Donnerstag, 29. März 2012

30 Das Gebäude auf tönernen Füßen j

Am nächsten Morgen fängt es gerade an zu dämmern, als er aufwacht. Er nutzt die Gelegenheit und bricht gleich auf. Als er oben ankommt, ist niemand da, nur Katzen streichen ums Haus. Er kniet sich nieder und wartet bis eine graue sich nähert. Sie lässt sich streicheln, geht aber bald weiter. Rechts vom Hauptgebäude führt eine Treppe auf das Dach des einstöckigen Anbaus. Unter der Treppe stehen Bottiche. Es sieht aus, als würden hier Versuche gemacht. Bei näherem Hinsehen hat er den Eindruck, dass die Experimente schon seit längerem aufgegeben worden sind. Er wartet noch eine Weile, aber niemand von den Bewohnern zeigt sich. Unbefriedigt kehrt er zu seinem Lager zurück.
Kermit sucht nach einem Vorwand, unter dem er eine Besichtigung des Hauses erbitten könnte. Aber es fällt ihm nichts ein. Plötzlich überkommt ihn ein Rappel, er greift ins Zelt, fasst einen Pantoffel und schleudert diesen in Richtung des Hauses. Der Pantoffel prallt auf einen der Stämme und verfehlt das Ziel. Aber er geht hinterher, greift ihn wieder auf, wirft erneut und schließlich hört er ein Klirren. Schrille Stimmen folgen als Echo. Er steigt hoch und sieht zwei Personen bei den Testbottichen. Die Glasscheibe auf einem der Gefäße ist zerschlagen.
„Sie haben unsere Versuchsstation beschädigt!“, rufen die beiden Personen gleichzeitig. Es sind seltsame Menschen, als hätten sie keine Persönlichkeit. Eine Frau und ein Mann, aber sie unterscheiden sich kaum. Ihre blassrote Kleidung – Hose und Jackett – unauffällig wie die Firmenkleidung von Büropersonal unterscheidet sich nicht. Ebenso die Frisur, rund am Kopf anschließend mit Stirnfranse. Kermit schaut den Bottich nochmal an. Er hat den ältesten der Versuchsreihe getroffen. Aber selbst die neueren scheinen nicht mehr in Benutzung zu sein. Er sieht, dass kein wirklicher Schaden entstanden ist, entschuldigt sich aber trotzdem.
„Tut mir leid. Es war nicht meine Absicht, Schaden zu verursachen. Aber ich wusste nicht, wie ich jemanden erreichen könnte. Ist es denn möglich, dieses Haus zu besichtigen?“
Die beiden schauen sich an. Entweder sind sie auf eine solche Frage nicht vorbereitet oder der Zwischenfall mit den Scherben hat sie aus ihrer Rolle geworfen. Schließlich fassen sie sich, verbeugen sich gleichzeitig.
„Aber selbstverständlich, sie können dieses Haus jederzeit besichtigen“, sagt die Person, die Kermit aufgrund ihrer weicheren Gesichtszüge für eine Frau hält. Sie macht aber keine Anstalten ihn ins Haus zu führen. Erst als er fragt. „Jederzeit – könnte das auch jetzt sein?“ Geht sie ihm voran zur Treppe. Der Mann greift nach einer Schaufel und kehrt die Scherben weg.
Über die Außentreppe erreichen sie die Dachterrasse des Anbaus. Die Tür zum Haus steht offen. Jetzt, da nur eine Person bei ihm ist, fühlt sich Kermit doch wieder unsicher, ob es wirklich eine Frau ist. Eigentlich ist es egal, denkt er, Hauptsache ich gelange ins Innere des Hauses. Drinnen steigt die Hausführerin – er hat sich entschieden, dass es die Frau ist – ihm voraus die Treppe hinab. Sie geleitet ihn unten durch eine große, altertümliche Küche in einen Zwischenraum und von diesem in den großen Raum auf der unteren Seite des Hauses. Die Führerin weist auf die Wände dieses Raumes. Kermit sind sie bereits ins Auge gefallen, er hätte ihres Hinweises nicht bedurft. Die Wände sind rötlich-braun wie Terrakotta-Gefäße. Sie werden von riesigen gebrannten Tonelementen gebildet. Wie um auf die Verwandtschaft mit Gefäßen hinzuweisen, sind sie in gewissen Abständen mit den Schleifen und floralen Mustern verziert, wie man sie von Keramik-Gefäßen kennt. Eigentlich bedürfte es des Tests gar nicht. Trotzdem klopft er, in einem Moment, da sich die Hausführerin umdreht, mit dem Knöchel an den Ton. Er ist sich schon im Voraus sicher. Tatsächlich ertönt der hohle Klang, den er vermutet hat. In diesem unteren Geschoss sind alle Wände so gebildet, das sieht er auf dem Rückweg. Das Gebäude steht auf tönernen Fußen. Wie wird es oben sein?, fragt er sich, denn beim Runtersteigen hat er nicht auf die Wände geachtet. Oben angekommen sieht er, die Wände sind da genauso. Die Hohlform erstreckt sich also über mindestens zwei Stockwerke. Ob es in den oberen Stockwerken auch so ist, lässt er offen. Er möchte nicht lästig fallen. Im Grunde hat er genug gesehen. Wieder draußen auf der Terrasse bedankt sich Kermit.
„Sehr freundlich, dass Sie mich haben eintreten lassen.“
„Wir sind jederzeit für Sie da. Wenn Sie Fragen haben, beantworten wir diese gerne. Sie dürfen jederzeit wiederkommen“, sagt die Führerin mit einer Stimme, die so hohl klingt wie die Wände.
Natürlich hat er Fragen. Wie ist es zu dieser Bauweise gekommen? Warum sind die Wände hohl? Widerspricht das nicht den Standards des modernen Datenschutzes? Und und und. Aber von einem Personal, das seine Sätze nur wiederholt, ohne sie zu bedenken, erwartet er keine Aufschlüsse.
Unten hat er sie wieder beide nebeneinander. Jetzt sieht er, dass es tatsächlich die Frau gewesen ist, die ihn begleitet hat. Ihr Jackett ist in Brusthöhe leicht ausgebeult, aber nur minimal. Kermit bedankt sich ein zweites Mal und geht.
Beim Zelt ruht er sich eine Weile aus, lässt den Besuch nochmal Revue passieren. Das Haus am Hang eines bewaldeten Sandhügels. Die Lamas mit Gesichtern von Frauen, die Katzen in der Morgendämmerung, das Personal ohne Persönlichkeit und die riesigen, gegossenen Gefäße als Mauern. Er hat das seltsame Gefühl, als hätte sich an seinem Leben etwas geändert. Unmerklich, aber nachhaltig. Als könnte er nie mehr ganz für sich sein. Weder wenn er es wünschte, noch wenn er das Alleinsein verfluchte. Ändern kann ich nichts, sagt er sich, aber es ist gut zu wissen, wie sich die Dinge verhalten.
Zufrieden mit seiner Erkundungstour – er glaubt gesehen zu haben, was es hier zu sehen gilt –bricht er das Zelt ab und beendet die Reise. MLF

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