Toni befand sich in einer
Siedlung unter lauter Schwarzen. Er glaubte, er habe sich verirrt und wollte
zum Ausgang. Da kam eine schöne Farbige auf ihn zu und begrüßte ihn wie einen
engen Vertrauten. In dem Moment wachte er auf und hielt Mili in den Armen, die
noch immer schwarz war. Ihr anschließendes Zusammensein empfand er wie eine erste
Liebesnacht, fremd und betörend. Seine Geliebte war sehr pflichtbewusst. Nach
dem Liebesakt setzte sie sich hoch und begann eine Geschichte zu erzählen. AS
Wenn er etwas erst entdeckt hatte, stieß er in allerlei
Variationen immer wieder darauf. Das erfuhr Mark auf seinen Fahrten ganz
allgemein, im Besonderen aber mit der Zandsch-Siedlung. Auf seinen Touren macht
er auch Station an Orten, die er als Kind und Jugendlicher geliebt hatte. So
geriet er eines Tages auf ein großes, freies Feld. Er erkannte es nicht gleich
wieder, Bäume waren gefällt, andere neu gepflanzt worden. Aber die Büsche, die
die weite Grasfläche begrenzten, waren noch dieselben. Er erinnerte sich, wie
er als Junge hier gespielt hatte und mit seinen Kameraden darauf herumgetollt
war. Jetzt, da er die Siedlung der Schwarzen entdeckt hatte, wurde ihm bewusst,
dass von diesem Feld ein direkter Weg in die Zandsch-Siedlung führte. Aber ihm
war, als hätte er als Kind diese Nähe gespürt. Das Leben, das sie als
Kinderschar geführt hatten, war gar nicht so verschieden gewesen, von dem was
er von den Zandsch im Wald vermutete.
Auf dieses Feld, auf dem sie als Kinder spielten, hatte eine
weiße Vereinigung großen Einfluss. Diese Vereinigung hatte sich die Hecken am
Rand des Feldes zu Nutze gemacht. In den Hecken drin hatten sie einen Weg
angelegt. Wenn man sich auf diesen Weg begab, bog nach etwa zwanzig Metern der
Weg scharf nach rechts ab und führte vom Feld der Kindheit weg. Der Knick in
der Hecke drin, hatte sogar einen Namen. In der Sprache der Waldbewohner hieß
er Bilbao. Wenn von der Bilbao-Wende gesprochen wurde, war diese Wegbiegung in
den Büschen gemeint.
Ein Waldbewohner, den er über Franz kennengelernt hatte, bot
seinen Freunden einen Lebenslauf aus der Sicht des Waldes an. Mehr aus
Neugierde hatte Mark für sich einen solchen erstellen lassen. Was er
ausgehändigt bekam, erwies sich als eine surrealistische Geschichte voller
rätselhafter Bilder und war mit kryptischen Worten bespickt.
In diesem Lebenslauf stand
als Merkpunkt: ‚Bilbao 1974‘. 1974
war das Jahr gewesen, in dem Mark sein erstes Praktikum gemacht hatte. Er war
dann in die Ausbildung eingetreten, hatte studiert und war schließlich in die
Produktion gegangen. Später hatte er geheiratet und Kinder mit groß gezogen. In
all den Jahren nach der Bilbao-Wende war er kaum je auf die Spielwiese der
Kindheit zurückgekehrt und erst recht hatte die Zandsch-Siedlung fern von ihm
gelegen. Sie hatte seiner Wohnung und seinem Arbeitsplatz sozusagen diagonal
gegenüber gelegen. Würde man ihn darauf angesprochen haben, hätte er wohl nicht
mal geglaubt, dass es eine solche gab. Allenfalls in Afrika, von wo sein
Kommilitone Abasi vermeintlich herstammte.
Es hatte gewisser Verwandlungen bedurft, um ihn dorthin finden zu
lassen. Die Familie, die sich auflöste, die Begegnung mit Enzo, der ihm in
Dingen, die er früher verdrängt hatte, ein Lehrer war, die Fahrten und
schließlich die Siedlung selbst, die er im Wald gefunden hatte.
Als Mark später die Zandsch-Siedlung wieder aufsuchte, hatte er
ein Kind dabei. Sie traten die Stufe hoch. Der Innenraum hatte sich verändert.
In der Mitte war eine Trennwand mit Tür. Ein schmaler Flur führte dorthin. Er
wartete mit dem Jungen bis jemand kam. Ein junger Mann trat auf sie zu und hieß
sie willkommen. Am Fenster stehend erklärte er ihnen, dass für die Erwachsenen
jetzt Eintritt erhoben wurde. Er blickte Mark an und sagte, „einen Fünfziger.“
Ist ja nicht schlimm, dachte Mark und griff in die Coin-Tasche. An
der Münze, die er daraus hervorzog, war aber etwas ungewöhnlich. Sie
betrachteten sie beide. Sie hatte die gleiche Größe wie ein Fünfziger, aber die
geprägte Zahl war Sechzig. Ein Sechziger. Der junge Mann lächelte jovial, als
wollte er sagen, so genau nehmen wir’s nicht. Er steckte die Münze ein und
öffnete ihnen die Tür zum Gastraum. Dieser Raum mit Theke war jetzt kleiner,
aber dafür war er nicht leer. Die Gäste mit schwarzer Hautfarbe waren deutlich
in der Mehrzahl.
In diesem Gastraum erfuhr Mark von einer Hochzeit, die demnächst
in dieser Siedlung stattfinden würde. Das machte ihn neugierig. Er stellte
Fragen zum Paar. Dabei erfuhr er, dass sie aus dem gleichen Haus aufgebrochen
waren. Sich über viele Jahre aus den Augen verloren hatten. Höchstens zufällig
sich getroffen hatten. Da sie jetzt nach vielen Jahren sich in dieser Siedlung wiedergefunden
hatten, beschlossen sie ein Fest zu feiern. Sie nannten es Hochzeit. Mark fand,
dass es eher ein Fest des Wiederfindens sei. Weil sie, beide aus dem gleichen
Haus aufgebrochen, sich hier wiedergefunden hatten. Manches, was man vom Mann
erzählte, erinnerte Mark an seinen eigenen Lebensweg. So war auch von einer
Bilbao-Wende die Rede, die erst viel später rückgängig gemacht worden war. Von
der Frau erfuhr er nicht viel mehr, als dass sie mit der Bahn gereist war und
über viele Stationen schließlich in Singen ankam. Singen lag nah an der
Zandsch-Siedlung, das ging daraus hervor. MLF
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