Donnerstag, 10. Mai 2012

49 Dunkel im Haupthaus

So leicht lässt sich Toni nicht mehr an der Nase herumführen. Er hat an Mili schon so viele Verwandlungskünste erlebt, dass er sie sofort durch jede Verkleidung hindurch erkennt. Nur diesmal liegt ganz eindeutig eine Farbige neben ihm. Schwarz wie die Nacht hebt sie sich vom weißen Leintuch ab. Sie liegt von ihm abgewandt. Er folgt mit den Augen den vollkommenen Konturen des Beckens, der Taille und der Schulter. Das pechschwarze Haar ist gewellt. Wie diese schwarzen Sklavinnen, denkt er, um die er die Sultane in den Geschichten immer beneidet hat, mehr als um ihre Schatzkammern (Das eine mochte mit dem anderen etwas zu tun haben). Während er noch überlegt, wie er die Exotin auf sich aufmerksam machen könnte, erwacht die Schönheit und dreht sich ihm langsam zu.
„Mili“, ruft er verblüfft. Sie lächelt triumphierend. Die Überraschung ist gelungen. Er ist sprachlos und fällt ihr in die Arme.
Nach dem Liebesspiel tupft er ihr mit einem Tuch die Schweißperlen von der glänzenden Haut. Sie bettet sich hoch und beginnt mit ernstem Gesichtsausdruck ihre Geschichte zu erzählen. AS
 
Er lädt Freunde ein und kocht zu Abend für sie. Er macht es schnell, Spaghetti mit Sauce und Mischgemüse. Zum Essen geh‘n sie rüber ins zweite Haus, in den Pavillon im Garten, der etwas höher liegt. Da sitzen sie um den großen Tisch vereint. Thema sind in dieser Runde die Reisen. Als Jasmus an der Reihe ist, berichtet er, was ihm mit Gila zugestoßen ist.
Die Freunde, alle sehr belesen, muntern ihn auf. „Ach was, das geht vorüber. Meine Fahrerin hat mal ein ganzes Jahr gestreikt.“ „Meine ist eine Zeit lang immer eingeschlafen. Dann mussten wir mittendrin anhalten.“ „Vielleicht hat sie ja nur ihre Tage gehabt.“
So ne blöde Bemerkung, denkt Jasmus, aber er ist trotzdem erleichtert. Da klingelt das Telefon. Die Vermieterin ist am Apparat. Wegen der Stimmen versteht er nicht recht. „Seid doch mal etwas leiser“, bittet er seine Gäste. Durchs Telefon hört er.
„Die andere Partei ist dagegen, dass getafelt wird.“
„Wieso?“, fragt er verwundert.
„Sie behaupten, nicht informiert worden zu sein.“
„Stimmt. Aber das hat mir auch niemand gesagt, dass ich das müsse. Ich kenne sie ja nicht mal“, sagt Jasmus und kann seine Verstimmung nicht ganz verbergen.  
„Ich wollt’s nur gesagt haben“, bemerkt die Vermieterin versöhnlich und legt auf.  
Er guckt befremdet auf das Mobilteil, als könnte es ihm weitere Auskünfte geben. Muss ich jetzt die Vermieter fragen, wenn ich hier ein paar Gleichgesinnte einlade?, fragt er sich verärgert. Die können mich mal!
Sammy steht neben ihm, der sich den fremden Ländern mit Vorliebe durch Kochbücher nähert. „Du, sag mal, wie hast du die Sauce gemacht?“
„Wie soll ich sie gemacht haben?“
„Kann es sein, dass du Pelatis aus der Dose verwendet hast?“
Jasmus verstummt. Es gibt die Regel, dass alles frisch sein soll, wenn sie sich treffen. Unwillig stößt er hervor. „Ich hab schnell gemacht, damit wir viel Zeit zum Reden haben.“
Er hört nachher wie Samy zu Lisa sagt: „Ja, er hat. Das wusst ich doch. Da kann man mich nicht täuschen.“ Jasmus spürt den enttäuschten Blick von Lisa.
Da scheint mal wieder eins zum anderen zu kommen. Ist doch wichtig, im Haupthaus nachzuschauen, sagt er sich. Vielleicht sind diese anderen Vermieter ja gekommen. Besser er sucht das Gespräch.
Im Haupthaus ist es dunkel. Nanu, eben hat noch das Licht gebrannt. Er tastet sich zum Schalter vor, tippt ihn an, nichts ändert sich. Er will es wissen und geht behutsam durch die Stube in den Flur. Auch da geht das Licht nicht an. Vage ahnt er, die haben im Keller den Sicherungsschalter gekippt. In der Küchenschublade findet er die Taschenlampe, öffnet die Kellertür. Schließt sie aber wieder. Nein, er geht jetzt nicht da runter.
Als er wieder am großen Tisch sitzt, sind zwei Reisen Thema, die er beide nicht gemacht hat. Die eine in die neuen Staaten des ehemaligen Jugoslawien. Das ist für ihn eine weiße Fläche auf der Landkarte. Er weiß nicht mal wie die Sprachen heißen. Kroatisch, klar. Aber Bosnisch, gibt es die? Die andere Reise ins aufstrebende China. Wenn man den Berichtenden glauben will, herrschen dort Zustände wie in Europa zur Zeit der Industrialisierung. Er sitzt stumm dabei. Ohne Gila ist er aufgeschmissen. Dann kommt er nirgends mehr hin. Eigentlich kann er dann auch die Teilnahme an diesen Treffen lassen. Nur zuhören mag er nicht. Er will mitreden, aber dazu muss man informiert sein.
Mit der Begründung eines Kurzschlusses im Haupthaus bittet er die Gäste, für den Nachhauseweg die Gartentür zu nehmen. Jasmus entscheidet sich dafür, ohne Licht ins Bett zu gehen.
Als er am nächsten Morgen aufsteht, brennt sowohl in der Stube, als auch im Flur das Licht. Wieder alles normal. Er hat es fast vermutet. Wenn wieder so ein Konflikt auftritt, brauch ich nur den Morgen abwarten. Dann ist alles wieder beim Alten, sagt er sich beruhigt.
Doch die nächste Reiserunde bei ihm wird im Herbst sein. Sie werden am Tisch in der Stube sitzen. Was ist, wenn dann das Licht ausgeht? Soll er Kerzen aufstellen? Was denken die Freunde, wenn bei ihm jedesmal, wenn sie kommen, Stromausfall ist? Besser ist es das Gespräch zu suchen. Diesen Wunsch teilt er seiner Vermieterin mit.

Tage später sieht er sie, die andere Partei. Die Vermieterin hat ihn in ihr Büro in einem modernen Gebäude an der Fußgängerzone gerufen. Sie tritt ans Fenster und winkt ihn zu sich. Sie blicken auf das bunte Gewusel einer beliebten Einkaufsstraße hinunter.
 „Dort ist sie, bei der Akazie.“
„Wer?“
„Die Vermieterin.“
„Aber die ist doch schwarz.“
Sie nickt.
Komisch. Schwarze kennt er eher als Sozialhilfe-Empfänger, denn als Vermieter. Und noch etwas irritiert ihn. Die schwarze Frau dort unten sieht seiner Bekannten, Heidi, sehr ähnlich. Er hat Heidi immer für den Inbegriff einer Einheimischen gehalten. Von ihrer Gestalt und ihrem Wesen her erinnert sie ihn an ein Freiberger Pferd. Eines jener kräftigen Zugpferde, mit breitem Kopf, stämmigen Beinen und den typischen Haarbüscheln hinter jedem Fuß. Bieder, gradlinig, von nicht zu dämpfender Schaffenskraft.
Die Frau, die er da unten sieht, ist wie Heidi, aber sie ist schwarz. Es ist ihm, wie wenn er von einem zweiteiligen Katalog zum ersten Mal die andere Hälfte aufgeschlagen hätte.
„Ist wohl am besten, wenn ich um einen Termin bei ihr bitte und mal mit ihr spreche, finden Sie nicht?“
Die Vermieterin macht einen überraschten Eindruck. „Kennen Sie sich aus im Wald?“, fragt sie.
„Im Wald? Warum? Wohnt sie im Wald?“
Sie nickt. „Ja, ihre Siedlung ist im Wald.“
Jasmus fragt nicht weiter. Das sind etwas zu viele Neuigkeiten, die da auf ihn einstürmen, hat er plötzlich den Eindruck. Vielleicht sollte er doch erst mal den Mietvertrag lesen, vor allem das Kleingedruckte. Wenn er das nur nicht so hassen würde. MLF

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