Die Nacht hatte er oben auf der Degerhöhe verbracht. Aber es
waren unruhige Stunden gewesen. Ihm kam es vor, als sei er die ganze Nacht am
Rangieren gewesen. Da hatte ein Stück weiter zurück etwas auf der Straße
gelegen. Unschlüssig, ob er es aufnehmen sollte, war er vorbeigegangen. Dann
war er in die Bahn im Wald gestiegen und nach unten gefahren. Den Schlaf, den
er oben vermisst hatte, holte er auf der Sitzbank nach. Mit dem Ergebnis, dass
er ganz unten landete.
Als er die Station verließ, traute er seinen Augen nicht. Die
ganze Stadt lag am Hang über ihm, mit ihren unzähligen Häusern. Er sah fast
ausschließlich Grau, von Mauern und Schieferdächern hauptsächlich. Seine
spontane Frage war: Wie komme ich da je wieder hoch?
„Mit der Füße Kraft!“, sagte er laut und fing an, zügig
auszuschreiten. Aber gegen später stieg er dann doch in einen öffentlichen Bus
und ließ sich ein gutes Stück hochbefördern. Kurz vor dem Ziel hatte sich die
Tasche einer älteren Dame mit ihrem ziemlich großen Schirm verheddert. Er nahm
sich der Sache an und versuchte den Knoten zu lösen. Aber mit wenig Erfolg.
Schließlich musste er klein beigeben, denn der Bus war am Ziel angelangt.
Kaum zuhause angekommen, er hatte die Rollläden hochgezogen und
die Fenster zum Lüften geöffnet, da klingelte es an der Tür. Er stieg die
Treppen hinab und öffnete. Ein dunkel gekleideter Herr mit Krawatte fragte:
Sind Sie … … ?
Er nickte. Am Straßenrand stand ein schwarzer Wagen mit dem
typischen Aufbau der Begräbnisfahrzeuge. Ihm war mulmig zu Mute. Er folgte dem
Bestatter. Dieser öffnete die Klappe und zog einen Sarg auf Rollen ein Stück
weit heraus. Der Leichenbestatter öffnete den Deckel. Ein Schwarzer.
Langsam kam die Erinnerung. Es lag schon ziemlich lange zurück. Markstände
von Fahrenden. Dort hatte er auch Farbige kennengelernt. Ein Schwarzer war
dabei gewesen – ohne Zweifel ein Hombscher. Mit ihm hatte er geflirtet, aber
nicht mehr. Er hatte ihm Briefe geschrieben. Doch dann hatte er vor dem
Schließen Zecken und Flöhe darin entdeckt - weil es bei ihm von diesen Biestern
wimmelte. Er konnte nicht sicher sein, dass sie nicht in den Umschlag gerieten.
Deshalb hatte er es schließlich unterlassen zu schreiben. Woran mochte der
Schwarze gestorben sein? Er wandte sich an den Leichenbestatter.
„Können Sie mir sagen, was zu seinem Ableben geführt hat?“,
fragte er.
Der Bestatter schaute ihn befremdet an. Er gab keine Antwort.
Womöglich hatte er diese Frage ihm stellen wollen.
Einen Moment lang überlegte er, ob er den Sarg nicht einfach
zurückweisen sollte. Aber er verwarf diesen Gedanken sofort. Der Leichenbestatter
half ihm den Sarg in den Garten zu tragen. Zurück beim Wagen ließ er ihn einen
Zettel unterschreiben. Dann fuhr er davon.
Im umfriedeten Garten stand ein Gebäude, das der Form nach einer
Kapelle ähnelte. Der nach vorne offene Raum war innen weiß getüncht. Dies
schien ihm ein würdiger Ort, um den unglücklichen Schwarzen beizusetzen.
Warum hatte er sich nicht in der Zandsch-Siedlung begraben
lassen? Warum bei ihm? Das verstand er nicht. Aber er wollte dem Toten seinen
Wunsch nicht absprechen. Er hob das Grab aus. Bevor er den Sarg hinuntergleiten
ließ, öffnete er nochmal den Deckel und machte ein Bild von dem Toten. Dann
versenkte er den Sarg und warf Erde darüber. Am Schluss streute er Kalk über den
Begräbnisplatz. Das Bild ließ er drucken und in einen Rahmen einschweißen und
legte es auf das Grab. Er stellte einen Stuhl in den offenen Raum und wenn er
etwas Zeit hatte, setzte er sich zum Grab des Schwarzen. Er fing an sich
Gedanken zu machen. Zum Beispiel fragte er sich, was der Schwarze ihm damit
sagen wollte, dass er sich von mir begraben ließ?
Einmal glaubte er eine Stimme zu hören.
„Und das alles, weil du nicht Koch sein willst oben.“
Ihm war, als hätte der Tote zu ihm gesprochen. MLF
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