Freitag, 20. April 2012

40 Einmachäpfel i

 Toni sah im Dunkel, dass Mili etwas in der Hand hielt. Als er sie fragte, was es sei, streckte sie ihm die Hand entgegen. Auf dieser lag ein Apfel. Unwillkürlich schreckte er zurück. Die Geste des Apfelüberreichens hatte sich als verhängnisvoll in sein Gedächtnis eingeschrieben. (Trojanischer Krieg, Garten Eden, Schneewittchen) Doch etwas – fand er – war ungewöhnlich an diesem Apfel. Da er im Halbdunkel schlecht sehen konnte, rührte er ihn vorsichtig mit dem Finger an. Die Haut fühlte sich nicht glatt, sondern ledern an. Er formte mit Daumen und mittlerem Finger eine Zange und drückte ihn zur Probe. Das war kein frischer Apfel, stellte er fest, sondern ein eingelegter. Jetzt verlor er die Scheu und nahm Milis Angebot dankend an. Er aß den ganzen Apfel – der schmeckte köstlich. Nichts Schicksalsträchtiges widerfuhr ihm. Wahrscheinlich – sagte er sich – hat das Verhängnisvolle bei jenen Überreichungen am Rohzustand des Apfels gelegen.
Mili wartete geduldig bis er fertig gekaut hatte. Dann schmiegte sie sich an ihn und sie begannen ihr sinnliches Spiel. Anschließend erzählte sie ihm die Geschichte von den Einmachäpfeln. AS

Sie trafen sich im Studiensaal, um weiter an ihrem Katalog zu arbeiten. Der Saal erinnerte ihn an den Raum, in dem sie im Internat über ihren Hausaufgaben gebrütet hatten. Nur waren die Tische nicht ganz so streng geordnet. Er versuchte seinem Mitstreiter, Franz, einen Vorschlag schmackhaft zu machen, nämlich: längere Artikel zweizuteilen.
„Das brauchst du nicht begründen“, dämpfte Franz seinen Eifer. „Natürlich müssen wir die langen zweiteilen. Mich stört nur ‚eins, zwei‘ und ‚a, b‘, die du vorgeschlagen hast.“
„Ach, wieso?“, fragte Mark verwundert.
„Die übliche Aufzählung betont zu wenig den Zusammenhang“, stellte Franz fest. „Das scheint mir bei ‚i, j‘ stärker gegeben.“
„Und was ist, wenn wir eine Dreiteilung brauchen, wie in unserem einleitenden Artikel schon geschehen?“
„Einfach fortfahren, ‚i, j, k, ...‘“, sagte Franz und hob beide Hände.  
„Zwischen b und c sehe ich aber mehr Zusammenhang, als zwischen j und k“, fand er.
„Da magst du Recht haben“, gab Franz zu, „aber meistens handelt es sich ja um eine Zweiteilung.“
Mark erklärte sich einverstanden. Er lehnte sich im Stuhl zurück und dachte nach. Plötzlich war er in Gedanken ganz woanders. Er dachte an die Schwierigkeiten, die sich bei einem großen literarischen Werk zwangsläufig einstellten und war froh, dass sie nur einen Katalog in Arbeit hatten. „Bei einem Katalog haben wir nicht das Problem wie bei einem großen Roman, stellte er fest und schaute, ob Franz bereit war, seinem Gedankengang zu folgen.
Dieser sah ihn fragend an.
„Was mich an ‚Krieg und Frieden‘ unter anderem beeindruckt, ist die konsequente Aufteilung dieses riesigen Werks in kleine Happen. Die passen zu meiner kurzen Lesezeit. Ich kann gerade einen Abschnitt bewältigen.“
Franz sagte nichts.
„Nicht einverstanden?“, fragte er verunsichert.
„Doch, schon“, entgegnete Franz. „Nur betrachte ich die Aufarbeitung zurückliegender Epochen, wie das Tolstoi mit Russland zur Zeit von Napoleons Angriff getan hat, mit Skepsis.“ Franz hielt inne, als prüfte er sein Argument. Dann sprach er die Folgerung aus: „Ich finde, sie bergen stets eine Rückwendung in sich.“ Mit einem auffordernden Blick auf seinen Mitstreiter gerichtet, sagte er. „Ich wünschte mir, dass die Protagonisten, die in unserem Katalog zum Zug kommen, in einer gegenwärtigen Zukunft zuhause sind.“
„Gegenwärtige Zukunft?“, fragte er verblüfft.
„Wenn man sich die Zeit als eine Balkenwaage vorstellt mit der Gegenwart als Drehpunkt, so möchte ich, dass wir das Hauptgewicht in die Z-Schale legen“, verdeutlichte Franz. MLF

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