Mittwoch, 26. September 2012

102 Innerer und äußerer Clown



Wendys siebtes virtuelles Abenteuer

Das siebte Abenteuer führte Wendy wieder nach Home und er erlebte eine Verwandlung seiner Arbeitswelt, wie sie im gewöhnlichen Leben wohl nur innerhalb der Spanne von vielen Jahren möglich wäre.
Das erste Gebäude, in dem er arbeitete, war sonderbar genug. Es handelte sich um den Bau, der direkt an die Home‘sche Kirche anschloss, so dass es schien, als sei das Haus mit der Kirche verwachsen. Der Arbeitsbereich war zweigeteilt, links der Bürobereich, in dem er einfache Aufgaben verrichtete, rechts der praktische Bereich einer Computerwerkstatt. Wenn er freie Zeit hatte, ging er rüber zu den Computerfachleuten. Fassungslos schaute er zu, wie sie mit den Bestandteilen eines Computers hantierten, die ausbauten und ersetzten oder ganze Geräte neu zusammenstellten. Für ihn waren sie wie Chirurgen, ja noch mehr, wie Schöpfer, die über das Wohl und Gedeihen (Funktionieren) dieser Geräte die Macht hatten. Besonders einem der Mitarbeiter, groß und wohlgebildet, Gestalt wie Gesicht, mit schwarzen Kleidern, das Hemd fast durchsichtig. Ihm schaute er zu. Es war etwas, das er nicht begriff und deshalb bestaunte, weil er sich auf diese Materie nicht eingelassen hatte.
Wendy kehrte in den Büroraum zurück. Mitten im Raum am Boden stand der Drucker, den er beschickte. Das Gerät war zwar sehr groß, aber es war nicht mehr up to date und entsprechend verstaubt. Was ihn aber vor allem störte, war, dass zwischendurch plötzlich auf altes, völlig vergilbtes Papier gedruckt wurde. Dieses alte Gerät musste also tief unten noch Blätter von wer weiß wann liegen haben, die durch einen unerklärlichen Mechanismus an die Oberfläche kamen, wie der Bodensatz einer Flüssigkeit. Grund genug für Wendy, Abschied von dieser Firma zu nehmen.

Die Büroseite des Gebäudes war in sich noch zweigeteilt. Dem Büro vorgelagert war ein Empfangsraum. Hier wurde sein Abschied vorbereitet. Seine Kollegin Liuba Edenhaus erhielt den Auftrag, seine Sachen zu verpacken. Dabei ergab sich ein kleines Missverständnis mit unangenehmem Seiteneffekt. Als er zurück kam zum Abschied, lag da auf dem Tisch ein ganzer Berg von Geschenken. Erst war es ihm unbegreiflich, denn so großzügig kannte er seine Arbeitgeber nicht. Erst als er ein paar der Geschenke anfasste, wurde ihm klar, wie es zu dieser großen Bescherung kam. ‚Seine Sachen‘ hatte Liuba wohl falsch verstanden. Sie packte alles ein, was von ihm herumlag. Seine wollene Weste zum Beispiel, die vergammelte, einen alten Sweater, zwei Vesperdosen, die er hatte liegen lassen, etc. Er fragte sich, ob da überhaupt eine kleine Überraschung dabei sei.
Ganz anders sah das Pia Bitter, die weiter in diesem Kirchenanbau arbeiten würde. Sie war sichtlich sauer.
„Wie hat er sich einen solchen Abschied verdient?“, fragte sie ihre Kollegin gehässig in seinem Beisein.
Wendy versuchte den Irrtum aufzuklären, aber ohne Erfolg.
Als sie im Empfangsraum einen Sekt öffneten und anstießen, wurde Pia dann doch noch ganz herzlich und er sagte sich, dass ihre Überreaktion auch aus Enttäuschung gewesen sein konnte, dass er sich neu orientierte. Sie aber nicht wechseln konnte oder wollte.
Er hatte seine ganzen ‚Geschenke‘ in seinen Sack gesteckt und wollte gehen, als just von draußen Sally, seine Tochter und der Hausmeister Werner Hyde ankamen. Sie trugen einen großen Flieger, den sie flugbereit machen wollten.
„Brauchst du meine Hilfe?“, fragte er Sally.
Sie schüttelte nur den Kopf. Er wusste, dass sie lieber mit Hyde zusammen arbeitete, sagte aber dennoch. „Wenn ihr Hilfe braucht, ruft mich an.“

Seine nächste Arbeit trat er in der Reihe der Häuser, die an die Kirche anschloss, weiter hinten an. Er hatte einen Jungen dabei, als er eintrat. Der lange vordere Bereich war ein Arbeitsraum, das Büro, in das er eigentlich wollte, war hinten. Der Raum vorne war voller Spielsachen, mehrheitlich Puppen aus Stoff. Er blieb vorne hängen, weil er die Handwerkerin sah. Der Junge, der ihn begleitete, wollte nämlich selber eine Puppe machen. Früher hatte er solche Arbeiten gehasst, aber nachdem sein kleiner Bruder mit einer selbstgemachten Puppe nach Hause kam, war er ganz versessen darauf, auch sowas zu machen.
Else holte eine Kartonkiste voller Puppen hervor. Sie schob die Brille wieder nach vorne und zeigte ihnen, was an diesen Puppen noch fehlte. Am Hinterkopf waren sie unvollständig. Sie forderte den Jungen auf, sich neben sie zu setzen. Dann zeigte sie ihm die Stiche, mit denen sie ein Netz auf die Rückseite des Kopfes stickte.
Wendy sorgte sich, ob das nicht eine Überforderung für den Jungen war. Aber dieser nahm die Sache ernst und stellte sich recht geschickt an.

 Das dritte Gebäude, das Wendy zur Arbeit betrat, lag noch in der Flucht der Kirche, stand aber für sich alleine. Es war ein großes, langgezogenes Haus. Er ging mit der Vorstellung darauf zu, in einer Truppe von Innenausbau-Spezialisten mitzuwirken. Deshalb ging er am vorderen Bereich, den er für den Maschinenraum hielt, seitlich entlang und stieg hinten die Stufen hoch, zum Planungsbereich, wie er annahm. Aber schon beim Eintreten wurde ihm bewusst, dass er sich auf etwas anderes einstellen musste. Er war in einem Gastronomie-Betrieb gelandet. Unten der lange Raum, sah er, war bestuhlt und voller Gäste. Wendy schaute kurz in einen Spiegel und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare, dann ging er nach unten.
Die Gäste saßen um Tische herum über Knobelaufgaben. Er schaute sich um, wem er helfen könnte und freute sich, bekannte Gesichter zu sehen. Monja vom Theater hatte ein ganzes Blatt voller Aufgaben und winkte ihm zu. Er ging erst zu Othmar, der hatte nur eine Aufgabe und glaubte, dass er sie selber lösen könne. Wieder bei Monja hatte sie sich mit einem Tischgenossen zusammengetan und beachtete ihn nicht.
Langsam wurde er verlegen. Was war seine Aufgabe, wenn niemand seiner Hilfe bedurfte? Er ließ sich aber nicht verdrießen und ging weiter im Saal herum. Während er hinten zur anderen Seite hinüber wechselte, staunte er, wie vielfältig das Publikum war. Mehrheitlich junge Leute, die meisten ihm unbekannt. Was er als positiv wertete. Aber noch hatte niemand in angesprochen. Erst als er sich drüben nach vorne begab, streckte ihm eine junge Frau an einem kleinen Tisch ihr Blatt entgegen. Sie schaute ihn hilfesuchend an und fragte.
„Wie steht die Bewegung auf dem inneren Kreis mit der auf dem äußeren in Beziehung?“
Wendy nahm das Blatt entgegen und schaute. Zwei Kreislinien, auf denen zwei Scheiben, schematisch angedeutet, ihre Kreisbewegungen zogen.
„Uff“, entfuhr ihm. Diese Frage schien ihm doch sehr komplex.
Um sich zu informieren, ging er geradewegs nach vorne auf die Bühne hoch. Sich umschauend, fiel ihm seitlich an der Wand ein großes Modell auf, das dem Schema auf dem Blatt entsprach. Es schien ein belebtes Modell zu sein. Statt der Kreisscheiben zogen zwei Clowns ihre Runden auf den Bahnen. Obwohl sie recht flach waren – vielleicht eine Spanne dick, wirkten sie lebendig. Sie bewegten sich zwar nur auf den Kreisbahnen, aber in ihren sonstigen Körperbewegungen und in ihrer Mimik waren sie natürlich. So wie sich Clowns verhalten. – Virtuelle Welt, dachte Wendy, wo sonst gibt es sowas. Ein Modell das lebt.
Wendy bedauerte jetzt, es versäumt zu haben, sich zuerst mit seinen Mitarbeitern bekannt zu machen. Er brauchte dringend jemand, der ihm bei der Klärung dieser Aufgabe behilflich sein konnte.
„Hallo, ist da jemand?“, rief er in den Vorhang hinein. „Kann mir vielleicht jemand helfen, bei einer Frage?“
Da erschienen kurz zwei Männer seines Alters, so flüchtig, dass er sie gar nicht richtig wahrnehmen konnte. Vom einen erfuhr er, dass es sich nicht um eine rechnerische Aufgabe handle, sondern um eine Frage des Spürens, des in sich Hineinhörens. Es gelte die beiden Bewegungen, die innere und die äußere wahrzunehmen.
Wendy musste wohl sehr skeptisch dreingeschaut haben. Denn der andere betonte, dass sie mit diesen Veranstaltungen großen Erfolg hätten und meistens um die hundert Gäste kämen. Und weg waren sie wieder. MLF

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