…
Am nächsten Morgen fängt es gerade an zu dämmern, als er aufwacht.
Er nutzt die Gelegenheit und bricht gleich auf. Als er oben ankommt, ist
niemand da, nur Katzen streichen ums Haus. Er kniet sich nieder und wartet bis
eine graue sich nähert. Sie lässt sich streicheln, geht aber bald weiter.
Rechts vom Hauptgebäude führt eine Treppe auf das Dach des einstöckigen Anbaus.
Unter der Treppe stehen Bottiche. Es sieht aus, als würden hier Versuche
gemacht. Bei näherem Hinsehen hat er den Eindruck, dass die Experimente schon
seit längerem aufgegeben worden sind. Er wartet noch eine Weile, aber niemand
von den Bewohnern zeigt sich. Unbefriedigt kehrt er zu seinem Lager zurück.
Kermit sucht nach einem Vorwand, unter dem er eine Besichtigung
des Hauses erbitten könnte. Aber es fällt ihm nichts ein. Plötzlich überkommt
ihn ein Rappel, er greift ins Zelt, fasst einen Pantoffel und schleudert diesen
in Richtung des Hauses. Der Pantoffel prallt auf einen der Stämme und verfehlt
das Ziel. Aber er geht hinterher, greift ihn wieder auf, wirft erneut und
schließlich hört er ein Klirren. Schrille Stimmen folgen als Echo. Er steigt
hoch und sieht zwei Personen bei den Testbottichen. Die Glasscheibe auf einem
der Gefäße ist zerschlagen.
„Sie haben unsere Versuchsstation beschädigt!“, rufen die beiden
Personen gleichzeitig. Es sind seltsame Menschen, als hätten sie keine
Persönlichkeit. Eine Frau und ein Mann, aber sie unterscheiden sich kaum. Ihre blassrote
Kleidung – Hose und Jackett – unauffällig wie die Firmenkleidung von
Büropersonal unterscheidet sich nicht. Ebenso die Frisur, rund am Kopf
anschließend mit Stirnfranse. Kermit schaut den Bottich nochmal an. Er hat den
ältesten der Versuchsreihe getroffen. Aber selbst die neueren scheinen nicht
mehr in Benutzung zu sein. Er sieht, dass kein wirklicher Schaden entstanden
ist, entschuldigt sich aber trotzdem.
„Tut mir leid. Es war nicht meine Absicht, Schaden zu
verursachen. Aber ich wusste nicht, wie ich jemanden erreichen könnte. Ist es
denn möglich, dieses Haus zu besichtigen?“
Die beiden schauen sich an. Entweder sind sie auf eine solche
Frage nicht vorbereitet oder der Zwischenfall mit den Scherben hat sie aus
ihrer Rolle geworfen. Schließlich fassen sie sich, verbeugen sich gleichzeitig.
„Aber selbstverständlich, sie können dieses Haus jederzeit
besichtigen“, sagt die Person, die Kermit aufgrund ihrer weicheren Gesichtszüge
für eine Frau hält. Sie macht aber keine Anstalten ihn ins Haus zu führen. Erst
als er fragt. „Jederzeit – könnte das auch jetzt sein?“ Geht sie ihm voran zur
Treppe. Der Mann greift nach einer Schaufel und kehrt die Scherben weg.
Über die Außentreppe erreichen sie die Dachterrasse des Anbaus.
Die Tür zum Haus steht offen. Jetzt, da nur eine Person bei ihm ist, fühlt sich
Kermit doch wieder unsicher, ob es wirklich eine Frau ist. Eigentlich ist es
egal, denkt er, Hauptsache ich gelange ins Innere des Hauses. Drinnen steigt
die Hausführerin – er hat sich entschieden, dass es die Frau ist – ihm voraus die
Treppe hinab. Sie geleitet ihn unten durch eine große, altertümliche Küche in
einen Zwischenraum und von diesem in den großen Raum auf der unteren Seite des
Hauses. Die Führerin weist auf die Wände dieses Raumes. Kermit sind sie bereits
ins Auge gefallen, er hätte ihres Hinweises nicht bedurft. Die Wände sind
rötlich-braun wie Terrakotta-Gefäße. Sie werden von riesigen gebrannten
Tonelementen gebildet. Wie um auf die Verwandtschaft mit Gefäßen hinzuweisen,
sind sie in gewissen Abständen mit den Schleifen und floralen Mustern verziert,
wie man sie von Keramik-Gefäßen kennt. Eigentlich bedürfte es des Tests gar
nicht. Trotzdem klopft er, in einem Moment, da sich die Hausführerin umdreht,
mit dem Knöchel an den Ton. Er ist sich schon im Voraus sicher. Tatsächlich
ertönt der hohle Klang, den er vermutet hat. In diesem unteren Geschoss sind
alle Wände so gebildet, das sieht er auf dem Rückweg. Das Gebäude steht auf
tönernen Fußen. Wie wird es oben sein?, fragt er sich, denn beim Runtersteigen
hat er nicht auf die Wände geachtet. Oben angekommen sieht er, die Wände sind
da genauso. Die Hohlform erstreckt sich also über mindestens zwei Stockwerke.
Ob es in den oberen Stockwerken auch so ist, lässt er offen. Er möchte nicht
lästig fallen. Im Grunde hat er genug gesehen. Wieder draußen auf der Terrasse
bedankt sich Kermit.
„Sehr freundlich, dass Sie mich haben eintreten lassen.“
„Wir sind jederzeit für Sie da. Wenn Sie Fragen haben,
beantworten wir diese gerne. Sie dürfen jederzeit wiederkommen“, sagt die
Führerin mit einer Stimme, die so hohl klingt wie die Wände.
Natürlich hat er Fragen. Wie ist es zu dieser Bauweise gekommen? Warum
sind die Wände hohl? Widerspricht das nicht den Standards des modernen
Datenschutzes? Und und und. Aber von einem Personal, das seine Sätze nur
wiederholt, ohne sie zu bedenken, erwartet er keine Aufschlüsse.
Unten hat er sie wieder beide nebeneinander. Jetzt sieht er, dass
es tatsächlich die Frau gewesen ist, die ihn begleitet hat. Ihr Jackett ist in
Brusthöhe leicht ausgebeult, aber nur minimal. Kermit bedankt sich ein zweites
Mal und geht.
Beim Zelt ruht er sich eine Weile aus, lässt den Besuch nochmal
Revue passieren. Das Haus am Hang eines bewaldeten Sandhügels. Die Lamas mit
Gesichtern von Frauen, die Katzen in der Morgendämmerung, das Personal ohne Persönlichkeit
und die riesigen, gegossenen Gefäße als Mauern. Er hat das seltsame Gefühl, als
hätte sich an seinem Leben etwas geändert. Unmerklich, aber nachhaltig. Als
könnte er nie mehr ganz für sich sein. Weder wenn er es wünschte, noch wenn er
das Alleinsein verfluchte. Ändern kann ich nichts, sagt er sich, aber es ist
gut zu wissen, wie sich die Dinge verhalten.
Zufrieden mit seiner Erkundungstour – er glaubt gesehen zu haben,
was es hier zu sehen gilt –bricht er das Zelt ab und beendet die Reise. MLF
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