Wendys sechsundzwanzigstes
virtuelles Abenteuer
Auf seinem nächsten Ausflug in die virtuelle Welt, wurde Wendy
zum Hof von Geißlers in Adiswil entführt. Kindheitserinnerungen gemischten
Inhalts wurden wach. Die Großcousins und Cousinen waren zu sehr Konkurrenten
gewesen, um mit ihnen in ein wirkliches Spiel einzutauchen. Sie hatten gerne
ihre Verstecke und ihre schöne Spielhöhle gezeigt, aber mehr, um damit
anzugeben, als um richtig einzuladen. Vielleicht sah man sich auch einfach zu
selten, um bei einem halbtägigen Besuch am Sonntagnachmittag miteinander warm
zu werden.
Ein bisschen wie ich mit der Politik, dachte Wendy – aber erst
später, als er die treibende Kraft hinter dieser neuen virtuellen Reise
entdeckt hatte. Er hielt Politik für etwas Wichtiges und Unumgängliches und er
bewunderte Menschen, die sich in dieser abmühten (wenn sie nicht vom Eigennutz
geleitet wurden). Aber es war nicht sein Feld.
Wendy fand sich bei Geißlers hinter der Scheune in dem Hof, der
diese mit einem Schuppen bildete. Die Gebäude und der Hof selber, waren noch
etwas verstaubter, als es um landwirtschaftliche Nutzbauten herum gewöhnlich
schon war. Als hätte dieser Hinterhof dreißig Jahre im Dornröschenschlaf
gelegen. Die Geißlers und er hatten zwei Wagen, wie sie die Handwerker
benutzten, um die zu bearbeitenden Stück von einer Arbeitsstation zur nächsten
zu fahren. Also etwas vom Hobeln zum Kehlen, zum Schleifen, zur Montage, zum
Feinschliff und schließlich zur Oberflächenbehandlung.
Mit dem einen dieser beiden Wagen ging Wendy auf die Scheune zu,
in der der sich der Aufzug befand. Er öffnete dazu die Schiebetür und schob den
Wagen hinein. Erst dachte er, da ist doch gar kein Lift. Doch dann entdeckte er
im Boden den abgegrenzten, mit einem Metallprofil eingefassten Bereich einer
Fahrzeug-Waage. Da drauf stellte er sich und die Schiebetüre fiel zu.
Eine virtuelle Reise fand jetzt statt, deren Verursacherin er
erst später, in einem Kino, auf die Spur kam.
Wendy befand sich hoch in einer Hügellandschaft in einem sehr
geräumigen Bahnwagen. Mit ihm im Wagen waren nur noch zwei Personen, alle
anderen saßen im Hauptwagen vorne. Es war eine traditionelle Bahn, wie sie
vereinzelt in Berggebieten wieder eingesetzt wird, für Touristen. Seinem Blick
boten sich grüne Hügel und weiter hinten Felsen. Teile der Landschaft lagen
schon im Schatten, aber noch herrschte eine schöne Nachmittagsstimmung. Durch
den Lautsprecher ertönte die Stimme der Zugbegleiterin.
„Wir dürfen heute einen besonderen Fahrgast unter uns begrüßen“,
sagte sie in einem feierlichen Ton.
Wendy sah, wie die Fahrgäste vorne sich umdrehten und in den
Wagen zu ihnen starrten. Der eine Mann seitlich von ihm war es sicher nicht.
Der fiel überhaupt nicht auf und regte sich auch nicht. Also musste es der Herr
hinter ihm sein, der etwas fünf Reihen weiter hinten saß.
„Der Herr Minister Rösler weilt unter uns“, lüftete jetzt die Touristenagentin
das Geheimnis und sprach den Minister persönlich an.
„Herr Minister, was verschafft uns die Ehre Ihres Besuches? Sind
es wichtige Geschäfte oder sind sie nur auf Urlaub?“
Ich möchte ein paar Tage zur Erholung hier verbringen“, gab er
mit einer ruhigen, sympathischen Stimme zur Antwort.
Die Agentin stellte ein paar weitere Fragen und er antwortete in
natürlicher und angenehmer Art.
Wendy war versucht sich umzudrehen. Aber er wagte doch nicht sich
die Blöße zu geben. ER stellte sich den Minister vor, breitschultrig, ein
fülliges Gesicht, gelichtetes, graues Haar und ein väterlich joviales Lachen.
Jedenfalls war er überrascht, einen hohen Politiker mit einer so freundlichen
Stimme, ohne Dünkel und ohne Herablassung zu hören.
Bei Aussteigen nachher stand Wendy dem Minister auf der Plattform
der Bergbahn kurz gegenüber. Überrascht sah er einen eher zierlichen Menschen
und die Kleidung widersprach geradezu dem Bild, das der sich gemacht hatte. Er
trug ein enges Beinkleid aus grünem Filz mit Stulpen als Verbindung zu den
Schuhen. Er wirkte wie ein Jäger oder fast noch eher wie ein einfacher Soldat.
MLF
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