur vollen Stunden schon raus war. Ob er es mit dem Zug zur nächsten Stunde noch schaffen würde, war sehr ungewiss. Zum Glück hatte er eine Bekannte in der Nähe, die ihm schon oft eine Stütze gewesen war. Sie suchte er auf.
Sie ließ ihn eintreten. Bot ihm Platz auf dem Sofa an und goss ihm Tee ein. Wendy hatte ein Buch dabei über Katharina Hepburn. Das wollte er ihr zeigen. Zur Vorbereitung sagte er.
„Die Autorin vertritt die Ansicht, dass Abheben und Brennen, das große Geheimnis dieser großen Künstlerin war. Sie dokumentiert diese Behauptung anhand einer Bildertafel.“
Er schlug das Buch an der Stelle mit der Bildertafel auf. Das Faltblatt mit Fotos zeigte mehrere charismatische Persönlichkeiten, von Queen Victoria über einen afrikanischen Trommler bis zu Gandhi. Insgesamt mindestens zehn große Figuren.
Wendy erklärte weiter. „Die Autorin will beim Steigern bis zur Hochform mehrere ekstatische Zustände an ihr beobachtet haben, bei denen sie Züge dieser Persönlichkeiten erkannt hat.“
Die Bekannte drehte seine Hand und warf einen Blick auf die Rückseite. Dem Buch fehlten die ersten und die letzten Seiten samt Umschlag. Als Wendy es wieder aufschlagen wollte, hatte sich ein klebriger, weißer Schaum auf der ersten vorhandenen Seite festgesetzt. Er versuchte diesen zu entfernen, bekam aber klebrige Finger und fürchtete die Buchseiten damit zu verschmieren.
Die Bekannte hatte ihm zugehört und eine Weile lang seine Begeisterung geteilt. Aber dann sagte sie. „Ich finde, du solltest zum Bahnhof gehen.“
Wendy erklärte ihr, dass erst zur nächsten Stunde wieder ein Zug fahren werde.
Sie verschwand. Nach einer Weile kehrte sie zurück. „Da fahren durchaus auch Züge zwischen den Stunden, du solltest wirklich aufbrechen.“
Er sah’s ein und eilte zum Bahnhof. Als er ankam, stand ein Zug auf einem neuen Gleis weiter hinten. Es wimmelte von Schülern, war wohl ein Schulzug. Er beeilte sich. Ging durch die Unterführung. Aber als er die Stufen hochkam, hörte er wie der Zug wegrollte.
Das Perron war seltsam gestaltet, alles andere als platt (Wie man von einer Plattform erwarten dürfte). Die senkrechten Flächen waren weiß gekalkt, was ihn an ein griechisches Dorf erinnerte. Dann kam der Bahnhofvorsteher. Wendy hörte seine Stimme, bevor er ihn sah, dem Tonfall nach, ein Grieche. Wendy wurde laut.
„Was fällt ihnen ein, den Zug gegenüber auf einem so unebenen Perron fahren zu lassen, wo doch da drüben der eigentliche Bahnhof ist.“
Er hatte das Gefühl, dass ihm die umstehenden Menschen Recht gaben.
Der unschöne Vorsteher brummt in seinem sonderbaren Tonfall etwas von viel Geld wettmachen. Aber er war versöhnlich gestimmt.
Wendy sah eine Gruppe von jungen Männern, die etwas höher standen. Der in der Mitte gefiel ihm besonders. Er hatte einen konzentrierten Blick. Aber dabei presste er die Augenbrauen nicht nach unten, sondern hob sie hoch. Der bloße Anblick dieses Mannes half ihm sich zu gedulden und auf den nächsten Zug zu warten. MLF

Freitag, 28. September 2012

103 B Das Opfer per Postpaket

Wendys acht b-tes virtuelles Abenteuer


Wendy befand sich in einer schönen, ebenen Wiesenlandschaft. Er stand bei einem hohen Zaun einer Pferdekoppel, die ihn von seinem späteren Geliebten Bodo trennte. Es war ein lichter Tag mit frühherbstlicher Stimmung, nichts deutete darauf hin, dass er ein großes Opfer würde leisten müssen. Bodo hatte sich nackt ausgezogen und ließ seinen drallen, kräftigen Körper via Sonnen-Direktbestrahlung wärmen. Vom Feldweg her kam der Briefträger über die Wiese. Er hatte vorne am Weg gehalten und lief die paar Schritte zu Fuß zu ihnen. Wendy fiel auf, die Örtlichkeit in der Wiese und die Ankunft des Postboten überlappten sich mit der Eröffnung des letzten Films eines Bolschois. Da ahnte Wendy, dass er etwas würde zu opfern haben, denn in diesem Film ging es um ein Opfer.
Bodo kam an den Zaun und begrüßte den Briefträger. „Ist es nicht ein herrliches Wetter, heute“, rief er.
Der Briefträger, ein schöner, aber etwas verhaltener Mann, geriet von der Bemerkung Bodos geradezu in Rage. Während Wendys Blick vom Rollkragenpullover des Boten angezogen wurde, dessen Ärmel bis über die Handgelenke reichten, rief dieser verstimmt.
„Was, ein schönes Wetter? Jetzt, da der Herbst kommt. Gliederschmerzen, Nierenstechen, Blasenreizung.“ Er fasste sich dabei mit der rechten Hand unwillkürlich an die Seite und an den Unterbauch.
Da breitete Bodo theatralisch die Arme aus und legte den Kopf zurück und rief. „Ist doch herrlich diese Sonne.“
Der Briefträger darauf halb zu sich. „Da könnt ich schon wieder eine Wut kriegen.“ (Auf diese Arbeitslosen, die sich’s gut gehen lassen, meinte er wohl) Dann wandte er sich an Wendy und verfiel in den Berufston. „Ich habe ein Paket für Sie“, sagte er. „Wann sind Sie denn zu Hause, dass ich es vorbeibringen kann?“
Wendy stutzte, ein Paket? Was konnte das sein? Halb war er neugierig, halb misstrauisch.
„Wenn sie’s ins Foyer der Uni bringen könnten. Ich wohne derzeit dort, weil ich doch meinen Abschluss mache“, gab er zur Antwort.
Der Briefträger, sagte, er werde dort später vorbeikommen und verabschiedete sich.

Das Paket traf ein, kurz bevor das Prüfungsjahr begann. Weil Wendy die meiste Zeit an der Universität verbrachte, hatte er ein Studentenzimmer bezogen. Er hatte, bis auf einen, alle Scheine beisammen und musste sich nur noch für die Prüfer entscheiden, um den Abschluss angehen zu können.
Da Wendy es eilig hatte, fuhr er mit seinem Wagen über den Platz vor dem Foyer zum Wohnheim hin, obwohl dazwischen einige Stufen lagen. Dann ging er vor zum Foyer, um den Briefträger zu treffen. Dieser erwartete ihn schon. Das Paket war sehr groß. Und schwer war es auch. Aber im Grunde hätte es auch eine Karte in einem Brief getan. Denn die Mitteilung waren nur zwei Sätze. ‚Die nächsten dreißig Jahre sind anders verplant. Das Studium gehört abgebrochen‘. Erst glaubte er, nicht richtig zu lesen. Sie standen im unbeleuchteten Teil des Foyers. Er ging näher ans Fenster. Aber das änderte nichts. Da wurde schwarz auf weiß der Abbruch des Studiums verlangt. Er sah wieder die Szene vom Morgen vor sich, die Ankunft des Briefträgers im Feld. Durch die Parallele zu diesem Film hatte er erwartet, dass ein Opfer von ihm verlangt wurde – aber das Studium. Das war unfassbar.
Durch den zunehmenden Kontakt mit den Montagnern hatte er bemerkt, dass bestimmte Aufgaben auf ihn zukamen. Aber bisher hatte er immer geglaubt, dass das Studium – insbesondere ein abgeschlossenes – ihm dabei hilfreich sein könnte.
Es war schwer ein solches Opfer anzunehmen, weil er die Gründe nicht wirklich kannte. Aber er fügte sich, ging zu seinem Zimmer zurück, packte die wenige Habe in seinen Wagen, warf noch schnell im Sekretariat die Abmeldung ein und fuhr dann los.
Doch ausgerechnet an diesem Nachmittag hatte eine Aktionskünstlerin den Vorplatz des Foyers verändert. Sie hatte eine Installation aus Büchern geschaffen. Der Boden, samt Stufen war gepflastert mit Büchern. Wie sollte er da mit seinem Auto drüber weg kommen. Er konnte seinen Wagen doch nicht einfach hier lassen. Was hat sich die Künstlerin dabei gedacht?, fragte er sich verärgert.
„Es sind so viele, wie ein Student zu lesen hat, bis er den Master erlangt“, hörte er einen der Betrachter zu einer Kommilitonin sagen.
Schließlich fuhr er – da er keine andere Wahl hatte – einfach los. Ein unsicheres, seifiges Gefühl. Vor allem bei den Stufen fürchtete er stecken zu bleiben. Die Künstlerin hatte die Bücher hier sogar aufrecht gestellt. Aber die Fahrt ging erstaunlich glatt. Die Bücher waren so dicht, dass sie nicht rutschten. Es gelang ihm mit dem Auto vom Unigelände wegzukommen.

Auf einem windigen Bergtrauf lief Wendy auf einen Laden mit Postbüro zu, der in dieser exponierten Lage zwischen den schroffen Felsen verloren stand. Es war nur ein Schuppen, aber er war froh, als er den kalten Nebeln, die über die Kante strichen, entweichen und die Tür hinter sich zuziehen konnte. Vor dem Tresen stand eine lange Schlange von Wartenden. Ernüchtert stellte er sich an und wartete eine geraume Zeit, ohne dass sich die Wartenden groß bewegten.
In dem Paket hatte eine zweite Karte gesteckt, die er zu unterschreiben und in einem Postamt der Montagner einzureichen hatte. Die Einwilligung in die Weisung, das Studium abzubrechen.
Dann fiel ihm auf, dass der zweite Schalter, an dem niemand stand, der Postschalter war. Zu spät hatte er bemerkt, dass er sich hinter diejenigen gestellt, die auf Geld warteten. Kurz bevor er wechselte, war der Beamte am Postschalter weggegangen. Er wartete erneut. Dabei hörte er dem Gespräch zu, das die zwei Frauen hinter dem Tresen mit den Kunden führten. Die eine war eine resolute Montagnerin mit dunklen Haaren, die ihn leicht den Nacken einziehen ließ. Man klagte über den anbrechenden Winter. Wendy mischte sich ein und sagte.
„Vom Winter in den Bergen kann ich ein Lied singen. Ich bin jahrelang von der Hochfläche runter zum Studium gefahren. In diesem Winter wäre ich auch wieder, wenn nicht….“
Da ihn ein abschätziger Blick von der Montagnerin traf, verstummte er. Später hörte er sie zu ihrer Kollegin sagen. „Das ist auch einer von denen, die uns hier oben den Winter bescheren.“
Nicht mehr, reizte ihn zu sagen. Aber da sie von ihm abgewandt waren, schwieg er. MLF

Donnerstag, 27. September 2012

103 A Lamellen an der Himmelsdecke

Wendys acht a-tes virtuelles Abenteuer

Auf einem Platz, zwischen Häusern eingeschlossen, stand er, mit Blick auf die Himmelsdecke über ihm. Es war ein eher düsterer Tag und Wendy war etwas wehmütig ums Herz. Auch bei ihm kam es vor, dass er von Trübsinn geplagt wurde. Es war nicht der Himmel direkt über ihm, der ihn beunruhigte, sondern das glänzende Grau weiter hinten. Wenn er dorthin sah, überkam ihn, alleine vom Anblick dieses Graus, ein Gefühl der Kälte. Er sah den Winter herannahen, er dachte an seinen unsicheren Job, er spürte das Älterwerden und was ihn sonst an Ungutem erwarten könnte. Unwillkürlich zog er den Reißverschluss der Jacke höher, denn ihn fröstelte.
Der Platz war leer. So weit er blicken konnte, war niemand zu sehen. Auch nicht bei den Hauseingängen und in den abzweigenden Straßen. Aber neben ihm stand jemand. Einer von der Art, die einen solchen, ungestörten Moment abwarteten, um Einfluss nehmen zu können. Der Nebenstehende hatte Wendys Befremden über den grauen Himmel sehr wohl bemerkt, denn er knüpfte genau dort an, als er sagte:
Ist doch super, so hat man einen Spiegel.“
Wendy sah ihn erschrocken an. Eine graue Gestalt in einem grauen Mantel. Unauffällig bis zur Unsichtbarkeit.
„Sie wollen damit doch nicht sagen, dass das Leben genau so grau ist wie der Himmel dort?“
Statt zu antworten, fadete sich der Unbekannte aus. Weg war er. Wendy, der wusste, dass er noch in der Nähe sein musste, rief zornig.
„Das ist typisch für euch Sarkastiker. Ihr liefert die bissigsten Kommentare, aber wenn man eine ernsthafte Antwort will, löst ihr euch in Luft auf.“
Er sah von dem leeren Platz aus wieder auf das glänzende Grau in der Ferne und dachte. Wenn das wirklich ein Spiegel des Lebens ist, dann könnte ich mich ja gleich umbringen. Der Sarkasmus des Unbekannten weckte in ihm aber das Gegenteil. Er fasste den Entschluss, etwas zu ändern.
Direkt über ihm war der Himmel von senkrechten Lamellen unterteilt, sodass man die Himmelsdecke gar nicht wahrnahm. Diese Lamellen vermittelten ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit. Die Himmelsdecke war einer Zimmerdecke gar nicht unähnlich, wenn auch deutlich höher.
Wendy suchte nach einer praktischen Lösung, wie er das Problem des grauen Himmels in der Ferne beheben konnte. Die Lamellen über ihm, die den direkten Blick auf den Himmel abdämpften, waren sehr dicht montiert. Wenn er da und dort eine herausnähme und diese weiter hinten anbrächte, so würde dadurch das heimelige Gefühl an seinem Platz nicht gestört und der Blick auf das Grau in der Ferne wäre verstellt. Folglich war auf diese Weise sein Problem zu lösen.
Er ging deshalb los, um eine Leiter zu suchen. Es war gar nicht so leicht, eine stabile Leiter zu finden, die hoch genug war, um an die Lamellen heran zu kommen. Aber schließlich fand er, was er suchte.
Auf der Leiter balancierend tastete er sich an die einzelnen Lamellen heran. Sie hatten eine handliche Größe von etwa anderthalb Meter auf einen halben Meter. Er sah, wie gut sich die Lamellen lösen ließen. Manche gingen so leicht weg, dass er sich wunderte, wie sie so lange gehalten hatten. Jedenfalls nahm er sich vor, beim Anbringen nachher deutlich größere Nägel zu verwenden. Schade, dass ich alleine bin, klagte er. Wegen jeder Lamelle musste er von der Leiter hinuntersteigen und wieder hoch klettern.
Da kam zum Glück Pirmin, ein Bekannter, daher, der Priester einer christlichen Gemeinschaft war. Pirmin trat neugierig hinzu und wollte gerade fragen, was er sich hier zu schaffen mache, als Wendy rief.
„Du kommst mir sehr gelegen. Nimm mir die Lamellen ab, dann brauche ich nicht jedes Mal nach unten steigen.“
Wendy bemerkte wohl, dass der Priester nicht begeistert war. Dieser Handlangerdienst schien ihm nicht zu gefallen. Aber da er sich zum Dienen verpflichtet hatte, durfte er ja nicht einfach weiter gehen. Und so reichte ihm Wendy eine Lamelle nach der anderen hinunter.
Pirmin trug eine sonderbare Mütze, wie sie die Rabbis tragen. Das veranlasste Wendy zur Frage. „Bist du neuerdings zur jüdischen Gemeinde übergetreten?“
Dieser nutzte Wendys saloppe Frage, um seinem Unbehagen Luft zu verschaffen.
„Weißt du noch nicht, dass wir jetzt auch mit den Jüdischen in Ökumene leben?“, sagte er, ihm sein Unwissen vor Augen haltend.
„Was? Nein, ist mir nicht bekannt“, gab Wendy zu.
Er stieg schon bald von der Leiter hinab. Bevor er weitere demontierte, wollte er versuchen, wie es mit der Montage weiter hinten klappen werde.
„Wenn du so freundlich bist und wartest, sagte er zu Pirmin. Ich muss nur schnell zur Werkstatt, um längere Nägel zu holen.“
„Das geht nicht“, sagte Pirmin streng und stellte sich ihm in den Weg. „Die Länge der Nägel ist rituell festgelegt. Sie darf nicht verändert werden.“
Wendy begriff nicht gleich und starrte den schwarz Gekleideten an.
Dieser setzte nach. „Überhaupt ist eine solche Arbeit nur im Beisein eines Geweihten erlaubt“, betonte er mit Nachdruck.
Erst jetzt erkannte Wendy in welche Richtung der Wind wehte. Da war Pirmin bei ihm aber an den Falschen geraten. Schon hier lag ihm auf der Zunge zu sagen. Das ist mein Himmel und hier bestimme ich.
Aber da er mit ihm befreundet war und er beim Montieren seine Hilfe noch brauchte, hielt er sich zurück und sagte stattdessen.
„Gut, wenn du meinst, dann will ich es mit den alten Nägeln versuchen.“
Wendy nahm einen großen Bündel Lamellen unter den Arm und schickte sich an, dahin zu gehen, wo das Grau des Himmels glänzte. Doch Pirmin widersetzte sich erneut und sagte.
„Trotzdem geht das nicht. Nicht mal ich kann es entscheiden. Wir müssen bei der Obrigkeit nachfragen.“
Jetzt platzte Wendy der Kragen. Er wusste, was das bedeutete, Aufschub von Kirchentag zu Kirchentag, von Konzil zu Konzil.
„Dann geh deines Weges“, herrschte er ihn an, „ich werde schon jemanden finden, der mir hilft und wenn nicht, schaffe ich es auch allein.“
Er nahm die Leiter und trug sie zu einer Nische am Rand des Platzes. Als er die Lamellen wegtragen wollte, hielt Pirmin diese fest.
„Die bleiben hier. Die sind Eigentum der Kirche.“
„An meinem Himmel?“, rief Wendy erzürnt. „Du hast’s ja wohl nicht alle.“ Er packte die Lamellen und ging los. Aber der Priester hielt sie fest und stemmte sich in den Boden. Doch Wendy war stärker und zog ihn mit sich fort.
Als sie in der Nische waren, drängte er Pirmin gegen die Wand und drohte. „Hier habe ich das Sagen. Hast du verstanden?“
Der unterwürfige Ausdruck in den Augen des Unterlegenen hatte sich noch verstärkt. Ein Blick auf die Wölbung bei der Hose, sagte ihm das übrige. Schade, dass er keine Soutane trägt, dachte Wendy. Er presste sich gegen Pirmin und rieb ihm mit seiner Hüfte die Schwellung.
„Und, wann stehst du bereit, die Lamellen, am neuen Standort mit anzubringen?“, fragte er in herrischem Ton.
Pirmin schaute unterwürfig zu ihm auf.
„Wenn’s dunkel wird“, schlug er zaghaft vor.
„Du Feigling“, rief Wendy spottend, „aber mir soll’s recht sein. Ich will dich ja nicht um deinen Job bringen.“ Und er ließ ihn los. MLF