Toni sah im Dunkel, dass
Mili etwas in der Hand hielt. Als er sie fragte, was es sei, streckte sie ihm
die Hand entgegen. Auf dieser lag ein Apfel. Unwillkürlich schreckte er zurück.
Die Geste des Apfelüberreichens hatte sich als verhängnisvoll in sein
Gedächtnis eingeschrieben. (Trojanischer Krieg, Garten Eden, Schneewittchen)
Doch etwas – fand er – war ungewöhnlich an diesem Apfel. Da er im Halbdunkel
schlecht sehen konnte, rührte er ihn vorsichtig mit dem Finger an. Die Haut
fühlte sich nicht glatt, sondern ledern an. Er formte mit Daumen und mittlerem
Finger eine Zange und drückte ihn zur Probe. Das war kein frischer Apfel,
stellte er fest, sondern ein eingelegter. Jetzt verlor er die Scheu und nahm Milis
Angebot dankend an. Er aß den ganzen Apfel – der schmeckte köstlich. Nichts
Schicksalsträchtiges widerfuhr ihm. Wahrscheinlich – sagte er sich – hat das
Verhängnisvolle bei jenen Überreichungen am Rohzustand des Apfels gelegen.
Mili wartete geduldig bis
er fertig gekaut hatte. Dann schmiegte sie sich an ihn und sie begannen ihr sinnliches
Spiel. Anschließend erzählte sie ihm die Geschichte von den Einmachäpfeln. AS
Sie trafen sich im Studiensaal, um weiter an ihrem Katalog zu
arbeiten. Der Saal erinnerte ihn an den Raum, in dem sie im Internat über ihren
Hausaufgaben gebrütet hatten. Nur waren die Tische nicht ganz so streng
geordnet. Er versuchte seinem Mitstreiter, Franz, einen Vorschlag schmackhaft
zu machen, nämlich: längere Artikel zweizuteilen.
„Das brauchst du nicht begründen“, dämpfte Franz seinen Eifer. „Natürlich
müssen wir die langen zweiteilen. Mich stört nur ‚eins, zwei‘ und ‚a, b‘, die
du vorgeschlagen hast.“
„Ach, wieso?“, fragte Mark verwundert.
„Die übliche Aufzählung betont zu wenig den Zusammenhang“,
stellte Franz fest. „Das scheint mir bei ‚i, j‘ stärker gegeben.“
„Und was ist, wenn wir eine Dreiteilung brauchen, wie in unserem
einleitenden Artikel schon geschehen?“
„Einfach fortfahren, ‚i, j, k, ...‘“, sagte Franz und hob beide
Hände.
„Zwischen b und c sehe ich aber mehr Zusammenhang, als zwischen j
und k“, fand er.
„Da magst du Recht haben“, gab Franz zu, „aber meistens handelt
es sich ja um eine Zweiteilung.“
Mark erklärte sich einverstanden. Er lehnte sich im Stuhl zurück
und dachte nach. Plötzlich war er in Gedanken ganz woanders. Er dachte an die
Schwierigkeiten, die sich bei einem großen literarischen Werk zwangsläufig
einstellten und war froh, dass sie nur einen Katalog in Arbeit hatten. „Bei
einem Katalog haben wir nicht das Problem wie bei einem großen Roman, stellte
er fest und schaute, ob Franz bereit war, seinem Gedankengang zu folgen.
Dieser sah ihn fragend an.
„Was mich an ‚Krieg und Frieden‘ unter anderem beeindruckt, ist
die konsequente Aufteilung dieses riesigen Werks in kleine Happen. Die passen
zu meiner kurzen Lesezeit. Ich kann gerade einen Abschnitt bewältigen.“
Franz sagte nichts.
„Nicht einverstanden?“, fragte er verunsichert.
„Doch, schon“, entgegnete Franz. „Nur betrachte ich die Aufarbeitung
zurückliegender Epochen, wie das Tolstoi mit Russland zur Zeit von Napoleons
Angriff getan hat, mit Skepsis.“ Franz hielt inne, als prüfte er sein Argument.
Dann sprach er die Folgerung aus: „Ich finde, sie bergen stets eine Rückwendung
in sich.“ Mit einem auffordernden Blick auf seinen Mitstreiter gerichtet, sagte
er. „Ich wünschte mir, dass die Protagonisten, die in unserem Katalog zum Zug
kommen, in einer gegenwärtigen Zukunft zuhause sind.“
„Gegenwärtige Zukunft?“, fragte er verblüfft.
„Wenn man sich die Zeit als eine Balkenwaage vorstellt mit der Gegenwart
als Drehpunkt, so möchte ich, dass wir das Hauptgewicht in die Z-Schale legen“,
verdeutlichte Franz. MLF
…
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