Freitag, 3. Februar 2012

3 Aufwärts gleiten


Dieses Mal bin ich obenauf und mühe mich ziemlich ab. Sie muss doch etwas spüren. Aber kein Laut von ihr dringt an mein Ohr. Ihr Blick wirkt abwesend. Wahrscheinlich ist sie schon bei ihrer Geschichte, denke ich und lasse meine Bemühungen ausklingen. Es bleibt der leichte Schmerz einer ungestillten Erregung.
Sobald ich neben ihr liege, rutscht sie auf dem Kissen nach oben und beginnt zu erzählen. AS

Nach einem langen Auf und Ab mit vielen Verzweigungen führte die Loipe sie schließlich in eine Ebene. Der nächste Anstieg, ein sanfter, bewaldeter Hügel, lag noch in weiter Ferne. Irgendwann würde die Abzweigung kommen. Aber bis dahin war erst mal Strecke zu machen. Auf der Spur neben René lief Alex, ein Freund aus der Stadt, der bei ihm zu Besuch war. Alex holte weit aus und mühte sich in großer Sportlichkeit. René hatte seine beiden Stöcke zu Bogen gespannt. Indem er jetzt die gekrümmte Seiten auf den Boden presste, glitt er von selbst über den Schnee. Fast schämte er sich, so leicht kam er voran. Sein Freund war ganz ins Laufen vertieft und bemerkte nicht, dass er daneben seine Glieder nicht bewegte. Selbst als es aufwärts ging, glitt er noch immer, ohne die Füße zu rühren. Er hatte mit den Stöcken den richtigen Bogen raus. Die Spannung, die er niederpressend erzeugte, trieb ihn voran. Es war so cool, dass es ihn schon fast unheimlich anmutete.
Sie erreichten weiter ansteigend einen lichten Wald. Zwischen den Bäumen querte plötzlich ein Mann mit einem großen Balken unterm Arm. Mitten auf der Loipe hielt er inne. Er schien unschlüssig zu sein. Sie mussten anhalten. Der Träger ging einen Schritt vor und zurück, gab aber die Spuren nicht frei. Fast gespenstisch mutete sein Erscheinen an. René sah Alex fragend an. Dieser hob die Schulter und richtete den Blick wieder auf den Unentschiedenen. Endlich schritt dieser in der ursprünglichen Richtung weiter. Sie sahen sich ein zweites Mal an, schüttelten den Kopf und wollten gerade wieder starten, als ein anderer Mann mit einer krummen Haltung und einem schwachsinnigen Gesicht auf sie zukam und gestikulierend nach dahin winkte, wo der Mann mit dem Balken hergekommen war. René fühlte sich unentschlossen. Hätte er seinen Schwung nicht verloren, wäre er hier leicht vorbeigekommen. Die Füße fühlten sich an, als seien sie mittels Krampen in den Boden verankert.
Sollen wir schauen, was er uns zeigen will?“, fragte er seinen Begleiter.
Alex schüttelte entschieden den Kopf. „Geh du nur mit, du hast ja Zeit. Ich muss dringend in die Stadt zurück.“
Da er so leicht geglitten war, schien René, er dürfe jetzt einem Hindernis, das sich ihm stellte, nicht ausweichen.
Macht es dir nichts aus?“, fragte er seinen Freund.
Ach was, wenn du mich bloß vor diesem Verrückten verschonst.“
Also gut, dann wünsche ich dir eine schöne Rückkehr und grüß die Familie von mir. So schlimm wird es schon nicht sein, was dieser hier – er wies auf den Gekrümmten, der ihn drängend anschaute – mir zu zeigen hat.“
Sie umarmten sich flüchtig. Der Freund wechselte auf die rechte Spur und machte sich zügig davon. René entspannte seine Bogen und hatte jetzt gewöhnliche Stöcke in den Händen. Er schnallte die Skier ab, nahm sie in die Linke, die Stöcke in die Rechte und folgte dem Stummen, der sichtlich erleichtert vor ihm herhumpelte. Alle paar Meter drehte sich der Schwachsinnige um, zu sehen ob er ihm wirklich folgte. Sie näherten sich einer Hütte, die mehr einem Schuppen als einem bewohnbaren Haus glich. Etwas unheimlich war ihm schon zu Mute. Was sollte es schon Schlimmes sein, was der Stumme ihm zu zeigen hatte?, dachte er. Und wenn doch? - Dann war es besser, dies früher als später zu erfahren. MLF

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