Donnerstag, 20. Dezember 2012

132 A Das Volk der Gaußpi


Er schaute auf ein umfriedetes Gebiet von langgezogener Form, gleich einem ausgedehnten Garten, dessen Ende nach hinten nicht absehbar war. Was ist denn das für ein Land, fragte sich Tonke. Die Umfriedung kam ihm vor wie das Modell eines Lebensraumes, der nicht ganz zu überblicken war. Er stand auf der oberen Seite. Vor ihm, in der Mitte, stand ein großes Gebäude mit einem überdimensioniert großen Turm. Dieser Turm nahm fast die Hälfte des Grundrisses des Gebäudes ein. In ihm wurde eine Schrift aufbewahrt, von der es hieß, dass sie von großer Bedeutung für dieses Land sei. Es hieß weiter, dass dieses Buch Auskunft über die Geschichte des Landes gebe. Als Problem stellte sich allerdings die Sprache heraus, in der es verfasst war. Tonke hegte die Hoffnung, dass die Schrift sich in der Sprache dessen zeige, der sie aus dem Turm barg. Doch, wie sich zeigte, erfüllte sich dieser Wunsch nicht. Die Sprache war auch nicht Englisch. Also musste es die Sprache der Bewohner dieses Landes sein. Nun wusste er, dass Lula von einem Volk dieses Landes abstammte. Also müsste sie doch bei der Übersetzung helfen können.
Mit Lula stand er nun an der anderen Längsseite, weiter hinten. Lula las ihm aus dem Buch vor. So erfuhr er aus dessen Geschichte: Die Bewohner waren eher klein und ihre Lebensspanne war nicht sehr lang. Aber innerhalb dieses Gebietes hatte es einst ein Volk gegeben, dessen Menschen sehr groß gewesen waren und deren Lebensdauer deutlich länger gewährt hatte, als die der übrigen Bevölkerung. Die kleinwüchsigen Völker hatten versucht sich mit diesen großen Menschen zu verbinden. Männer wie Frauen warben um die großen Menschen und gingen Beziehungen zu ihnen ein. Aber leider blieben all diese Verbindungen unfruchtbar. Weil sie gerne große und stattliche Kinder gehabt hätten, versuchten sie es immer wieder, aber ohne Erfolg. Nicht ein einziges Kind wurde bekannt, das aus einer dieser Beziehungen hervorgegangen wäre.

Folglich wandte man sich von ihnen ab. Das Volk rückte in die Ferne und bald war es nur noch die Erinnerung die blieb. Der Stolz mit solch großen Menschen in einem Land zusammengelebt zu haben.



Sie befanden sich nun im Hof vor einem Zweckbau, der zum Gebäude mit dem großen Turm gehörte. Der Hof lag in Richtung der ausgedehnten Seite des umfriedeten Geländes. Vom Hof trat Tonke durch ein offenes Tor unter die Überdachung. Und ging zu der Stelle, an der sie ihre Sachen lagern konnten. Auf dem Möbel lag die getrocknete Hälfte eines der Länge nach aufgeschnittenen Flaschen-Kürbisses. Tonke zögerte. Er war etwas verwirrt. Schließlich legte er, was er bei sich hatte in diese Kalebasse.

Draußen im Hof stand ein Wagen mit kleinen Tischen, an denen man sich stärken konnte. Toni stand neben Lula. Die Vorstellung, mit ihr auf die Reise zu gehen, gefiel ihm sehr. Aber es war noch nicht Zeit für die Abfahrt.

Andere kamen. Auch sie hatten von diesem Volk der Großen gehört und zeigten sich neugierig. Jemand hatte ein spezielles Stück Brot mitgebracht. Das war hauchdünn und dunkelbraun und sah aus wie diese dünnen dänischen Kekse. Nur viel größer, so groß und rund wie eine stattliche Brotscheibe. Mutmaßungen wurden angestellt, um was für ein Volk es sich handelte und in welcher geschichtlichen Epoche sie gelebt haben könnten. Die einen sprachen von Göttern, weswegen eine Blutsverbindung nicht möglich gewesen sei. Tonke tippte auf die Biblischen Väter, wegen dem langen Leben, das man ihnen nachsagte. Aber danach überzeugte ihn die Ansicht eines Gesprächspartners noch mehr. Dieser sagte, dass jedes Volk sich seine mythischen Vorfahren als Idealgestalten schaffe. Die würden überhöht und stünden mit dem Leben so direkt nicht in Verbindung. Da meldete sich Lula in klagendem, vorwurfsvollem Ton:

Mich fragt niemand. Dabei bin ich doch eine der Überbleibenden dieses Volkes.

Alle sahen sie verwundert, ja erschrocken an.

„Aber ich habe dich doch gestern nach ihnen befragt, warf ihr Tonke vor „und du hast mir keine Antwort gegeben. So sag uns, wie dieses Volk heißt.“

„Gaußpi“, gab sie zur Antwort.

„Gaußpi, was für ein seltsamer Name“, rief man durcheinander. „Und dieses Brot“, wurde gefragt, „hat das etwa auch mit deinem Volk zu tun?“

Lula nickte. „Das ist unser Brot“, bestätigte sie.

Da rief Tonke. „Komm wir brechen auf. Ich bin gespannt, die Stätte deines Volkes kennenzulernen.“

Sie stiegen in den Wagen. Los ging es zum Volk der großen Menschen. MLF

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