Wendys acht a-tes
virtuelles Abenteuer
Auf einem Platz, zwischen Häusern eingeschlossen, stand er, mit
Blick auf die Himmelsdecke über ihm. Es war ein eher düsterer Tag und Wendy war
etwas wehmütig ums Herz. Auch bei ihm kam es vor, dass er von Trübsinn geplagt
wurde. Es war nicht der Himmel direkt über ihm, der ihn beunruhigte, sondern
das glänzende Grau weiter hinten. Wenn er dorthin sah, überkam ihn, alleine vom
Anblick dieses Graus, ein Gefühl der Kälte. Er sah den Winter herannahen, er
dachte an seinen unsicheren Job, er spürte das Älterwerden und was ihn sonst an
Ungutem erwarten könnte. Unwillkürlich zog er den Reißverschluss der Jacke
höher, denn ihn fröstelte.
Der Platz war leer. So weit er blicken konnte, war niemand zu
sehen. Auch nicht bei den Hauseingängen und in den abzweigenden Straßen. Aber
neben ihm stand jemand. Einer von der Art, die einen solchen, ungestörten
Moment abwarteten, um Einfluss nehmen zu können. Der Nebenstehende hatte Wendys
Befremden über den grauen Himmel sehr wohl bemerkt, denn er knüpfte genau dort
an, als er sagte:
„Ist doch super, so hat man
einen Spiegel.“
Wendy sah ihn erschrocken an. Eine graue Gestalt in einem grauen
Mantel. Unauffällig bis zur Unsichtbarkeit.
„Sie wollen damit doch nicht sagen, dass das Leben genau so grau ist
wie der Himmel dort?“
Statt zu antworten, fadete sich der Unbekannte aus. Weg war er.
Wendy, der wusste, dass er noch in der Nähe sein musste, rief zornig.
„Das ist typisch für euch Sarkastiker. Ihr liefert die bissigsten
Kommentare, aber wenn man eine ernsthafte Antwort will, löst ihr euch in Luft
auf.“
Er sah von dem leeren Platz aus wieder auf das glänzende Grau in
der Ferne und dachte. Wenn das wirklich ein Spiegel des Lebens ist, dann könnte
ich mich ja gleich umbringen. Der Sarkasmus des Unbekannten weckte in ihm aber
das Gegenteil. Er fasste den Entschluss, etwas zu ändern.
Direkt über ihm war der Himmel von senkrechten Lamellen
unterteilt, sodass man die Himmelsdecke gar nicht wahrnahm. Diese Lamellen
vermittelten ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit. Die Himmelsdecke war einer
Zimmerdecke gar nicht unähnlich, wenn auch deutlich höher.
Wendy suchte nach einer praktischen Lösung, wie er das Problem
des grauen Himmels in der Ferne beheben konnte. Die Lamellen über ihm, die den
direkten Blick auf den Himmel abdämpften, waren sehr dicht montiert. Wenn er da
und dort eine herausnähme und diese weiter hinten anbrächte, so würde dadurch
das heimelige Gefühl an seinem Platz nicht gestört und der Blick auf das Grau
in der Ferne wäre verstellt. Folglich war auf diese Weise sein Problem zu
lösen.
Er ging deshalb los, um eine Leiter zu suchen. Es war gar nicht
so leicht, eine stabile Leiter zu finden, die hoch genug war, um an die
Lamellen heran zu kommen. Aber schließlich fand er, was er suchte.
Auf der Leiter balancierend tastete er sich an die einzelnen
Lamellen heran. Sie hatten eine handliche Größe von etwa anderthalb Meter auf
einen halben Meter. Er sah, wie gut sich die Lamellen lösen ließen. Manche
gingen so leicht weg, dass er sich wunderte, wie sie so lange gehalten hatten.
Jedenfalls nahm er sich vor, beim Anbringen nachher deutlich größere Nägel zu
verwenden. Schade, dass ich alleine bin, klagte er. Wegen jeder Lamelle musste
er von der Leiter hinuntersteigen und wieder hoch klettern.
Da kam zum Glück Pirmin, ein Bekannter, daher, der Priester einer
christlichen Gemeinschaft war. Pirmin trat neugierig hinzu und wollte gerade
fragen, was er sich hier zu schaffen mache, als Wendy rief.
„Du kommst mir sehr gelegen. Nimm mir die Lamellen ab, dann
brauche ich nicht jedes Mal nach unten steigen.“
Wendy bemerkte wohl, dass der Priester nicht begeistert war. Dieser
Handlangerdienst schien ihm nicht zu gefallen. Aber da er sich zum Dienen
verpflichtet hatte, durfte er ja nicht einfach weiter gehen. Und so reichte ihm
Wendy eine Lamelle nach der anderen hinunter.
Pirmin trug eine sonderbare Mütze, wie sie die Rabbis tragen. Das
veranlasste Wendy zur Frage. „Bist du neuerdings zur jüdischen Gemeinde
übergetreten?“
Dieser nutzte Wendys saloppe Frage, um seinem Unbehagen Luft zu
verschaffen.
„Weißt du noch nicht, dass wir jetzt auch mit den Jüdischen in
Ökumene leben?“, sagte er, ihm sein Unwissen vor Augen haltend.
„Was? Nein, ist mir nicht bekannt“, gab Wendy zu.
Er stieg schon bald von der Leiter hinab. Bevor er weitere
demontierte, wollte er versuchen, wie es mit der Montage weiter hinten klappen
werde.
„Wenn du so freundlich bist und wartest, sagte er zu Pirmin. Ich
muss nur schnell zur Werkstatt, um längere Nägel zu holen.“
„Das geht nicht“, sagte Pirmin streng und stellte sich ihm in den
Weg. „Die Länge der Nägel ist rituell festgelegt. Sie darf nicht verändert
werden.“
Wendy begriff nicht gleich und starrte den schwarz Gekleideten
an.
Dieser setzte nach. „Überhaupt ist eine solche Arbeit nur im
Beisein eines Geweihten erlaubt“, betonte er mit Nachdruck.
Erst jetzt erkannte Wendy in welche Richtung der Wind wehte. Da
war Pirmin bei ihm aber an den Falschen geraten. Schon hier lag ihm auf der
Zunge zu sagen. Das ist mein Himmel und hier bestimme ich.
Aber da er mit ihm befreundet war und er beim Montieren seine
Hilfe noch brauchte, hielt er sich zurück und sagte stattdessen.
„Gut, wenn du meinst, dann will ich es mit den alten Nägeln
versuchen.“
Wendy nahm einen großen Bündel Lamellen unter den Arm und
schickte sich an, dahin zu gehen, wo das Grau des Himmels glänzte. Doch Pirmin widersetzte
sich erneut und sagte.
„Trotzdem geht das nicht. Nicht mal ich kann es entscheiden. Wir
müssen bei der Obrigkeit nachfragen.“
Jetzt platzte Wendy der Kragen. Er wusste, was das bedeutete,
Aufschub von Kirchentag zu Kirchentag, von Konzil zu Konzil.
„Dann geh deines Weges“, herrschte er ihn an, „ich werde schon
jemanden finden, der mir hilft und wenn nicht, schaffe ich es auch allein.“
Er nahm die Leiter und trug sie zu einer Nische am Rand des
Platzes. Als er die Lamellen wegtragen wollte, hielt Pirmin diese fest.
„Die bleiben hier. Die sind Eigentum der Kirche.“
„An meinem Himmel?“, rief Wendy erzürnt. „Du hast’s ja wohl nicht
alle.“ Er packte die Lamellen und ging los. Aber der Priester hielt sie fest
und stemmte sich in den Boden. Doch Wendy war stärker und zog ihn mit sich
fort.
Als sie in der Nische waren, drängte er Pirmin gegen die Wand und
drohte. „Hier habe ich das Sagen. Hast du verstanden?“
Der unterwürfige Ausdruck in den Augen des Unterlegenen hatte
sich noch verstärkt. Ein Blick auf die Wölbung bei der Hose, sagte ihm das
übrige. Schade, dass er keine Soutane trägt, dachte Wendy. Er presste sich
gegen Pirmin und rieb ihm mit seiner Hüfte die Schwellung.
„Und, wann stehst du bereit, die Lamellen, am neuen Standort mit
anzubringen?“, fragte er in herrischem Ton.
Pirmin schaute unterwürfig zu ihm auf.
„Wenn’s dunkel wird“, schlug er zaghaft vor.
„Du Feigling“, rief Wendy spottend, „aber mir soll’s recht sein.
Ich will dich ja nicht um deinen Job bringen.“ Und er ließ ihn los. MLF
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