Montag, 18. Februar 2013

146 VW-Bus als Gussteil


Als Tonke endlich eine eigene Wohnung hat, überrumpelt ihn die Mentorin mit einer Präsentation der sozialen Partei.

Kaum war das Geld auf seinem Konto bei der Kreissparkasse eingetroffen, da begab sich Tonke auf Wohnungssuche. Endlich würde er seine eigenen Räume haben. Über Jahre hatte er bei seiner Schwester und bei Freunden gelebt. Jetzt konnte er es kaum noch erwarten, sich in den eigenen vier Wänden einzurichten.
Nachdem er schon einige Apartments angeschaut hatte, die ihm entweder zu klein, zu teuer oder zu schattig erschienen waren, stand er nun in einer Wohnung im zweiten Obergeschoss, die ihm auf Anhieb gefiel. Sie war großzügig, hell und vom Preis her moderat. Eine Glaswand mit Tür zum Balkon begrenzte den Wohnraum nach Westen hin. Die Südseite hatte zwei und die Nordseite ein Fenster. Der Boden bestand aus einem Parkett von robusten Eichenstäbchen und die Küche war in den Wohnraum integriert. Tonke stand vor der Küchenzeile und fing an zu überlegen, wie er auf dem Brett darüber das Geschirr anordnen würde. Dabei sah er schon die Stapel von eierschalenfarbenen IKEA-Tassen darauf.
Er stellte sich in die Mitte des großen Wohnraums und rief laut. „Das ist meine Wohnung, die nehme ich!“
Da fiel ihm die Mentorin ein. Sie hatte irgendwie abwehrend reagiert, als er ihr von seiner Wohnungssuche berichtet hatte. Sie weiß wohl nicht, wie das ist, wenn man jahrelang irgendwo unterkommen muss und über längere Zeit bei anderen haust. Wenn sie das schon erfahren hätte, dann würde sie mich bestimmt verstehen, sagte er sich.
Nun, da er sich entschieden hatte, verspürte er aber doch das Bedürfnis, ihr die Wohnung zu zeigen. Wenn sie das Appartement sah und den Preis erführe, würde sie ihm bestimmt dazu gratulieren. Er wählte ihre Nummer.
„Hallo Lula. Ich bin’s“, meldete er sich
„Wo steckst du?“, fragte sie, wie ihm schien mit einer gewissen Ungeduld.
„Ich habe eine tolle Wohnung gefunden.“
… - Keine Antwort von ihr.
„Willst du sie nicht anschauen?“
„Doch, wo liegt sie?“, fragte sie knapp.
„In der …“
„Gut, ich komme vorbei“, sagte sie und legte auf.
Tonke ging noch ins Schlafzimmer. Es war breit genug für ein Doppelbett und daneben war noch Platz für einen Schrank. Den müsste er allerdings erst anschaffen. Er stellte sich einen schönen, modernen vor mit Ausziehschubladen für die Wäsche. Zurück im Wohnzimmer musterte er die Wände. Mit den vielen Fenstern war es nicht leicht, genug Regalfläche aufzustellen für all die Bücher, die er da und dort angesammelt hatte und die er endlich vereinigen wollte. Das lange Regal, das er in einem Lagerraum abgestellt hatte, würde er wohl aufteilen müssen. Als Nächstes betrachtete er die neue Stube auf die Möbel hin. Alles würde er nicht neu kaufen können. Das eine oder andere konnte er bestimmt aus Altbeständen seiner Freunde bekommen. Aber ein moderner, bequemer Lehnstuhl musste her. Er sah sich schon in einem schicken Designerstuhl halb sitzend, halb liegend und fühlte sich endlich zu Hause.

Eine Viertelstunde bloß war vergangen, da kam Lula durch die offene Tür vom Flur her. Es war ihm, als hätte sie zuhause auf seinen Anruf gewartet. Wie sonst konnte sie so schnell bei ihm sein.
„Und, wie gefällt sie dir?“, fragte Tonke voller Stolz und drehte sich, die Arme ausgebreitet, langsam um sich selbst.
Lula hatte ein Laptop dabei. Statt nach der Wohnung zu schauen, stellte sie den portablen Computer in die Mitte der Stube auf den Boden und klappte ihn auf. Sie drückte auf den Knopf, das System fuhr hoch. Sie setzte sich selber in zwei Meter Abstand von dem Gerät hin und lud Tonke ein, daneben Platz zu nehmen.
Hat sie vielleicht auch eine Wohnung gefunden?, fragte er sich und setzte sich zögernd auf den harten Boden. Als er saß, zog die Mentorin aus ihrer weiten Jacke eine kleine Fernsteuerung und startete damit eine Präsentation.
Das erste Bild zeigte groß: 
Nanu, was soll das hier?, dachte Tonke, eine Werbung der sozialen Partei? Als nächstes Bild wurde das Immobilien-Logo der Kreissparkasse gezeigt. Ein Modellhaus aus vielen Bestandteilen in Form eines magischen Drehwürfels.   
In der nächsten Einstellung erwies sich der magische Würfel als Gussform. Das Haus lag in der Mitte aufgebrochen da. In der rechten Hälfte der Negativ-Form steckte ein großes Auto, ein VW-Bus. Dann wurde dieser VW-Bus einzeln gezeigt. Jetzt erst wurde Tonke die Dimension der Gussform und ihres Inhalts bewusst. Es handelte sich um einen Wagen in voller Größe. Ein top-neues Fahrzeug, tailliert, mit dunkler Färbung in Blau und Braun. Wie frisch aus dem Ei gepellt stand der Wagen da, wenn auch noch unfertig. In der Fortsetzung wurden die verschiedenen Schritte der Vervollständigung des Fahrzeuges gezeigt. Die Oberfläche erhielt ihren Schliff. Dann wurden die beiden noch dumpfen Farben mit einem Metallic-Lack überzogen. Er sah immer nur das Ergebnis. Als nächstes wurden die Scheiben eingesetzt und dann die Schlösser und die Griffe. Die Räder folgten, mit Reifen von Continental und glänzenden Reifendeckeln. Nun kamen die Lichter dran, erst vorne, dann am Heck. Es folgten weitere Abdeckungen und Blenden. Bei den Bildern danach konnte er außen keine Veränderung mehr sehen. Anscheinend wurde die Innenausstattung vervollständigt. Vage konnte er durch die Scheiben erkennen, dass im hinteren Bereich eine Campingausrüstung mit allem Schnickschnack eingesetzt wurde. Ohne Zweifel wurde der VW-Bus zu einem Wohnbus ausgebaut. Da, plötzlich dämmerte ihm, was der Grund zu dieser Vorführung war. Er sah zu Lula hinüber. Sie drückte auf den Pause-Knopf, drehte sich zu ihm und hielt seinem Blick stand.
„Meinst du? Findest du?“, stammelte er, die richtigen Worte nicht findend.
„Ja, doch“, sagte sie nur.
„Unterwegs sein? Keine feste Wohnung?“, brach es aus ihm heraus. Er drehte sich um und schaute in die Wohnung. Er sah die weiten Räume, die vielen Fenster, den verschwenderischen Platz. Würde er auf all das verzichten müssen? Eine starke Wehmut überkam ihn. Aber es regte sich in ihm auch ein Drang, unterwegs sein, unabhängig werden, viele Kontakte knüpfen.
Sie wartete, bis er in Gedanken zurück war. Dann drückte sie auf ‚weiter‘. Noch zwei oder drei Bilder folgten. Am Schluss stand der VW-Bus glänzend da, fix und fertig. Das Einzige, was Tonke nicht gefiel, waren die Farben. Das Blau und das Braun passten nicht recht zusammen. Und außerdem fand er den Wagen zu dunkel. Aber ansonsten war das gewiss ein Top-Fahrzeug. Fast so etwas wie Abenteuerlust überkam ihn. Am Schluss folgte nochmal bildschirmfüllend:

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