Toni war unglücklich. Er
liebte Mili sehr und hätte ihr gerne Schmuck gekauft. Wenn es für eine goldene
Kette nicht reichte, dann sollte es mindestens eine silberne sein. Aber nicht
mal dafür hatte er Geld genug. Hätte er die Augen geöffnet und seine Geliebte
angesehen, so würde er bemerkt haben, dass sie eines Schmuckes nicht bedurfte. Der
sanft gewölbte Bauch (japanisch: ‚Hara‘), die vollendeten Brüste, der zierliche
Hals und das Gesicht einer Göttin, an nichts fehlte es ihr. Aber er war halt in
seinen Vorstellungen verstrickt und konnte sich nicht davon lösen. Erst als sie
ihn neckte und durch gezielte Berührungen sein Feuer entfachte, vergaß er
seinen Kummer und ließ sich auch das Spiel ein.
Im Anschluss daran vernahm
er von ihr die folgende Geschichte. AS
Für ihn, der kein Geld verdiente – der Chef hatte ihm verboten
einen Hilfsjob anzunehmen [5 Keine Aushilfen mehr] und bei der Agentur hatten
sie sich geweigert, ihn in die Reihe der Abrigatoren aufzunehmen [24 Hochzeit
im Schutz des hotel de ville] – war es eine große Überraschung, plötzlich über einen
Haufen von Geldscheinen zu verfügen. Hätte er diese schon früher gehabt, so wären
die Jahre viel sorgloser verstrichen, schien ihm. Aber war es wirklich sein
Geld? Doch wohl eher nicht. Jedenfalls hatte er, als er darauf stieß, das
Gefühl gehabt, es gehöre jemand anderem. Aber von Anfang an:
Tommy war immer klar gewesen, dass er eines Tages in sein
Heimatland zurückkehren müsse. Er scheute auch nicht davor zurück. Aber es war
noch nicht die Zeit seiner Rückkehr, das spürte er. Doch einmal nachts, als er
einen großen Spaziergang machte, stand er plötzlich in Sichtweite des
Übergangs. Er sah den Zaun und die zwei Gebäude, zwischen denen der Grenzposten
stationiert war. Die Parkplätze für die Wartenden bei großem Andrang, waren in
dieser Nacht leer. Es standen nur zwei Wagen am Durchgang. Beim vorderen sah er
einen Beamten, der den Ausweis kontrollierte. Als Tommy klar wurde, wohin er
gelangt war, drehte er um. Doch da sah er am Boden ein Kuvert liegen. Ein
gewöhnliches langes Kuvert, wie es die Firmen für die Korrespondenz nutzen. Aber
dick ausgebeult. Womit mochte es gefüllt sein?
Der Anblick dieses prall gefüllten Briefumschlags weckte in ihm
sonderbare Assoziationen. Ein spleeniger Einfall, eine fremdartige Szene – wohl
angeregt vom nahen Grenzübergang – tauchte in seiner Fantasie auf. Er glaubte
an einem der ungezählten Grenzposten des chinesischen Reiches zu stehen. Und
vermeinte, einer der spitzbärtigen Weisen habe sein unnütz gewordenes Vermächtnis
fallen lassen. Als habe er verhindern wollen, dass ein geschäftstüchtiger
Zöllner, aus der Arbeit, die ihm ein Leben lang nur Schimpf eingebracht hatte,
Geld zu schlagen versuchte.
Aber was Tommy darin entdeckte, waren nicht Notizen und erst
recht keine Weisheiten in gebundener Schrift, sondern einfach nur Geld. Der
ganze Umschlag war prall gefüllt mit Geldscheinen. Was er all die Jahre vermisst
hatte, lag jetzt plötzlich in großer Fülle vor ihm. Er hatte immer behauptet,
dass er sich nichts aus Geld mache und hatte mit Gelassenheit hingenommen, dass
ihn flüchtige Bekannte wie engste Freunde für einen Müßiggänger und Schmarotzer
hielten. Aber als er jetzt das Geld vor sich liegen sah, bemerkte er doch, wie
sein Pulsschlag sich änderte. Anscheinend war er nicht so immun gegen die
Verlockung dieses mächtigen Tauschmittels, wie er geglaubt hatte. Er spürte
eine angenehme Wärme in seinen sonst eher blassen Wangen. Ob ihn jemand gesehen
hatte? Er nahm sich vor, das Kuvert umgehend auf die Fundstelle zu tragen.
Vielleicht würde ihm ja ein Finderlohn zufallen. Vorne schaute ihm ein Hunderter-Schein
entgegen. Eine kleine Erleichterung wollte er sich an dem Glückstag gönnen. Er
nahm ihn, faltete ihn schnell mit der freien Hand und steckte ihn in die rechte
Gesäßtasche. Aber schon diese winzige Selbstbelohnung regte in ihm
Schuldgefühle. Die werden davon ausgehen, dass ich mich bedient habe und werden
mich filzen. Aber der Hunderter wollte nicht mehr aus der Tasche heraus. Vom
Spaziergang zurück, trug er das Kuvert nicht ins Haus, sondern legte es in die
Werkstatt. MLF
…
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen