Mittwoch, 28. März 2012

30 Das Gebäude auf tönernen Füßen i

Beim Einschlafen konnte es Toni kaum erwarten, bis er wieder in Milis Armen liegen würde. Doch als er nachts aufwachte und sie gegenüber sah, kam sie ihm irgendwie fremd vor. Er war selbst nicht richtig bei sich. Ein Teil von ihm schwebte über dem Bett und beobachtete, wie sie sich ihm darbot und wie er auf sie reagierte. Er glaubte einem Paarungstanz von Vögeln beizuwohnen. Ornithologen haben herausgefunden, dass das Männchen den Tanz fortsetzt, wenn das Weibchen durch eine Strohpuppe ersetzt wird. Während der stärksten Glut der Vereinigung wich dieses Gefühl. Aber nur um danach mit doppelter Intensität zurückzukehren.
Mechanisch schob sich seine Bettgefährtin auf dem Kissen nach oben. Selbst ihre Stimme klang fremd – irgendwie tönern – während sie die folgende Geschichte erzählte. AS

Nach der beängstigenden Erfahrung über dem Atlantik, mit der Panik vor den fremden Flugzeugen und den Aggressionen gegen sie, ist Kermit nicht mehr so erpicht darauf, Expeditionen auf eigene Faust zu unternehmen. Mehrmals schon haben ihn solche Fahrten in einen Strudel kollektiver Ängste gerissen, die jedesmal in einem immer wieder anders gearteten, alptraumartigen Fiasko geendet haben. Im Bündner Erdbebengebiet hat Kermit einen Coach gefunden. [Luft wie Wasser, 21.02.] Der Bündner hat es nicht offen ausgesprochen, hat ihm aber indirekt zu verstehen gegeben, dass er ihm gerne bei seinen Entdeckungsreisen beistehen würde. Als der Coach ihm zu einem Aufenthalt an einen exotischen Ort, nahe am Meer rät, geht er auf den Vorschlag ein und reist dorthin.
Auf einem Hügel, der aus einer Düne entstanden ist, schlägt er sein Zelt auf. Ein leichter Wind weht durch die Bäume und trägt den Geruch des Meeres zu ihm. Um die Zeltschnüre spannen zu können, steckt er die Heringe hinter Wurzeln, damit sie in dem sandigen Boden Halt finden. Als das Zelt steht, breitet er eine Decke aus und ruht sich aus. Ähnlich wie im Bündner Erdbebengebiet ist auch hier das Gelände uneben und bewaldet. Der Untergrund ist allerdings ein sandiger und zwischen den anspruchslosen Kiefern finden sich einzelne Palmen. Was Kermit das Gefühl vermittelt auf einer exotischen Insel zu sein. Aber er ist nicht hier, um sich zu entspannen, sondern um auf Entdeckung zu gehen. Dessen ist er sich bewusst, auch wenn er noch keine Vorstellung davon hat, was es hier zu erkunden gilt.
Im Sitzen dringt sein Blick durch die Bäume und lässt ihn nicht weit entfernt ein Gebäude erkennen. Es steht an einem Hang, der deutlich höher ansteigt, als der Standpunkt, auf dem er sich eingerichtet hat. Auf dem Vorplatz vor dem Gebäude kann er Gestalten erkennen, die sich bewegen. Seine Neugierde ist geweckt. Er möchte erfahren, was es mit diesem Gebäude, in einem lichten Wald, auf unebenem Gelände, nicht weit vom Meer entfernt, auf sich hat.
Er trinkt noch einen Schluck Wasser aus der Flasche, rafft sich dann auf und rutscht in die Senke hinab, die ihn von dem größeren Hügel trennt. Sich an Pflanzen und Wurzeln haltend arbeitet er sich zum Weg hoch, der an dem Gebäude vorbei führt. Er erklimmt den Weg etwas unterhalb des Hauses. Dieser steigt nach rechts hin an und bildet den leicht geneigten Vorplatz des Hauses. Dort sieht er Tiere, von denen er nicht weiß, ob es Lamas oder kleine Kamele sind, und eine Hand voll Personen, die einfache Arbeiten verrichten und sich dabei unterhalten. Als Tourist, der zufällig einen Abstecher von der Küste aus macht, mag man ihn einschätzen. Die anwesenden Menschen scheinen ihn nicht zu bemerken oder sie sind vom Typ Einheimischer, die Touristen bewusst keine Aufmerksamkeit schenken. Umso neugieriger zeigen sich die drei Tiere. Sie fixieren ihn und folgen ihm mit ihren großen Augen. Er ist sich noch immer nicht sicher, um welche Gattung es sich handelt. Wenn sie sich nicht bewegten, würde er sie glatt für Stofftiere halten. Aber als er an ihnen vorbeigeht, drehen sie alle gleichzeitig ihren Kopf und verfolgen ihn weiter. Er hat das seltsame Gefühl, als wenn ihn Frauengesichter betrachteten. Unweit vom Haus steigt er wieder in den Wald hinab und kehrt zurück zum Zelt.
Dieser kurze Entdeckungsgang hat seine Neugierde keinesfalls gestillt, sondern sie vielmehr angefacht. Es ärgert ihn, dass er sich von den Blicken der Lamas – er hat sich entschieden, dass es Lamas sind – gefangen hat nehmen lassen und es versäumt hat, den Kontakt zu den anwesenden Personen zu forcieren. Am liebsten würde er gleich zurückkehren. Aber dies scheint ihm für seine Mission nicht günstig. Also ruht er sich aus, liest ein bisschen und lässt Zeit verstreichen. MLF

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