Er fährt mit Enrico zum Museum. Da er kein Busticket hat, muss er
aussteigen. Am unteren Rand des Ortes trifft er auf eine Truppe von
Schauspielern. Am Eingang steht ein Typ, der so ziemlich das Gegenteil von ihm.
Er stellt sich vor mit dem Namen Tristan Campermann …
Als Toni erwachte, hörte er ein Lied. Erst glaubte er, das Radio nicht ausgeschaltet zu haben. Aber es war eine einzelne Stimme, ohne Instrumente.
Das Lied handelte von einer
Frau, die sich ermutigt zu ihrem Geliebten zu halten. Die ihm helfen will an
seinen Zielen festzuhalten. Die ihm Wärme geben will in kalten und einsamen
Nächten. Sie will zu ihm stehen. Der Welt zeigen, dass sie ihn liebt. Ihm all
ihre Liebe schenken.
Es war der Refrain des Country-Songs‚
‚Stand by your Man‘ von Wynette Tammy. Als dieser wiederholt wurde, erkannte
er, dass es Mili war, die sang. Sie blickte ihn aus dem Halbdunkel an. Es war
ihm, als wollte sie sagen, wenn das eine Frau kann, warum sollte nicht auch ein
Mann sich so verhalten können. Hältst du zu mir, auch wenn du mich oft nicht
verstehst? Und zur Bestärkung zitierte sie aus der Strophe.
Er tut Dinge, die du nicht
verstehst. Aber du liebst ihn. Du wirst ihm vergeben, obwohl er schwer zu
verstehen ist.
Als sie den Refrain das
dritte Mal sang, hatten sich die Rollen vertauscht. Halte zu mir, auch wenn du
mich oft nicht verstehst, sagte sie ihm deutlich.
Dann zog sie ihn an sich
und sie begannen ein tolles Spiel, das ihnen viel Wärme gab und alle Einsamkeit
vertrieb.
Anschließend umriss sie
eine neue Geschichte und fragte ihn, ob sie weiterfahren solle? Er war so
überrascht, dass ihm der Mund offen blieb. Bisher hatte sie nie gefragt, ob er eine
Geschichte hören wollte oder nicht. Sie schwieg. Erst als er kräftig nickte,
erzählte sie die ganze Geschichte von Tristan Campermann. AS
Sie möchten im Schulort das Museum besuchen und fahren mit dem
Bus ortseinwärts. Er hat eine Karte fürs Museum und glaubt die Busfahrt sei mit
eingeschlossen. Der Busfahrer belehrt ihn eines anderen. Da er nicht bereit
ist, seinen Geldbeutel noch leerer zu machen, als er schon ist, fordert der
Fahrer ihn auf, bei der nächsten Haltestelle auszusteigen. Immerhin sind sie
schon im unteren Teil des Stadtzentrums. Der Bus schlängelt sich durch die
Abschrankung aus einen Meter hochstehenden Steinen und hält. Bodo steigt aus.
Enrico, der ungern zu Fuß geht, fährt mit seinem Abo bis zur Endhaltestelle am
Bahnhof. Von dort sind es nur fünf Minuten zum Museum. Obwohl sich Bodo gerne
bewegt, ärgert ihn, dass er früher aussteigen musste. Aber es kommt zu einer
interessanten Begegnung.
Kaum ein paar Schritte gegangen, gerät er unter eine Gruppe von
jungen Fahrenden. Zu ihnen gehört eine Sängerin, eine taffe und zugleich
sinnliche Frau, die gerade einen Preis für eine Musik-CD gewonnen hat. Vor
Freude singt sie. Ihre Stimme ist sicher und wohlklingend. Er schaut auf ihr
Gesicht und ihre sonstige freie Haut und sieht, dass sie überall fleckig braun
ist. Waschen scheint nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen zu gehören.
Trotzdem fühlt sich Bodo ganz besonders in ihrer Begleitung. Einerseits ist sie
drall und lasziv, andererseits doch schlicht. Diese Mischung gefällt ihm.
Mit den jungen Leuten zusammen gerät er zu einem mit Stellwänden
und Bändern abgegrenzten Aufführungs-Bereich am unteren Rand des Ortes. Sie
haben diesen um eine kleine Schaubühne geschaffen. Er würde gerne einen Blick
hineinwerfen, doch die Kasse am Eingang ist bereits besetzt. Der Mann, der da
steht, erscheint von seinem Äußeren her so ziemlich das Gegenteil von ihm.
Breite Schultern, goldblondes Haar und ein flaches Gesicht, aus dem sich die
Nase kaum hervorhebt. Mit
„Tristan Campermann“, stellt er sich vor.
„Ach, einer von den Campermanns“, entfährt Bodo spontan.
Da ihn der Flachgesichtige verwundert anschaut, erklärt er.
„Ich sehe in den Menschen halt oft den Schlag.“
Der skeptisch-fragende Gesichtsausdruck des Kassierers verändert
sich nicht. Deshalb berichtet er. „Wenn ich früher mit dem VW-Bus unterwegs
war, habe ich oft Menschen mit Namen Campermann getroffen.“ Einer von ihnen,
denkt Bodo, könnte vom Alter her sein Bruder sein. Deshalb fragt er. „Seid ihr
mehrere in der Familie?“
Die Reaktion Tristan Campermanns ist unbestimmt. Bodo hat den
Eindruck, als fühle er sich nicht in seinem Wesen erkannt. Als finde er, sein
Name sage mehr aus, als nur zu den Herumfahrenden zu gehören.
„Mein Freund wartet beim Museum“, erklärt er, zur Begründung,
warum er keinen Eintritt bezahlen möchte. Da sieht er, dass sie Zigaretten
verkaufen. „Ein Paket bitte.“ und legt die fünf Euro auf den Tisch, die er sich
gesträubt hatte, dem Busfahrer rauszurücken.
Der Kassierer zögert.
Bodo schaut ihn fragend an.
„Fünf fünfzig“, sagt dieser und fügt als Erklärung hinzu. „Fünfzig
Cent Kulturbeitrag.“
Ein guter Geschäftsmann, denkt Bodo, lässt nichts gerade sein.
Zum Glück findet er in der Coin-Tasche seiner Jeans noch einen Fünfziger.
Hastig zündet er sich eine Zigarette an und läuft los zum Museum.
Sein Freund dürfte sich schon wundern, wo er so lange bleibt. MLF
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