Wendys siebtes virtuelles
Abenteuer
Das siebte Abenteuer führte Wendy wieder nach Home und er erlebte
eine Verwandlung seiner Arbeitswelt, wie sie im gewöhnlichen Leben wohl nur
innerhalb der Spanne von vielen Jahren möglich wäre.
Das erste Gebäude, in dem er arbeitete, war sonderbar genug. Es
handelte sich um den Bau, der direkt an die Home‘sche Kirche anschloss, so dass
es schien, als sei das Haus mit der Kirche verwachsen. Der Arbeitsbereich war
zweigeteilt, links der Bürobereich, in dem er einfache Aufgaben verrichtete,
rechts der praktische Bereich einer Computerwerkstatt. Wenn er freie Zeit
hatte, ging er rüber zu den Computerfachleuten. Fassungslos schaute er zu, wie
sie mit den Bestandteilen eines Computers hantierten, die ausbauten und
ersetzten oder ganze Geräte neu zusammenstellten. Für ihn waren sie wie
Chirurgen, ja noch mehr, wie Schöpfer, die über das Wohl und Gedeihen
(Funktionieren) dieser Geräte die Macht hatten. Besonders einem der
Mitarbeiter, groß und wohlgebildet, Gestalt wie Gesicht, mit schwarzen
Kleidern, das Hemd fast durchsichtig. Ihm schaute er zu. Es war etwas, das er
nicht begriff und deshalb bestaunte, weil er sich auf diese Materie nicht
eingelassen hatte.
Wendy kehrte in den Büroraum zurück. Mitten im Raum am Boden
stand der Drucker, den er beschickte. Das Gerät war zwar sehr groß, aber es war
nicht mehr up to date und entsprechend verstaubt. Was ihn aber vor allem
störte, war, dass zwischendurch plötzlich auf altes, völlig vergilbtes Papier gedruckt
wurde. Dieses alte Gerät musste also tief unten noch Blätter von wer weiß wann
liegen haben, die durch einen unerklärlichen Mechanismus an die Oberfläche
kamen, wie der Bodensatz einer Flüssigkeit. Grund genug für Wendy, Abschied von
dieser Firma zu nehmen.
Die Büroseite des Gebäudes war in sich noch zweigeteilt. Dem Büro
vorgelagert war ein Empfangsraum. Hier wurde sein Abschied vorbereitet. Seine
Kollegin Liuba Edenhaus erhielt den Auftrag, seine Sachen zu verpacken. Dabei
ergab sich ein kleines Missverständnis mit unangenehmem Seiteneffekt. Als er
zurück kam zum Abschied, lag da auf dem Tisch ein ganzer Berg von Geschenken.
Erst war es ihm unbegreiflich, denn so großzügig kannte er seine Arbeitgeber
nicht. Erst als er ein paar der Geschenke anfasste, wurde ihm klar, wie es zu
dieser großen Bescherung kam. ‚Seine Sachen‘ hatte Liuba wohl falsch
verstanden. Sie packte alles ein, was von ihm herumlag. Seine wollene Weste zum
Beispiel, die vergammelte, einen alten Sweater, zwei Vesperdosen, die er hatte
liegen lassen, etc. Er fragte sich, ob da überhaupt eine kleine Überraschung
dabei sei.
Ganz anders sah das Pia Bitter, die weiter in diesem Kirchenanbau
arbeiten würde. Sie war sichtlich sauer.
„Wie hat er sich einen solchen Abschied verdient?“, fragte sie
ihre Kollegin gehässig in seinem Beisein.
Wendy versuchte den Irrtum aufzuklären, aber ohne Erfolg.
Als sie im Empfangsraum einen Sekt öffneten und anstießen, wurde
Pia dann doch noch ganz herzlich und er sagte sich, dass ihre Überreaktion auch
aus Enttäuschung gewesen sein konnte, dass er sich neu orientierte. Sie aber
nicht wechseln konnte oder wollte.
Er hatte seine ganzen ‚Geschenke‘ in seinen Sack gesteckt und
wollte gehen, als just von draußen Sally, seine Tochter und der Hausmeister Werner
Hyde ankamen. Sie trugen einen großen Flieger, den sie flugbereit machen
wollten.
„Brauchst du meine Hilfe?“, fragte er Sally.
Sie schüttelte nur den Kopf. Er wusste, dass sie lieber mit Hyde
zusammen arbeitete, sagte aber dennoch. „Wenn ihr Hilfe braucht, ruft mich an.“
Seine nächste Arbeit trat er in der Reihe der Häuser, die an die
Kirche anschloss, weiter hinten an. Er hatte einen Jungen dabei, als er
eintrat. Der lange vordere Bereich war ein Arbeitsraum, das Büro, in das er
eigentlich wollte, war hinten. Der Raum vorne war voller Spielsachen,
mehrheitlich Puppen aus Stoff. Er blieb vorne hängen, weil er die Handwerkerin
sah. Der Junge, der ihn begleitete, wollte nämlich selber eine Puppe machen.
Früher hatte er solche Arbeiten gehasst, aber nachdem sein kleiner Bruder mit
einer selbstgemachten Puppe nach Hause kam, war er ganz versessen darauf, auch
sowas zu machen.
Else holte eine Kartonkiste voller Puppen hervor. Sie schob die
Brille wieder nach vorne und zeigte ihnen, was an diesen Puppen noch fehlte. Am
Hinterkopf waren sie unvollständig. Sie forderte den Jungen auf, sich neben sie
zu setzen. Dann zeigte sie ihm die Stiche, mit denen sie ein Netz auf die
Rückseite des Kopfes stickte.
Wendy sorgte sich, ob das nicht eine Überforderung für den Jungen
war. Aber dieser nahm die Sache ernst und stellte sich recht geschickt an.
Das dritte Gebäude, das
Wendy zur Arbeit betrat, lag noch in der Flucht der Kirche, stand aber für sich
alleine. Es war ein großes, langgezogenes Haus. Er ging mit der Vorstellung
darauf zu, in einer Truppe von Innenausbau-Spezialisten mitzuwirken. Deshalb
ging er am vorderen Bereich, den er für den Maschinenraum hielt, seitlich
entlang und stieg hinten die Stufen hoch, zum Planungsbereich, wie er annahm.
Aber schon beim Eintreten wurde ihm bewusst, dass er sich auf etwas anderes
einstellen musste. Er war in einem Gastronomie-Betrieb gelandet. Unten der
lange Raum, sah er, war bestuhlt und voller Gäste. Wendy schaute kurz in einen
Spiegel und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare, dann ging er
nach unten.
Die Gäste saßen um Tische herum über Knobelaufgaben. Er schaute
sich um, wem er helfen könnte und freute sich, bekannte Gesichter zu sehen.
Monja vom Theater hatte ein ganzes Blatt voller Aufgaben und winkte ihm zu. Er
ging erst zu Othmar, der hatte nur eine Aufgabe und glaubte, dass er sie selber
lösen könne. Wieder bei Monja hatte sie sich mit einem Tischgenossen
zusammengetan und beachtete ihn nicht.
Langsam wurde er verlegen. Was war seine Aufgabe, wenn niemand seiner
Hilfe bedurfte? Er ließ sich aber nicht verdrießen und ging weiter im Saal
herum. Während er hinten zur anderen Seite hinüber wechselte, staunte er, wie
vielfältig das Publikum war. Mehrheitlich junge Leute, die meisten ihm
unbekannt. Was er als positiv wertete. Aber noch hatte niemand in angesprochen.
Erst als er sich drüben nach vorne begab, streckte ihm eine junge Frau an einem
kleinen Tisch ihr Blatt entgegen. Sie schaute ihn hilfesuchend an und fragte.
„Wie steht die Bewegung auf dem inneren Kreis mit der auf dem
äußeren in Beziehung?“
Wendy nahm das Blatt entgegen und schaute. Zwei Kreislinien, auf
denen zwei Scheiben, schematisch angedeutet, ihre Kreisbewegungen zogen.
„Uff“, entfuhr ihm. Diese Frage schien ihm doch sehr komplex.
Um sich zu informieren, ging er geradewegs nach vorne auf die
Bühne hoch. Sich umschauend, fiel ihm seitlich an der Wand ein großes Modell
auf, das dem Schema auf dem Blatt entsprach. Es schien ein belebtes Modell zu
sein. Statt der Kreisscheiben zogen zwei Clowns ihre Runden auf den Bahnen.
Obwohl sie recht flach waren – vielleicht eine Spanne dick, wirkten sie
lebendig. Sie bewegten sich zwar nur auf den Kreisbahnen, aber in ihren
sonstigen Körperbewegungen und in ihrer Mimik waren sie natürlich. So wie sich
Clowns verhalten. – Virtuelle Welt, dachte Wendy, wo sonst gibt es sowas. Ein Modell
das lebt.
Wendy bedauerte jetzt, es versäumt zu haben, sich zuerst mit seinen
Mitarbeitern bekannt zu machen. Er brauchte dringend jemand, der ihm bei der
Klärung dieser Aufgabe behilflich sein konnte.
„Hallo, ist da jemand?“, rief er in den Vorhang hinein. „Kann mir
vielleicht jemand helfen, bei einer Frage?“
Da erschienen kurz zwei Männer seines Alters, so flüchtig, dass
er sie gar nicht richtig wahrnehmen konnte. Vom einen erfuhr er, dass es sich nicht
um eine rechnerische Aufgabe handle, sondern um eine Frage des Spürens, des in
sich Hineinhörens. Es gelte die beiden Bewegungen, die innere und die äußere
wahrzunehmen.
Wendy musste wohl sehr skeptisch dreingeschaut haben. Denn der
andere betonte, dass sie mit diesen Veranstaltungen großen Erfolg hätten und
meistens um die hundert Gäste kämen. Und weg waren sie wieder. MLF
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