…
Auf seinen Fahrten – bevor er mit Tamura den Campus aufsuchte und
dadurch wieder auf Abasis kleine Schwester gestoßen war – hatte Mark da und
dort Menschen getroffen, die, wenn er sie fragte, woher sie kamen,
selbstverständlich zur Antwort gaben: „Vom Wald.“ Einige der Nachtschwärmer zum
Beispiel, mit denen sein Freund Franz verkehrte und nicht wenige von den
Fahrenden, die Mark unterwegs antraf. Und dann hatte es sich ein paarmal
ergeben, dass er ein Stück durch den Wald ging. Weil er dabei an die neuen
Bekannten dachte, schloss er nicht mehr die Augen, sondern schaute sich um. Dabei
sah er Dinge, die nicht der ihm vertrauten Welt anzugehören schienen. Die
Ausschnitte, die sich ihm zeigten, schienen abwechselnd der Welt von Dante oder
der von Alice entsprungen zu sein. Tiere, die sich wie Menschen verhielten,
Pilger, die keiner bestimmten Zeit angehörten, Spielkarten, die zugleich Menschen
waren, kundige Begleiter an seiner Seite. Immer wieder wurde er in Erstaunen
versetzt. Langsam ergab sich eine gewisse Orientierung im Wald. So lernte er
zwischen dem Nördlichen und dem Südlichen Wald zu unterscheiden (Im nördlichen
Wald hausten die Mindels, von denen es hieß, dass ihre Köpfe aus Stein seien).
Während des Studiums hatte er den Wald als Lebensbereich noch
nicht erkannt. Jetzt gab es ihn und ihm war sofort deutlich, Abasi musste aus dem Wald stammen.
Eines Tages war Mark wieder im Wald unterwegs. Er mochte zwei
Stunden oder ein halber Tag lang gegangen sein – das Gefühl für die Zeit war
ihm abhanden gekommen. Da spürte er, dass er vom mittleren Teil zum Südlichen
Wald gelangte. Er fühlte sich wohl unter den Bäumen. Von ihnen ging eine
Geborgenheit aus, die ihm guttat. Da stieß er zwischen den Bäumen auf eine
Holzbaracke. Verwundert blieb er stehen. Die Baracke war groß und stand leicht
erhöht auf Stelzen. Er wollte wissen, wer hier hauste und ging die Stufen hoch.
Durch die Tür trat er in den Flur, der die halbe Breite des einfachen Gebäudes
einnahm. Daran schloss sich ein breiter Gastraum an, mit einer langen Theke auf
der rechten Seite. Dann kam schon wieder die Ausgangstür. Da er weder Personal
noch Gäste antraf, ging er ganz hindurch und schaute gegenüber zur Tür hinaus.
Da sah er eine große Siedlung – von lauter Schwarzen. Für einen Amerikaner wäre
dies wahrscheinlich kein so ungewöhnlicher Anblick gewesen. Aber für ihn, der
noch nie mehr als drei Schwarze gleichzeitig gesehen hatte, war es eine
ziemliche Überraschung. Zwar war, was da vor ihm lag, offensichtlich ein
Ghetto. Aber von dieser Ansammlung von Schwarzen ging eine Kraft aus, die er
unmittelbar spürte. Er glaubte Spuren seines Lebens wie Fäden hier zusammenlaufen
zu sehen. Vorfälle, die er bisher nicht hatte verstehen können, wie der Tod von
Abasis kleiner Schwester, fanden hier ihre Auflösung. Unwillkürlich musste er
an die dunklen, kompakten Massen in den Kernen von Galaxien denken. Im
Verhältnis zu ihrem spezifischen Gewicht erscheinen sie klein. Aber man nimmt
an, dass sie bei der Bildung einer Galaxie und für ihren Fortbestand von großer
Bedeutung sind. So kam ihm diese Siedlung vor. Er konnte sie mit einem Blick
überfliegen, gleichzeitig war da eine Wirkung, von der er nur ahnen konnte, wie
viel Einfluss sie auf sein Leben ausübte. Die Scheu, die er vor diesem neuen,
ihm unbekannten Raum empfand, stellte sich gegen die stärker werdende Neugier. Was
passiert mit mir, wenn ich mich da hineinbegebe?, fragte er sich. Werde ich
festgehalten? Werde ich selber schwarz werden? Doch er überwand seine Furcht
und schickte sich an, die Stufen in die Siedlung hinunter zu gehen. Da spürte
er, dass er vorher pinkeln musste.
Die Baracke bot den geschützten Raum, in dem er loslassen konnte,
was sich in ihm angesammelt hatte. Er ging zurück zum Flur mit den Toiletten. Während
er dastand und den Strahl in die Rinne fließen ließ (Schüsseln gab es keine)
war das eine Befreiung für ihn, als hätte er alles, was er in der letzten Zeit
erlebt hatte, zu Papier gegeben und auf diese Weise aus sich rausgesetzt. Er
ließ es fließen, denn er spürte, dass er sich leeren musste, bevor er dieses
neue Gebiet betrat. MLF
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