Tonke fuhr weiter und gelangte beim Eindunkeln endlich in einen
bewohnten Ort. Doch die Gebäude befanden sich in einem so maroden Zustand, dass
er zweifelte, ob er hier eine passende Unterkunft für die Nacht finden werde.
Durch laute Stimmen wurde er auf eine Schenke aufmerksam. Es war
ein etwas höher gelegenes, mehrstöckiges Gebäude. Vielleicht würde er hier mit
jemandem in Kontakt kommen und so einen Übernachtungsplatz finden. Die
Gasträume waren groß und gut besucht. Doch es waren misstrauische Einheimische,
die kein Interesse an ihm, dem Fremden, zeigten. Sie taxierten ihn ablehnend,
wenn sie ihm überhaupt Beachtung schenkten. Die Gaststätte erstreckte sich über
drei Stockwerke und war noch mit einem Anbau der Straße gegenüber verbunden. Er
ging auf den verschiedenen Ebenen herum, aber überall begegnete man ihm mit der
gleichen feindlichen Haltung. Es wurde ihm klar, dass ihm hier niemand helfen
würde. Also verließ er das ungastliche Lokal.
Draußen stieß er auf einen umgestürzten Anhänger, der ihm vorher
nicht aufgefallen war. Und unter dem Vordach eines isoliert stehenden Schuppens
entdeckte er ein teures, massiges Automobil, das aber um ein Drittel zu kurz
schien und dadurch sehr bullig wirkte.
Tonke begab sich auf die geneigte Straße zum Ortskern hin. Es war
noch ein Rest von Helligkeit am Himmel. Vielleicht hatte er ja Glück und würde
eine Herberge finden. Obwohl die Sorge um das Nachtlager jetzt akut war, ließ
er sich von diesen alten Bauten doch auch faszinieren. Wann sah man schon eine
solche Zerrüttung. Es war ihm ein Rätsel, wie man in Häusern leben konnte, an
denen ganz offensichtlich seit Urzeit kein Handschlag mehr getan worden war. Auf
einer Erhebung sah er vier miteinander verbundene Gebäude, von denen, wie er
glaubte, die mittleren eingestürzt wären, wenn sie nicht von den solideren
Nachbargebäuden gehalten worden wären.
Plötzlich kam ihm mit zackigem Schritt eine junge Frau entgegen.
Abrupt bog sie vor ihm ab und entfernte sich nach rechts hin zu Felsen, die
dort zwischen den Gebäuden sichtbar wurden. Ihr Auftritt hatte etwas
Aufreizendes an sich. Als hätte sie ihn auf sich aufmerksam machen wollen. Er
konnte sich gar nicht erklären, woher sie so unvermittelt gekommen war. Doch
dann sah er, näher an ein massiges Gebäude tretend, einen Durchgang durch
dieses. Es war ein Gang von mindestens zwanzig Metern Länge. Am andern Ende
schien Helligkeit auf. Aus dieser Passage heraus musste die junge Frau gekommen
sein und war zufällig auf ihn gestoßen. Er hob sich diesen Durchgang für später
auf und folgte der Richtung, in die die junge Frau verschwunden war.
Tonke hatte nicht weit zu gehen, da stieß er auf die Felsen, die
er von vorne gesehen hatte. Eine hohe Felswand erhob sich vor ihm und zog sich
in leichtem Bogen ein Stück weit durch den Ort. Wenn sie nicht aus karstigem
Fels bestanden hätte, würde er sie für den Überrest einer alten Stadtmauer gehalten
haben. Die Neugier war so stark, dass er die schroffe Felswand hinaufkletterte,
bis er oben die Arme über den scharfen Grat legen und sich so sichern konnte.
Er traute seinen Augen nicht – dahinter war noch ein Grat. Zwei parallele,
dünne Felsgrate zogen sich sanft gebogen durch diesen alten Ort. Er konnte es
deutlich sehen, weil es hier oben heller war als unten. Obwohl die runde Form
der Felsen gut sichtbar war, kam ihm der entscheidende Gedanke noch nicht. Er
sah, dass innen, zwischen den Graten ein Weg entlang lief und dass sogar
archäologische Ausgrabungen gemacht worden waren. Schaukästen säumten in
regelmäßigen Abständen den Weg. Von seinem Augpunkt aus gesehen wirkten sie wie
Pflanzbeete. Jetzt, das sein Forschertrieb befriedigt war, befiel ihn plötzlich
der Schwindel. Er hörte, wie das Blut in seinen Adern pochte. Wie hatte er sich
nur so leichtfertig an so einen exponierten Ort begeben können. Der Abstieg
würde äußerst schwierig werden. Wenige Meter von ihm entfernt, brachen die
Grate ab. Dort war der Aufstieg, über den man zwischen die Grate gelangte. Es
sah die junge Frau wieder. Sie stieg dort ohne Mühe hoch. So kam er auf die
Idee, statt des gefährlichen Abstiegs sich am Grat entlang zu hangeln bis zum
Ende der Felsformation. Mit einigen Schrunden, aber mit weniger Mühe als befürchtet,
gelangte er schließlich auf den sicheren Weg.
Er ging nun zwischen die Felsgrate und hoffte die junge Frau zu
treffen. Ein Mann und eine Frau stellten sich neben ihn und unterhielten sich,
als gehörte er seit jeher zu ihnen. Ihm widerfuhr hier das glatte Gegenteil der
Behandlung, die er in der Gaststätte hatte hinnehmen müssen. Er war nach der
abweisenden Haltung der Männer in der Dorfschenke so verwundert, dass er seinen
Mund nicht aufbekam und einfach nur stehen blieb. Da dachte er wieder an die
Form dieser Felsen und langsam wurde ihm bewusst, dass er es hier mit
Vertretern des Volkes der Gaußpi zu tun hatte. Dann trat auch noch die junge
Frau zu ihnen. Sie sagte in der gleichen, Aufsehen erregenden Art, wie sie auf
ihn zugelaufen war. „Lasst uns jetzt gemeinsam Brot backen.“
Tonke folgte ihnen. Und so löste sich das Problem mit dem
Nachtquartier wie von selbst. MLF
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