Es war noch gar nicht viel Zeit seit der Hochzeit vergangen, da rief ihn Sally, seine Tochter, an und teilte ihm mit, dass Elisabeth einen Jungen geboren habe. Sally drängte ihn, mit ihr die Freundin zu besuchen. „Oder lässt dich dein hombscher Freund nicht gehen?“, fügte sie provozierend hinzu.
„An welchen Tag denkst du?“, fragte Wendy, ohne auf die Spitze
einzugehen.
„An heute Abend.“
„Ach so – heute Abend“, sagte er und überlegte, ob er etwas
vorhatte.
„Erst spät“, fügte Sally hinzu, „Elisabeth sagt, ihr sei lieber,
wenn wir in der Nacht kämen.“
Der Junge war erstaunlich reif. Er wirkte gar nicht wie ein
Säugling, eher wie ein Kleinkind. Aber etwas anderes erstaunte Wendy noch mehr.
Der Junge hatte einen besonderen Hinterkopf. Im hinteren Teil des Kopfes hob
sich der Schädel nochmal in die Höhe, als trüge er einen flachen Turban. Er
erschrak, denn er glaubte, es handle sich um eine Missbildung, um einen
Geburtsfehler. Aber dann fiel ihm der Betende in der Bibliothek ein, der genau
diese Kopfform gehabt hatte. Wie lange mochte es her sein, dass er ihn
getroffen hatte? Etwa zwei Wochen vor der Hochzeit. Da hatte jemand Wendy am
Eingang der Bibliothek abgefangen und ihm in einem der Räume eine Zeremonie
vorgeführt, während er daneben gestanden und zugeschaut hatte. Dieser Betende
hatte genau die gleiche Kopfform gehabt. Das beruhigte Wendy. Anscheinend gab
es Menschen mit so geformtem Kopf, wie es Menschen mit flachem oder gewölbtem
Hinterkopf gab. Der Junge war in seinem Verhalten nicht auffällig. Nur dass er so
reif war, verwunderte. Sally reichte ihm ihre Zeigefinger. Er konnte sich daran
aufrichten.
Es war deutlich nach Mitternacht, als Elisabeth den Tisch deckte
und sie gemeinsam aßen – mitten in der Nacht, wie man sonst zu Mittag isst.
Wendy war erleichtert, dass von ihrer Auseinandersetzung bei der
Hochzeit nichts mehr zu spüren war. Das hat also doch, wie ich vermutet habe,
an ihrem schwangeren Zustand gelegen, sagte er sich. Doch beim Abschied zeigte
sich, dass noch nicht alle Wolken verzogen waren.
Beat Amwald hatte sich am Rand aufgehalten und hatte auch nicht
mit ihnen gegessen. Wendy hatte ihn gar nicht im Bewusstsein getragen, während
Elisabeth, Sally und er sich mit dem Kind beschäftigten. Erst am Schluss beim
Gehen sah er ihn im Flur und wandte sich ihm zu. Da sah er, dass Beats rechter
Mittelfinger mit einem dicken weißen Verband umwickelt war.
„Was hast du denn angestellt?“, fragte er.
Er habe mit dem Hammer daneben getroffen, gestand Beat und
streckte ihm die Hand mit dem weiß umwickelten Finger entgegen.
Elisabeth überreichte Beat den Jungen und begleitete sie zur Tür.
Beim Abschied machte sie ihm dann doch noch einen Vorwurf, der Wendy hart traf.
„In deiner Werkstatt wird’s nie so weit kommen, dass du einen
Keim auszudrucken hast“, sagte sie. Ihre sonst so schönen, gerundeten Züge
nahmen dabei einen harten Ausdruck an. Sally schaute ihn verwundert an. Wendy
ließ sich aber nichts anmerken. Er küsste Elisabeth auf die Wangen und wünschte
ihr gutes Gedeihen für ihren Sohn.
„Was hat sie dir vorgeworfen?“, fragte die Tochter, als er sich
neben ihr auf dem Beifahrersitz anschnallte.
Er glaube, er wisse, worauf sie anspielte, sagte er und
berichtete Sally davon. Vor noch nicht langer Zeit, ein Monat oder zwei, war er
im Eschenbacher Kulturzentrum gewesen. Dort hatte er jemanden getroffen, der
ihm einen Ritus vorgeführt hatte. Aber er hatte die Sache nicht weiter
verfolgt. Er vermute, das sei’s, was sie ihm vorwerfe. MLF
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