Er schaute auf ein umfriedetes Gebiet von langgezogener Form, gleich einem ausgedehnten Garten, dessen Ende nach hinten nicht absehbar war. Was ist denn das für ein Land, fragte sich Tonke. Die Umfriedung kam ihm vor wie das Modell eines Lebensraumes, der nicht ganz zu überblicken war. Er stand auf der oberen Seite. Vor ihm, in der Mitte, stand ein großes Gebäude mit einem überdimensioniert großen Turm. Dieser Turm nahm fast die Hälfte des Grundrisses des Gebäudes ein. In ihm wurde eine Schrift aufbewahrt, von der es hieß, dass sie von großer Bedeutung für dieses Land sei. Es hieß weiter, dass dieses Buch Auskunft über die Geschichte des Landes gebe. Als Problem stellte sich allerdings die Sprache heraus, in der es verfasst war. Tonke hegte die Hoffnung, dass die Schrift sich in der Sprache dessen zeige, der sie aus dem Turm barg. Doch, wie sich zeigte, erfüllte sich dieser Wunsch nicht. Die Sprache war auch nicht Englisch. Also musste es die Sprache der Bewohner dieses Landes sein. Nun wusste er, dass Lula von einem Volk dieses Landes abstammte. Also müsste sie doch bei der Übersetzung helfen können.
Mit Lula stand er nun an der anderen Längsseite, weiter hinten. Lula
las ihm aus dem Buch vor. So erfuhr er aus dessen Geschichte: Die Bewohner
waren eher klein und ihre Lebensspanne war nicht sehr lang. Aber innerhalb
dieses Gebietes hatte es einst ein Volk gegeben, dessen Menschen sehr groß
gewesen waren und deren Lebensdauer deutlich länger gewährt hatte, als die der
übrigen Bevölkerung. Die kleinwüchsigen Völker hatten versucht sich mit diesen
großen Menschen zu verbinden. Männer wie Frauen warben um die großen Menschen
und gingen Beziehungen zu ihnen ein. Aber leider blieben all diese Verbindungen
unfruchtbar. Weil sie gerne große und stattliche Kinder gehabt hätten,
versuchten sie es immer wieder, aber ohne Erfolg. Nicht ein einziges Kind wurde
bekannt, das aus einer dieser Beziehungen hervorgegangen wäre.
Folglich wandte man sich von ihnen ab. Das Volk rückte in die
Ferne und bald war es nur noch die Erinnerung die blieb. Der Stolz mit solch
großen Menschen in einem Land zusammengelebt zu haben.
Sie befanden sich nun im Hof vor einem Zweckbau, der zum Gebäude
mit dem großen Turm gehörte. Der Hof lag in Richtung der ausgedehnten Seite des
umfriedeten Geländes. Vom Hof trat Tonke durch ein offenes Tor unter die
Überdachung. Und ging zu der Stelle, an der sie ihre Sachen lagern konnten. Auf
dem Möbel lag die getrocknete Hälfte eines der Länge nach aufgeschnittenen
Flaschen-Kürbisses. Tonke zögerte. Er war etwas verwirrt. Schließlich legte er,
was er bei sich hatte in diese Kalebasse.
Draußen im Hof stand ein Wagen mit kleinen Tischen, an denen man
sich stärken konnte. Toni stand neben Lula. Die Vorstellung, mit ihr auf die
Reise zu gehen, gefiel ihm sehr. Aber es war noch nicht Zeit für die Abfahrt.
Andere kamen. Auch sie hatten von diesem Volk der Großen gehört
und zeigten sich neugierig. Jemand hatte ein spezielles Stück Brot mitgebracht.
Das war hauchdünn und dunkelbraun und sah aus wie diese dünnen dänischen Kekse.
Nur viel größer, so groß und rund wie eine stattliche Brotscheibe. Mutmaßungen
wurden angestellt, um was für ein Volk es sich handelte und in welcher
geschichtlichen Epoche sie gelebt haben könnten. Die einen sprachen von
Göttern, weswegen eine Blutsverbindung nicht möglich gewesen sei. Tonke tippte
auf die Biblischen Väter, wegen dem langen Leben, das man ihnen nachsagte. Aber
danach überzeugte ihn die Ansicht eines Gesprächspartners noch mehr. Dieser
sagte, dass jedes Volk sich seine mythischen Vorfahren als Idealgestalten
schaffe. Die würden überhöht und stünden mit dem Leben so direkt nicht in
Verbindung. Da meldete sich Lula in klagendem, vorwurfsvollem Ton:
„Mich fragt niemand. Dabei
bin ich doch eine der Überbleibenden dieses Volkes.“
Alle sahen sie verwundert, ja erschrocken an.
„Aber ich habe dich doch gestern nach ihnen befragt, warf ihr Tonke
vor „und du hast mir keine Antwort gegeben. So sag uns, wie dieses Volk heißt.“
„Gaußpi“, gab sie zur
Antwort.
„Gaußpi, was für ein seltsamer Name“, rief man durcheinander.
„Und dieses Brot“, wurde gefragt, „hat das etwa auch mit deinem Volk zu tun?“
Lula nickte. „Das ist unser
Brot“, bestätigte sie.
Da rief Tonke. „Komm wir brechen auf. Ich bin gespannt, die
Stätte deines Volkes kennenzulernen.“
Sie stiegen in den Wagen. Los ging es zum Volk der großen
Menschen. MLF
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