Auf der Kommode seitlich des
Fußendes seines Bettes hatte Toni seine Heiligtümer drapiert. Ein ovaler Stein,
den er wie ein präpariertes Ei auf die Spitze stellen konnte und der ihm half,
der Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen. Eine Erdkugel aus Kristall, die den
Kundigen befähigte, in die Vergangenheit und in die Zukunft zu schauen. Ein
Modell der großen Pyramide mit eingelassener Grabkammer im richtigen Maßstab
und noch weitere Kostbarkeiten. Um die Schätze auch richtig zu würdigen, hängte
er einen Strahler von der Decke und richtete den Schein auf diese. Den ganzen
Abend hatte er sich daran ergötzt. War dann aber eingeschlafen. Als er nachts
aufwachte fingen die im Licht stehenden zauberhaften Gegenstände seinen Blick
und er war ganz verzückt. Als plötzlich ein Wimmern ihn aufschreckte. Neben ihm
saß eine Gestalt unter einer schwarzen Hülle. Erst erschrak er, dann ärgerte er
sich, denn die kläglichen Laute passten gar nicht zu seiner ekstatischen
Stimmung. Es verstrich eine Weile, bis Toni begriff, dass Mili darunter stecken
musste.
„Was soll der Schabernack“,
rief er aufgebracht und zog an der Decke. Aber sie ließ sie nicht los. Er
versuchte es nicht weiter, denn er wusste wohl, wer von ihnen beiden stärker war.
Etwas musste Mili stören. Womöglich das Licht? Er stand auf und zog den
Stecker. Tatsächlich ließ sie nun die Decke fallen und zeigte sich in ihrer
Schönheit. Aber ihr holdes Gesicht hatte nicht den strahlenden Ausdruck, den er
kannte. Mili streckte ihm die schwarze Decke entgegen und deutete mit einer
Kopfbewegung in Richtung der Kommode.
Zögernd trug er die Decke dorthin.
„Was soll ich damit?“, fragte er widerstrebend.
Ihre Geste war eindeutig: Zudecken!
Also breitete Toni den
dicken Teppich über seine gekauften Schätze. Es blieb nichts als ein dumpfes Auf
und Ab. Er konnte es kaum fassen.
Aber als er sich Mili
zuwandte und sie nun strahlen sah, da vergaß er augenblicklich seinen Verlust.
Er stieg zu ihr ins Bett und sie liebten sich mit großer Wonne.
Anschließend bettete sich
Mili etwas höher und erzählte… AS
Von der Buchhandlung aus geht er zu Ruben. Als er um fünf zurück
ist, wärmt er sich die andere Hälfte der Quiche auf, die er am Vortag gebacken
hat und rührt einen Salat an. Zum Essen setzt er sich aufs Sofa. Jasmus ist
gespannt auf diese ominöse Ausstellung von Pedro, dem Brasilianer. Er richtet
sich auf, isst ein paar Gabeln Salat, steckt sich einen Happen von der Quiche
in den Mund und kehrt in Gedanken nach Spanien zurück, wo er Pedro vor vielen
Jahren zufällig getroffen hat.
Pedro hatte sich dem einfachen Leben zugewandt und hütete Schafe.
Bei dieser einfachen Tätigkeit ereilte ihn der Ruf. Eine Zigeunerin versprach
ihm einen geheimen Schatz, wenn er zu den Pyramiden reisen würde. Jasmus
begleitete Pedro nach Marokko, wo dieser eine Zeit lang in einem Laden
Kristallgläser verkaufte. Dann schlossen sie sich einer Expedition an, durch
die Wüste. Der Fund am Ziel erwies sich als Flop und Pedro kehrte zu seiner
Mutter nach Spanien zurück - arm aber happy wie Hans im Glück.
Obwohl er eine halbe Stunde früher ankommt, ist der Saal schon
gut gefüllt. Es ist tatsächlich Pedro aus Brasilien. Nach vorne gehen und ihn
begrüßen, will er nicht. Viele Menschen haben Reisen mit Pedro unternommen.
Jasmus ist sich bewusst, dass er als Bekannter Pedros einer von vielen ist.
Der Vortrag hat zwei Schwerpunkte, die Reise ins Aleph-Gebirge
und die Fossilien. Es dauert eine Weile bis Jasmus dem Bericht folgen kann. Er
hat das Aleph-Gebirge irgendwo in Südamerika angesiedelt oder im Himalaya. Aber
Pedro steigt mit seinem Gefolge in Moskau in die Transsib und fährt bis Wladiwostok.
Es geht eine Weile bis er akzeptieren kann, dass das Gebirge an dieser Strecke
liegen muss. Pedro hat es aber auch immer mit den beschwerlichen Wegen, denkt
er. Damals die Wüstendurchquerung, auf der sie viele Grenzsituationen
durchstehen mussten und jetzt das Gegenteil, Eis statt Sonnenglut.
Dass es im Hochgebirge Fossilien zu finden gibt, ist für Jasmus
nichts Neues. Er hat sich oft gewundert, wenn er oberhalb der Vegetationsgrenze
unterwegs war, wie viele Funde man in einer steilen Berghalde machen konnte.
Das hatte mit den Umwälzungen im Zuge der Gebirgsbildung zu tun. Da wurde das
Unterste ganz nach oben getragen.
Pedro verbindet mit den Funden im Aleph-Gebirge aber etwas
Besonderes. Das wird im Laufe des ersten Teils der Lesung deutlich. Bilder
ausgewählter Fossilien werden auf die Leinwand projiziert. Anhand von diesen
Funden erklärt Pedro, dass diese ihm Ausschnitte aus seinem eigenen früheren
Leben vor Augen führen. Das bringt ihn dazu, sein Leben nicht als isoliertes,
einmaliges Ereignis zu sehen, sondern als Teil einer unbegrenzten Folge. Er
setzt die Fundstücke zueinander in Beziehung und zieht daraus
Schlussfolgerungen für sein jetziges Leben.
Die Fundstücke, die Pedro präsentiert, sind so lebendig, so
plastisch, dass Jasmus ganz neidisch wird. Das Glück, solche Funde zu machen,
ist ihm bisher nicht zugefallen. Gespannt hört er zu, um Auskunft zu erhalten,
wo sich das Aleph-Gebirge befindet. Da muss ich auch hin, sagt er sich. Und wenn
Gila nicht mitgeht, dann reis ich eben auf eigene Faust.
Pause. Pedro hat sich zurückgezogen, um Kraft für den zweiten
Teil der Lesung zu schöpfen. Auf dem Tisch vorne an der Wand steht ein
Bäumchen. Von der Sitzreihe aus hat er es für eine Bonsai-Pflanze gehalten. Bei
der genaueren Betrachtung fällt ihm auf, dass es kein Grün trägt. Der Stamm und
die Äste bestehen aus Korallen. Für die Blätter hat man mehrheitlich flache
Muscheln und für die Früchte spiralige Schnecken verwendet. Er staunt über die
Fertigkeit mit der dieses filigrane Gebilde zusammengekittet worden ist.
Im zweiten Teil geht die Reise mit der Transsib weiter. Berichte
von den vielen Zwischenhalten, auf denen Pedro seinen unzähligen Freunden
begegnet, die er auch in diesem Teil der Welt hat. Und dann der entscheidende
Aufstieg ins Aleph-Gebirge. Bilder werden eingeblendet, wie Pedro und sein
Begleiter auf einem steilen Grat in dünner Luft auf einen ganz besonderen Fund
stoßen. Ein Bäumchen mit Ästen, die im Laufe verschiedener Epochen gewachsen
ist. Als Jasmus erkennt, dass es sich um das Gebilde handelt, das er vorne auf
dem Tisch bestaunt hat, nickt er unwillkürlich.
Der letzte Teil des Vortrags ist der Erklärung gewidmet, wie das
Bäumchen entstanden sei. Eine schuldhafte Tat in weit zurückliegender Zeit hat
den Stamm gebildet, mit dem sich die Schicksale der Geschädigten als Äste
verbunden haben. Mit den verschiedenen Leben ist der Baum weiter gewachsen.
Nach dem Vortrag reiht sich Jasmus in die Schlange der Zuhörer
ein, die Pedro die Hand drücken und mit ihm ein paar persönliche Worte tauschen
wollen. Pedro erkennt ihn. Als er dran ist, steht er auf und sie umarmen sich
kurz. Jasmus flüstert ihm die Frage zu: „Aber das Bäumchen hast du doch nicht
so gefunden? Du hast es doch aus den Fundstücken verleimt, nicht wahr?“
„Doch ich habe es so gefunden. Genau so stand es auf dem Grat.“
Der nächste drängt hinter ihm. Jasmus gibt seinen großen
Bekannten wieder frei und geht weiter.
Betreten läuft er nach Hause. Fossilien sind halt doch nicht mein
Ding, denkt er. Eine Stimme sagt ihm, es tut dir nicht gut, wenn du dich zu
viel mit Totem beschäftigst. Und so schlägt er sich den Vorsatz, das
Aleph-Gebirge aufzusuchen, wieder aus dem Kopf. MLF
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