Donnerstag, 27. Dezember 2012

133 Land of Reason – Die Pi-Felsen


Auf dem Fahrrad ging es mit Tempo einen abschüssige Straße hinunter. Am Wegrand harrte ein schwarzes Tier, weiß gestreift. Ein Dachs wie sich zeigte. Wenn der mir nur nicht vors Rad rennt, dachte Tonke und verlangsamte die Fahrt. Der Dachs verhielt sich ruhig, er kam ohne Probleme vorbei, aber schwieriger wurde es, als weiter unten eine Sennenhündin – ebenfalls schwarz mit weißem Muster – mit Welpen auf der Straße lag, die sie frisch geworfen hatte. Er hielt an und hinterließ der Hündin zwei seiner Butterbrote, die sie, wie er fand zur Kräftigung brauchte. Unten angekommen sah er Wasser und glaubte - da er ins ‚Land of Reason‘ aufgebrochen war – er sei im Rheinland. Doch zum Wasser hin wellten sich von trockenem Gras bewachsene Dünen. War er am Meer? Er lief durch den Sand, um zu prüfen, ob das Wasser salzig sei. Aber in der Bucht war das Wasser mit modrigen Pflanzen bedeckt, so dass er diesen Test auf später verschob.
Tonke fuhr weiter und gelangte beim Eindunkeln endlich in einen bewohnten Ort. Doch die Gebäude befanden sich in einem so maroden Zustand, dass er zweifelte, ob er hier eine passende Unterkunft für die Nacht finden werde.
Durch laute Stimmen wurde er auf eine Schenke aufmerksam. Es war ein etwas höher gelegenes, mehrstöckiges Gebäude. Vielleicht würde er hier mit jemandem in Kontakt kommen und so einen Übernachtungsplatz finden. Die Gasträume waren groß und gut besucht. Doch es waren misstrauische Einheimische, die kein Interesse an ihm, dem Fremden, zeigten. Sie taxierten ihn ablehnend, wenn sie ihm überhaupt Beachtung schenkten. Die Gaststätte erstreckte sich über drei Stockwerke und war noch mit einem Anbau der Straße gegenüber verbunden. Er ging auf den verschiedenen Ebenen herum, aber überall begegnete man ihm mit der gleichen feindlichen Haltung. Es wurde ihm klar, dass ihm hier niemand helfen würde. Also verließ er das ungastliche Lokal.
Draußen stieß er auf einen umgestürzten Anhänger, der ihm vorher nicht aufgefallen war. Und unter dem Vordach eines isoliert stehenden Schuppens entdeckte er ein teures, massiges Automobil, das aber um ein Drittel zu kurz schien und dadurch sehr bullig wirkte.

Tonke begab sich auf die geneigte Straße zum Ortskern hin. Es war noch ein Rest von Helligkeit am Himmel. Vielleicht hatte er ja Glück und würde eine Herberge finden. Obwohl die Sorge um das Nachtlager jetzt akut war, ließ er sich von diesen alten Bauten doch auch faszinieren. Wann sah man schon eine solche Zerrüttung. Es war ihm ein Rätsel, wie man in Häusern leben konnte, an denen ganz offensichtlich seit Urzeit kein Handschlag mehr getan worden war. Auf einer Erhebung sah er vier miteinander verbundene Gebäude, von denen, wie er glaubte, die mittleren eingestürzt wären, wenn sie nicht von den solideren Nachbargebäuden gehalten worden wären.
Plötzlich kam ihm mit zackigem Schritt eine junge Frau entgegen. Abrupt bog sie vor ihm ab und entfernte sich nach rechts hin zu Felsen, die dort zwischen den Gebäuden sichtbar wurden. Ihr Auftritt hatte etwas Aufreizendes an sich. Als hätte sie ihn auf sich aufmerksam machen wollen. Er konnte sich gar nicht erklären, woher sie so unvermittelt gekommen war. Doch dann sah er, näher an ein massiges Gebäude tretend, einen Durchgang durch dieses. Es war ein Gang von mindestens zwanzig Metern Länge. Am andern Ende schien Helligkeit auf. Aus dieser Passage heraus musste die junge Frau gekommen sein und war zufällig auf ihn gestoßen. Er hob sich diesen Durchgang für später auf und folgte der Richtung, in die die junge Frau verschwunden war.
Tonke hatte nicht weit zu gehen, da stieß er auf die Felsen, die er von vorne gesehen hatte. Eine hohe Felswand erhob sich vor ihm und zog sich in leichtem Bogen ein Stück weit durch den Ort. Wenn sie nicht aus karstigem Fels bestanden hätte, würde er sie für den Überrest einer alten Stadtmauer gehalten haben. Die Neugier war so stark, dass er die schroffe Felswand hinaufkletterte, bis er oben die Arme über den scharfen Grat legen und sich so sichern konnte. Er traute seinen Augen nicht – dahinter war noch ein Grat. Zwei parallele, dünne Felsgrate zogen sich sanft gebogen durch diesen alten Ort. Er konnte es deutlich sehen, weil es hier oben heller war als unten. Obwohl die runde Form der Felsen gut sichtbar war, kam ihm der entscheidende Gedanke noch nicht. Er sah, dass innen, zwischen den Graten ein Weg entlang lief und dass sogar archäologische Ausgrabungen gemacht worden waren. Schaukästen säumten in regelmäßigen Abständen den Weg. Von seinem Augpunkt aus gesehen wirkten sie wie Pflanzbeete. Jetzt, das sein Forschertrieb befriedigt war, befiel ihn plötzlich der Schwindel. Er hörte, wie das Blut in seinen Adern pochte. Wie hatte er sich nur so leichtfertig an so einen exponierten Ort begeben können. Der Abstieg würde äußerst schwierig werden. Wenige Meter von ihm entfernt, brachen die Grate ab. Dort war der Aufstieg, über den man zwischen die Grate gelangte. Es sah die junge Frau wieder. Sie stieg dort ohne Mühe hoch. So kam er auf die Idee, statt des gefährlichen Abstiegs sich am Grat entlang zu hangeln bis zum Ende der Felsformation. Mit einigen Schrunden, aber mit weniger Mühe als befürchtet, gelangte er schließlich auf den sicheren Weg.
Er ging nun zwischen die Felsgrate und hoffte die junge Frau zu treffen. Ein Mann und eine Frau stellten sich neben ihn und unterhielten sich, als gehörte er seit jeher zu ihnen. Ihm widerfuhr hier das glatte Gegenteil der Behandlung, die er in der Gaststätte hatte hinnehmen müssen. Er war nach der abweisenden Haltung der Männer in der Dorfschenke so verwundert, dass er seinen Mund nicht aufbekam und einfach nur stehen blieb. Da dachte er wieder an die Form dieser Felsen und langsam wurde ihm bewusst, dass er es hier mit Vertretern des Volkes der Gaußpi zu tun hatte. Dann trat auch noch die junge Frau zu ihnen. Sie sagte in der gleichen, Aufsehen erregenden Art, wie sie auf ihn zugelaufen war. „Lasst uns jetzt gemeinsam Brot backen.“
Tonke folgte ihnen. Und so löste sich das Problem mit dem Nachtquartier wie von selbst. MLF

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