Mittwoch, 27. Februar 2013

148 Ein Bienenkorb als Schnittstelle



Wie Tonke versuchte, den Nachfolgern seine Schnittstelle zu empfehlen und dabei den Klabautermann entdeckte.



Er kehrte in den separaten Schulraum zurück, in welchem er damals eine Laubhütte mit Leiter errichtet und über eine spezielle Leitung eine Verbindung mit der anderen Seite geschaffen hatte. Den Raum erreichte er leichter als erwartet. Auf unerklärliche Weise war die Astoria-Schule in den Garten des Heimhauses integriert. Home wurde immer mehr zu einer Zauberschachtel, in der weitere Schachteln steckten. Der Horst im Raum drin, der wie eine Baumhütte unter die Decke gebaut war, stand noch da. Obwohl äußerst provisorisch aufgestellt, war sie unversehrt geblieben. In eben diesem Schulraum hatten sich an einem langen Tisch der Fensterfront entlang junge Tüftler eingerichtet und gingen ihrerseits wichtigen Entdeckungen nach. Das sind wohl meine Nachfolger, sagte sich Tonke.

Schon als er den Raum betrat, beschlich ihn das ungute Gefühl, dass irgendetwas mit seiner Einrichtung nicht stimmte. Er kletterte die wackeligen Sprossen zum Horst hoch, setzte sich auf die Jägerbank und hielt sich das Ende der Leitung ans Ohr. Tatsächlich, die Verbindung war unterbrochen. Etwas war faul, aber was? Er öffnete den Verschluss des Kabelendes, etwa ein Dutzend feine Drähte fielen ihm entgegen. Sie befanden sich in tadellosem Zustand. Daran konnte es also nicht liegen. Er bündelte die Drahtenden und schraubte den sensiblen Deckel wieder drauf. Was konnte sonst die Ursache sein? Es musste an der Leitung liegen. Irgendwo musste sie unterbrochen sein. Er stieg die Sprossen hinab.

Von unten verfolgte er das Kabel. Es lief an der Decke entlang und verließ das Gebäude über dem Schrank an der Südwand. Auf der ganzen Länge war nichts Störendes zu erkennen. Also ging er nach draußen.

Statt den Ausgang durch die Südwand und den Verlauf durch den Garten zu prüfen, zog es ihn direkt zur jenseitigen Wiese. Diese lag, dem Heimhaus und der Schule gegenüber, auf der anderen Seite der Straße. Schon auf halbem Weg sah er, dass die Leitung sich in der Wiese wand. Das hatte es früher nicht gegeben. Tonke begab sich in die Wiese und suchte nach dem passenden Ende der Leitung. Jemand musste sie dahin geschleppt haben. Womöglich war dies sogar unbeabsichtigt geschehen. Der Betreffende konnte mit dem Fuß daran hängen geblieben sein und sie mit sich gezogen haben. Tonke fand das Ende, ergriff es und lief damit zurück. Er zog das Kabel durch den Garten bis zur Wand des Schulraumes und steckte es in die Öffnung. Damit setzte er die Verbindung zwischen der jenseitigen Wiese und dem Schulraum wieder in Stand.



Da er gerade die Leitung in Ordnung brachte, wünschte er, die jungen Forscher, die im gleichen Raum arbeiteten, würden seine Einrichtung kennen lernen. Letztlich wollte er ihnen anbieten, diese auch zu nutzen.

Mit einem gewissen Wohlwollen ließen sie sich von ihrer eigenen, natürlich viel wichtigeren Arbeit ablenken. Genau betrachtet, war er für sie ein alter Kauz. Aber sie zeigten doch Respekt vor ihm. Er galt noch immer als Pionier.

Was er ihnen zeigen wollte, war die Schnittstelle an der Südwand über dem Schrank. Ein großer, schlaksiger Kerl, mit kurzen, widerspenstigen Haaren, stellte sich als Hardy vor. Er nahm sich die Zeit und kam näher. Er und Tonke stiegen auf eine Leiter zur linken Seite des Schrankes hoch. Direkt vor der Wand lief das dicke, weiße Kabel in einen weißen, gewölbten Kegel.

„Meine gebündelten Drähte laufen hier rein“, erklärte Tonke. „Ich nenne es den Bienenkorb. Hier drin treffen sich die beiden Leitungen – ohne dass sich die Drähte berühren.“

Der trichterförmige ‚Korb‘ war durchlöchert wie ein grobporiges Sieb. Von der Konsistenz her erinnerte er an die weißen, knochigen Fundstücke an den Küsten, von denen es heißt, dass sie von Seesternen stammen.



Er bemerkte, wie Hardy nach rechts starrte. Auf der anderen Seite duckte sich, zwischen Schrank und Decke, ein finsteres Wesen. Es war halb verdeckt von allerlei Materialien, die es als Nest um sich angehäuft hatte. Tonke hätte es gar nicht beachtet, wenn nicht der junge Hardy angewidert darauf gewiesen hätte und in verächtlichem Ton gezerft hätte.

Dieses Alte hier, das wollen wir aber weghaben.“

Er sprach gar nicht von dem Wesen als Einzelnem, sondern zeigte auf dieses mitsamt dem Zeug, in das es sich eingenistet hatte.

Tonke sah die Figur genauer an. Für ihn war es ein normaler Zwerg, nur kleiner und dicker, mit dichtem schwarzen Haar und diesem typischen Ausdruck der Zurückhaltung einerseits und dem Stolz andererseits. Auch wenn ich nicht bin wie ihr, so habe ich doch eine Lebensberechtigung, drückte seine Miene aus. Zwischen Schrank und Decke blieb nur wenig Platz, entsprechend war der Zwerg zwei, höchstens drei Spannen hoch, dafür aber mindestens doppelt so breit. Eben ganz an die Umgebung angepasst. Tonke fühlte sich für einen Moment in das sonderbare Hotel aus dem Film ‚Das Schweigen‘ eines Schweden versetzt. Dem Jungen im Film folgend war er von den zwergenhaften Figuren befremdet gewesen, die unverständliche Laute von sich gaben. Für einen Augenblick überkam ihn die gleiche beklemmende Stimmung. Diese hielt aber nur kurz an. Er hatte sich daran gewöhnt, dass er vieles nicht verstehen konnte, was sich ihm zeigte.

Um aber vor den jungen, coolen Tüftlern nicht durchzufallen, griff er das nächst fassbare Werkzeug, das ihm in die Hand kam, ein Pfannenschaber mit metallener Fläche. Diesen ließ er dem Zwergenwesen auf die nackte Haut klatschen. Gleichzeitig bot er Hardy an.

„Wenn einer von euch in meiner Abwesenheit in die Baumhütte einziehen und die Leitung ausprobieren will, dann darf er das gerne tun.“ Begleitend dazu schlug er weiter auf den Zwerg ein. „Ich möchte sogar ausdrücklich dazu einladen, dass man sie nutzt.“ Doch mit jedem Schlag, den er dem Zwerg zufügte, verstimmte sich seine Sprache stärker. Schließlich konnte er sich kaum noch verständlich ausdrücken. Er musste schweigen, damit er vor den Jungen nicht als Stammler durchfiel.



Nachträglich fragte sich Tonke doch, was das wohl für eine Gestalt sei, die ihm da störend dazwischen gekommen war. Hardy hatte wirklich Interesse an seiner Leitung gezeigt und hätte sich wohl auf die ungewöhnliche Schnittstelle, den Bienenkorb, eingelassen, hätte nicht der Zwerg ihn in Rage gebracht. Tonke brauchte nicht lange zu forschen. Es war klar, es konnte sich nur um einen Klabautermann handeln. – Ja, was war ein Klabautermann überhaupt? – Er musste das Lexikon bemühen.

‚Der Klabautermann ist ein Kobold, der dem Schiff den Untergang anzeigt‘.

Als er das las, musste er sich erst mal setzen. Zwar ahnte er, dass seine Stunde näher rückte. Aber dass sie nun bald bevorstand, überraschte ihn doch. Daher auch die zunehmende Verwandlung des Home. Bald würde das Haus wie ein großes Schiff versinken und ihn als Passagier mit in die Tiefe ziehen.

Angesichts einer solchen Veränderung wollte er es doch noch mal wagen, mit den jungen Forschern ins Gespräch zu kommen. Er musste ein letztes Mal versuchen, ihnen seine Leitung nahe zu legen.

„Eine Bienenkorb-Schnittstelle kann man wissenschaftlich nicht fassen“, sagte er eindringlich. „Deshalb rate ich euch, gebt Acht auf meine Leitung. Sorgt dafür, dass sie intakt bleibt. Die beiden Kabel müssen im Bienenkorb zusammenlaufen. Das von hier drin und das von der jenseitigen Wiese.“

Weder schlugen sie ihm die Bitte ab, noch schienen sie seine Worte besonders wichtig zu nehmen. Er spürte, wie sie ungeduldig wurden und es sie zu ihrer Arbeit zurückzog. Als er den Raum verließ, waren die jungen Tüftler wieder ganz in ihre eigene Arbeit an der Fensterfront vertieft. Tief unglücklich ging er davon, weil es ihm nicht gelungen war, die jungen Leute für seine Leitung zu begeistern. MLF

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