Nach der Geschichte von Mili war er wieder eingeschlafen.
Er wachte mit einem großen Bedürfnis nach Ordnung schaffen und
Reinemachen auf. Die Sonne stand schon ziemlich hoch. Entsprechend war die
Temperatur in Bus. Er zog die Schiebetür zurück und ließ frische Luft
einströmen. Unter der Spüle, die im Wohnmobil gleichzeitig als Waschbecken
diente, fand er einen Mülleimer mit Deckelheber, der aber winzig klein war. Damit
konnte er sein Bedürfnis, sich vieler Dinge zu entledigen, wohl nicht
befriedigen. Zuerst einmal bereitet er sich ein Frühstück. Der Kaffeegeruch,
fand er, roch im Wagen noch besser als zuhause. Er hatte den Transit am Rand
eines Freizeit- und Sportareals geparkt. Während er frühstückte, füllte sich
langsam der Parkplatz und Gruppen von Sportbegeisterten kamen zu Fuß von einer
nahen Haltestelle des öffentlichen Verkehrsnetzes. In Vorfreude auf das
bevorstehende Spiel sangen sie und wiederholten lautstark den Namen ihrer
Mannschaft. Aus der großen Beteiligung schloss er, dass es sich um ein
wichtiges Spiel handelte. Er beendigte sein Frühstück und schloss sich dem
Zustrom an. Das Stimmengewirr, die Hörnertöne und schrillen Pfiffe erhöhten die
Spannung und rissen ihn mit. Aber dieses Gefühl, sich von etwas befreien zu
müssen, verließ ihn nicht.
Das Spielfeld war rings von Fußballbegeisterten umringt. Um den
Ball auf dem Feld zu halten, wurde von den Zuschauern eine Plane hochgehalten,
die, je nachdem wo der Ball sich gerade befand, angehoben oder gesenkt wurde. In
einer Ecke fand Toni noch einen Platz nahe dran und ergriff auch die Plane, um
das Spielfeld vom Publikum zu trennen. Direkt am Feld dran, schoss ihm die
ganze Wucht dieses Spiels ins Blut. Die Spieler waren richtige Profis. Es wurde
mit großem Talent und vollem Einsatz gespielt. Er stand auf der Seite der
Kickers und stimmte mit den ihn Umgebenden in die Freudenrufe und Klagen ein,
je nach Erfolg oder Verlust der Spieler. Vom Lärm und vom eigenen Rufen geriet
er in einen Rausch. Doch störte ihn auf Dauer die Trennung zwischen Spielenden
und Zuschauern. Durch die Plane, die man zur Abgrenzung nutzte, wurde diese
Erfahrung noch verstärkt – auch wenn sie durchsichtig war. An die Stelle, wo er
stand, kam nur selten ein Ball hin. Nach und nach wurde Toni das Halten der
Plane und die ganze Aufregung zu viel.
Die hintere Längsseite des Feldes grenzte an einen steil
ansteigenden Hügel. Sein Platz war an der Ecke zu diesem. Auf dem Gipfel sah er
Beobachter. Die Möglichkeit, das Spiel von oben zu sehen, reizte ihn. Bis zur
Halbzeit hielt er durch. Dann übergab er seinen Posten an den nächsten, der von
hinten Drängenden und begab sich auf den Fußpfad zur Erhebung hoch.
Von oben konnte er nicht nur das Spielfeld, sondern auch die
ganze Menge der Zuschauer überblicken. Die Trennung zwischen Spielenden und
Zuschauern fiel von hier noch stärker ins Auge. Obwohl er jetzt jeden Einsatz
und jeden Pass genau verfolgen konnte, interessierte ihn der Spielverlauf
plötzlich nicht weiter. Das Spiel hatte keine Bedeutung mehr für ihn. Ihm wurde
klar, dass es nur die Bedrohung, die von den Spielern ausgegangen war, gewesen
war, die ihn gefesselt hatte. Jetzt, da diese weg war, schaute er nicht mal
mehr hin. Er legte sich ins Gras und dachte an Mark, wie es ihm wohl ging? Ob
er sich dank der guten Pflege durch Heinrich schon etwas erholt hatte. von den
Strapazen der Fesselung in einem Wasserkanal Kleinengingens?
In den Bus zurückgekehrt schaute er sich in den Schränken um. Er
fand einige Vorräte und kochte sich ein einfaches Mahl. Spiralnudeln mit
Tomatensauce. Im Kühlschrank entdeckte er Möhren, von denen rieb er sich einen Salat
und schmeckte diesen mit wenig Essig und Öl ab.
Da ihm in der Mittagszeit seine Zeitung fehlte, geriet er mit
seinen Gedanken wieder in die Welt von Mili. Er hatte bisher zwei ihrer Helden
kennengelernt, Jasmus und Mark. Und bei René, dem dritten, war er im Haus
gewesen. Es bestand also kein Zweifel mehr, dass Mili nicht von erfundenen
Figuren, sondern von wirklichen Personen berichtet hatte. Erduan, der in verschiedenen
Holzfirmen arbeitete und Tommy, der schwer mit der Existenznot zu ringen hatte,
würde er sicher auch begegnen. Dann waren da noch Bodo und Kermit gewesen, von
deren Erlebnissen sie auch berichtet hatte. Wenn er mit ihnen allen Kontakt
pflegen wollte, würde er auf vieles verzichten müssen. Darin hatte er sich
schon fleißig geübt, in der Zeit, da er für Mili jeden Tag eine Geschichte in
einen Blog umgewandelt hatte. Vielleicht verspürte er deswegen dieses drängende
Gefühl, sich verschiedener Dinge entledigen zu müssen.
Auf dem Hügel war ihm klar geworden, dass er diese Spiele, die so
klar zwischen Agierenden und Zuschauern trennten, nicht mehr brauchte. Die
Aufregung, die sie verursachten, würde er nicht vermissen. Sie hatten für ihn
keine Bedeutung mehr. Aber da war noch immer das Gefühl, sich erleichtern zu
müssen. MLF
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