Mittwoch, 22. Februar 2012

15 Den Bach runter i


Manchmal erschien mir der Geschlechtsakt mit Mili mehr wie ein Kraftakt, als wie ein Liebesakt. Aber gerade dann waren wir uns danach besonders verbunden. Genau so war es in dieser Nacht.
Schließlich löste sie sich von mir, setzte sich auf und erzählte mir, während ich die Hand auf ihre Brüste legte, von Erduan, der in Irkutsk… AS

Im Gebäude der Volkshochschule am Rande von Irkutsk hatte Erduan Gelegenheit das Möbel zu fertigen, das er einer internationalen Firma in Aussicht gestellt und an dem sie Interesse gezeigt hatten. Das Gebäude war nur ein einfacher Schuppen und bis auf einen kleinen Holzofen, in dem sie Holzabfälle verbrannten, gab es keine Heizquelle. Aber zum Arbeiten ging’s. Die anderen waren deutlich jünger als er, Jungs und Mädels gemischt. Er was so mit seinem Projekt beschäftigt, dass er kaum mitkriegte, was sie herstellten. Jedenfalls nichts, was sein Interesse besonders erregt hätte. Da er das Möbel über die Grenze nach China mitnehmen wollte, fertigte er nur die Einzelteile. Selbst die Schubladen beließ er in Teilen. Gerade so wie man ein Möbel aus einem IKEA Lager erhält. Das Deckblatt war das Sperrigste vom Ganzen. Schließlich baute er aus leichtem Holz eine aufrechte Kiste, die just das Tischblatt umfasste und in der Tiefe genug Platz für die restlichen Bauteile bot.
Am Tag der Abreise brachte er es zur Bahnstation. Es würde im gleichen Zug, in einem angehängten Wagen transportiert werden.
„An der Grenze müssen Sie zum entsprechenden Wagen gehen“, teilte der Beamte ihm mit.
Als sie hinter Wladiwostok an die Grenze kamen, wurde er mit den anderen Reisenden geweckt. Es war mitten in der Nacht. Noch etwas benommen vom Schlaf ging er nach draußen. In weiser Voraussicht hatte er die Kiste mit aufklappbarem Deckel gefertigt. Der Zöllner schaute die Teile mit der Taschenlampe an. Erduan stellte die Form des fertigen Möbels mit den Händen dar. Der Beamte schien begriffen zu haben und überreichte ihm einen Zettel, auf dem die Gebühr stand. Nachdem er bezahlt hatte, wurde der Kiste ein Pack von vier Äpfeln, in Folie verschweißt, beigefügt. Dem Gesicht des Zöllners entnahm Erduan, dass damit alles seine Richtigkeit hatte.
In der chinesischen Stadt, in der er die folgenden Jahre zu leben sich vorgenommen hatte, baute er das Möbel zusammen und brachte es zur internationalen Firma, für die er diesen Prototypen geschaffen hatte. Es war üblich, dass er einen ersten Betrag erhielt und dann Prozente auf die verkauften Stückzahlen. Ihm gefiel das Pult sehr gut, wie es dastand. Ein Schreibtisch mit mehreren Schubladen, bestechend durch seine schräge Form und den gedämpften Gelbton, den er durch eine besondere Beize erreicht hatte.
Der Handelsmann schaute das Möbel an. Aber statt mit ihm in Verhandlung zu treten, öffnete er die Tür und schob es aus dem Laden. Das Möbel rutschte die abfallende Gasse hinunter und unten direkt in eine Halle hinein.
Den Herrn verwundert anschauend, erhielt er zur Antwort: „Die wissen da unten, was damit zu tun ist.“
Er war zu verblüfft, um darauf zu reagieren. Der Händler fragte nach seiner Adresse und versicherte sich, dass die Daten auf seinem Bildschirm mit den genannten übereinstimmten. Dann sagte er, „man wird sich in den nächsten Tagen bei Ihnen melden.“
Erduan verabschiedete sich. Er war so verunsichert, dass er nicht wagte, den Kaufmann auf den Vorschuss anzusprechen.
Unten, am Fuß des steilen Viertels, wurde ihm die Sache erst klar. Es handelte sich um die Halle einer Müllverwertungsfirma. Er schaute sich um, aber sein Prototyp war nirgends mehr zu sehen. Mit düsterer Ahnung sah er voraus, was die Meldung in den nächsten Tagen sein würde.
Hatte er sich nicht entschieden, eine Weile in China zu leben? Da bot sich ihm doch die ideale Gelegenheit, das Lächeln in jeder Situation zu üben, mochte die Lage noch so aussichtslos sein. MLF

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