Samstag, 29. Dezember 2012

134 Country of Reason – Leuenbergers Knarre



[Fortsetzung von 132 Country of Reason - Die Pi-Felsen] 
Am Tag des Abschieds von dem alten, halb verfallenen Ort im ‚Country of Reason‘ schob Tonke sein schwer beladenes Fahrrad durch eine der von den brüchigen Häusern gesäumten Straßen. Er hatte seine Tochter vor Augen und dachte, dass sie’s in mancher Hinsicht noch schwerer hatte als er. Aber er freute sich darauf, ihr von der seltsamen Felsformation und den Menschen, die diese hüteten, zu berichten. Er war überzeugt, dass sie sich für seinen Bericht interessieren werde. Ein vertrautes, aber an dieser Stelle ungewöhnliches Geräusch, ließ ihn inne halten. Es war das Spritzen von Wasser, was er vernahm. Zwischen zwei alten Häusern entdeckte er eine schmale Bucht. In immer neuen Wellen spritzte hier Wasser herein. Nähergehend sah er, dass sich von der stetigen Brandung eine dichte Salzkruste gebildet hatte. Es handelte sich um eine Meeresbucht. Also hatte er doch richtig vermutet, dass er sich am Meer befand und nicht im Rheinland. Erst jetzt, durch die zufällige Entdeckung dieser Bucht beim Aufbrechen, hatte er darin Gewissheit erlangt.
Da sein Rad so schwer beladen war, kam ihm der Gedanke, dass er doch besser mit dem Zug fahren würde. Wie sollte er bei dem ganzen Gepäck den weiten Weg zurück schaffen. Vor allem dachte er an die Strecke, die er am Anfang abwärts gefahren war. Sie war ihm kurz erschienen, weil er schnell gefahren war. Nur ein Dachs und eine Hündin mit Welpen hatten seine Fahrt gehemmt. Dieses ganze Stück wieder aufwärts zu strampeln, schien ihm ein Ding der Unmöglichkeit. Besser war es, das Fahrrad zurück zu lassen und die Reise bequem in der Bahn zurückzulegen.
Zu seinem Gepäck gehörten eine große, schwarze Knarre mit drei Rohrläufen und die zugehörige Munition. Die Pi-Menschen hatten sie ihm mitgegeben. Zwar war sie leicht gebaut, nahm aber viel Raum ein. Es war gut gemeint von den Leuten der Gaußpi, die ihm im letzten Moment die Knarre noch in die Hand gedrückt hatten. Aber was sollte er damit anfangen, wenn er wieder zuhause war? Dieses raffinierte Ding, das ihm seine Wohltäter überreicht hatten, war noch gar nicht zum Einsatz gekommen. Das unterste Rohr hatte einen besonders großen Durchmesser und diente zum Schleudern von Pferdeäpfeln, von denen einige als Munition beilagen. Ich könnte doch wenigstens mal diese Funktion ausprobieren und die Pferdeäpfel gegen diese alten Fassaden schleudern, sagte er sich. Wenn die Wände davon einbrachen, dann musste es so sein. Vielleicht vermochte er auf diese Weise, die trägen Bewohner aufzurütteln, ihre Häuser zu erneuern. Doch sein Sinn stand nicht danach einen Konflikt zu wagen, er war vielmehr ganz auf die Abreise gerichtet. Er wollte sich in keine Auseinandersetzung verwickeln, die möglicherweise die Wegfahrt verzögern würde. Über die drei Gewehrläufe hinweg war in weißer Schrift etwas geschrieben. Im Gehen konnte er nicht entziffern, was da drauf stand.
Kurz danach erreichte er einen leicht erhöhten, abgeschlossenen Platz. Dort klappte er den Fahrradständer nach unten, löste das Gewehr aus der Aufhängung und hielt es vor sich hin. Es war die Anschrift eines gewissen Leuenberger, die er da las. Dieser lebte überraschenderweise in der gleichen Stadt und in der gleichen Straße wie er. Sogar die Hausnummer stimmte überein. Leuenberger, Löwenberger, überlegte Tonke. Kenne ich jemanden, der so heißt in unserem Haus. Er konnte sich nicht erinnern, auf einer der Klingeln diesen Namen gelesen zu haben. Vielleicht hatte Leuenberger mal dort gelebt und war längst umgezogen oder sogar schon gestorben. Wie dem auch sei, da er nun mit dem Zug fuhr, konnte er die Knarre sowieso nicht mitnehmen. Man würde ihn damit nicht einsteigen lassen und schon gar nicht konnte er damit im Zug die Grenze passieren.
Tonke nahm sein Fahrrad und stellte es in eine abschüssige Einfahrt, deren Tor zugemauert war. Hier würde es niemanden stören. Wie er den Ständer erneut hinunter klappte, machten die Reifen mit einem Mal pfff, pfff. Aus beiden Schläuchen war die Luft raus, als ahnten sie, dass sie nicht mehr gebraucht wurden. Diese Reaktion seines Rades, welches ihm so lange gedient hatte, stimmte ihn doch nachdenklich. Es war, als wollte es ihm sagen. Wenn du mich nicht mehr brauchst, will ich auch sonst niemandem dienen. Das akzeptierte er. Aber dann sah er erst, welche Menge an Gepäck sich auf seinem Fahrrad angesammelt hatte. Nicht nur die Satteltaschen und der Korb auf dem Packträger, sondern auch der Raum zwischen den Stangen und vorne über dem Licht waren ausgefüllt. Überall hatte er nützliche Gegenstände verstaut, von denen er sich nur ungern trennen mochte. Aber er hatte keine andere Wahl, er konnte unmöglich alles Gepäck zur Bahnstation tragen.
Oder sollte ich doch versuchen, mich auf dem Rad durchzuschlagen?, fragte er sich. Er war hin und her gerissen. Auf der einen Seite stand die schnelle und sichere Fahrt. In diesem Fall musste er die Hälfte des Gepäcks zurücklassen. Auf der anderen Seite die Fortsetzung der Reise im bisherigen Stil. Bei dieser Variante wusste er nicht, wie lange die Reise dauern würde. Nur eines war gewiss, dass es eine anstrengende Tour werden würde.
Es war der erbärmliche Anblick der platten Reifen, der schließlich den Ausschlag gab. So wollte er sein Rad nicht zurücklassen. Also entschied er sich, die Reise auf dem Fahrrad fortzusetzen. Wenn ich den Weg bis hierher bestritten habe, werde ich auch den Rückweg schaffen, sagte er sich. Er holte die Pumpe hervor, kniete sich nieder und füllte erst den einen, dann den andern Reifen. Diese bestärkten seinen Sinneswandel, indem sie die Luft ohne Verlust hielten.
Er schob das Rad vorsichtig aus der abschüssigen Einfahrt wieder hoch, steckte die Knarre wieder in die Halterung und fuhr los.
So sollte es zu einer weiteren Station im ‚Country of Reason‘ kommen.
Er gelangte in einen höher gelegenen Ort. Dort traf er in einer Herberge auf eine Bekannte aus seiner Stadt. Mit dem Ergebnis, dass er mitsamt Gepäck in ihr Auto umsteigen konnte. MLF

Donnerstag, 27. Dezember 2012

133 Land of Reason – Die Pi-Felsen


Auf dem Fahrrad ging es mit Tempo einen abschüssige Straße hinunter. Am Wegrand harrte ein schwarzes Tier, weiß gestreift. Ein Dachs wie sich zeigte. Wenn der mir nur nicht vors Rad rennt, dachte Tonke und verlangsamte die Fahrt. Der Dachs verhielt sich ruhig, er kam ohne Probleme vorbei, aber schwieriger wurde es, als weiter unten eine Sennenhündin – ebenfalls schwarz mit weißem Muster – mit Welpen auf der Straße lag, die sie frisch geworfen hatte. Er hielt an und hinterließ der Hündin zwei seiner Butterbrote, die sie, wie er fand zur Kräftigung brauchte. Unten angekommen sah er Wasser und glaubte - da er ins ‚Land of Reason‘ aufgebrochen war – er sei im Rheinland. Doch zum Wasser hin wellten sich von trockenem Gras bewachsene Dünen. War er am Meer? Er lief durch den Sand, um zu prüfen, ob das Wasser salzig sei. Aber in der Bucht war das Wasser mit modrigen Pflanzen bedeckt, so dass er diesen Test auf später verschob.
Tonke fuhr weiter und gelangte beim Eindunkeln endlich in einen bewohnten Ort. Doch die Gebäude befanden sich in einem so maroden Zustand, dass er zweifelte, ob er hier eine passende Unterkunft für die Nacht finden werde.
Durch laute Stimmen wurde er auf eine Schenke aufmerksam. Es war ein etwas höher gelegenes, mehrstöckiges Gebäude. Vielleicht würde er hier mit jemandem in Kontakt kommen und so einen Übernachtungsplatz finden. Die Gasträume waren groß und gut besucht. Doch es waren misstrauische Einheimische, die kein Interesse an ihm, dem Fremden, zeigten. Sie taxierten ihn ablehnend, wenn sie ihm überhaupt Beachtung schenkten. Die Gaststätte erstreckte sich über drei Stockwerke und war noch mit einem Anbau der Straße gegenüber verbunden. Er ging auf den verschiedenen Ebenen herum, aber überall begegnete man ihm mit der gleichen feindlichen Haltung. Es wurde ihm klar, dass ihm hier niemand helfen würde. Also verließ er das ungastliche Lokal.
Draußen stieß er auf einen umgestürzten Anhänger, der ihm vorher nicht aufgefallen war. Und unter dem Vordach eines isoliert stehenden Schuppens entdeckte er ein teures, massiges Automobil, das aber um ein Drittel zu kurz schien und dadurch sehr bullig wirkte.

Tonke begab sich auf die geneigte Straße zum Ortskern hin. Es war noch ein Rest von Helligkeit am Himmel. Vielleicht hatte er ja Glück und würde eine Herberge finden. Obwohl die Sorge um das Nachtlager jetzt akut war, ließ er sich von diesen alten Bauten doch auch faszinieren. Wann sah man schon eine solche Zerrüttung. Es war ihm ein Rätsel, wie man in Häusern leben konnte, an denen ganz offensichtlich seit Urzeit kein Handschlag mehr getan worden war. Auf einer Erhebung sah er vier miteinander verbundene Gebäude, von denen, wie er glaubte, die mittleren eingestürzt wären, wenn sie nicht von den solideren Nachbargebäuden gehalten worden wären.
Plötzlich kam ihm mit zackigem Schritt eine junge Frau entgegen. Abrupt bog sie vor ihm ab und entfernte sich nach rechts hin zu Felsen, die dort zwischen den Gebäuden sichtbar wurden. Ihr Auftritt hatte etwas Aufreizendes an sich. Als hätte sie ihn auf sich aufmerksam machen wollen. Er konnte sich gar nicht erklären, woher sie so unvermittelt gekommen war. Doch dann sah er, näher an ein massiges Gebäude tretend, einen Durchgang durch dieses. Es war ein Gang von mindestens zwanzig Metern Länge. Am andern Ende schien Helligkeit auf. Aus dieser Passage heraus musste die junge Frau gekommen sein und war zufällig auf ihn gestoßen. Er hob sich diesen Durchgang für später auf und folgte der Richtung, in die die junge Frau verschwunden war.
Tonke hatte nicht weit zu gehen, da stieß er auf die Felsen, die er von vorne gesehen hatte. Eine hohe Felswand erhob sich vor ihm und zog sich in leichtem Bogen ein Stück weit durch den Ort. Wenn sie nicht aus karstigem Fels bestanden hätte, würde er sie für den Überrest einer alten Stadtmauer gehalten haben. Die Neugier war so stark, dass er die schroffe Felswand hinaufkletterte, bis er oben die Arme über den scharfen Grat legen und sich so sichern konnte. Er traute seinen Augen nicht – dahinter war noch ein Grat. Zwei parallele, dünne Felsgrate zogen sich sanft gebogen durch diesen alten Ort. Er konnte es deutlich sehen, weil es hier oben heller war als unten. Obwohl die runde Form der Felsen gut sichtbar war, kam ihm der entscheidende Gedanke noch nicht. Er sah, dass innen, zwischen den Graten ein Weg entlang lief und dass sogar archäologische Ausgrabungen gemacht worden waren. Schaukästen säumten in regelmäßigen Abständen den Weg. Von seinem Augpunkt aus gesehen wirkten sie wie Pflanzbeete. Jetzt, das sein Forschertrieb befriedigt war, befiel ihn plötzlich der Schwindel. Er hörte, wie das Blut in seinen Adern pochte. Wie hatte er sich nur so leichtfertig an so einen exponierten Ort begeben können. Der Abstieg würde äußerst schwierig werden. Wenige Meter von ihm entfernt, brachen die Grate ab. Dort war der Aufstieg, über den man zwischen die Grate gelangte. Es sah die junge Frau wieder. Sie stieg dort ohne Mühe hoch. So kam er auf die Idee, statt des gefährlichen Abstiegs sich am Grat entlang zu hangeln bis zum Ende der Felsformation. Mit einigen Schrunden, aber mit weniger Mühe als befürchtet, gelangte er schließlich auf den sicheren Weg.
Er ging nun zwischen die Felsgrate und hoffte die junge Frau zu treffen. Ein Mann und eine Frau stellten sich neben ihn und unterhielten sich, als gehörte er seit jeher zu ihnen. Ihm widerfuhr hier das glatte Gegenteil der Behandlung, die er in der Gaststätte hatte hinnehmen müssen. Er war nach der abweisenden Haltung der Männer in der Dorfschenke so verwundert, dass er seinen Mund nicht aufbekam und einfach nur stehen blieb. Da dachte er wieder an die Form dieser Felsen und langsam wurde ihm bewusst, dass er es hier mit Vertretern des Volkes der Gaußpi zu tun hatte. Dann trat auch noch die junge Frau zu ihnen. Sie sagte in der gleichen, Aufsehen erregenden Art, wie sie auf ihn zugelaufen war. „Lasst uns jetzt gemeinsam Brot backen.“
Tonke folgte ihnen. Und so löste sich das Problem mit dem Nachtquartier wie von selbst. MLF

Montag, 24. Dezember 2012

132 B Weihnachtsbrief aus dem Lande Pi



Liebe Freunde,

in einem Gespräch mit Achim, der sich auch intensiv mit Träumen beschäftigt, haben wir gerätselt, warum denn Träume so schwierig zu verstehen sind. Warum sie nie etwas direkt und gemeinverständlich ausdrücken, sondern das Thema immer nur wie mit Fingerspitzen anfassen. Eine Erklärung haben wir nicht gefunden.
   Aber in der darauffolgenden langen Traumnacht, auf den zweiten Adventssonntag, war da auf dem Weg vom Schulort, via eines Hügels zum Großelternhaus plötzlich das Bild der Möndchen des Hippokrates da. Es ging eine Weile, bis ich begriff, dass mir dieser Traum ein Bild für den Traum an sich vorführte.
    Am folgenden Tag studierte ich im mathematischen Lexikon und im Internet eingehend dieses geometrische Phänomen. Zwei Möndchen oder Wölkchen wölben sich über einem rechtwinkligen Dreieck. Hippokrates hat im 5. Jh. v. u. Z. gezeigt, dass die zwei Sichelmonde zusammen den gleichen Inhalt haben wie das zugehörige Dreieck. Der von der Nacht suggerierte Zusammenhang schien mir sehr sinnvoll:
    Die Möndchen stellen den Traum dar, das Dreieck steht für das Thema (das, was mich beschäftigt). Der Traum umspielt es, oder besser gesagt, er überspannte es und zwar von zwei Seiten.

Die Möndchen des Hippokrates


    Da ihr vielleicht nicht ahnt, wie sehr ich mit diesen Wölkchen zu ringen habe, könnt ihr euch wohl nicht vorstellen, wie überwältigt ich von dieser Entdeckung war und es immer noch bin.
    Nicht dass sie das Deuten nun plötzlich viel leichter macht. Aber es ist jetzt evident, dass die Schwierigkeit der Traumdeutung in der Natur der Sache liegt und nicht an meinen mangelnden Fähigkeiten. Ihr seht, die Schnittmenge der Wölkchen mit dem Dreieck ist sozusagen gleich Null. Nur die drei winzigen Punkte, die Spitzen stimmen überein. Und doch drückt der Traum das gleiche aus, nur in einer anderen Sprache. Der 'Inhalt' ist der gleiche.
    Seht ihr, wie am Traum alles rund ist? Die Wölkchen sind nur mittels pi zu berechnen. Das Irrationale ist in Rundungen gehüllt. Wogegen das Reale, das Thema, ganz von Geraden eingefasst ist. 
PS von Achim:

Heute Morgen sah ich deine Möndchen als Boot und Segel, die Realität als die Fracht ... auch hübsch, oder?

Donnerstag, 20. Dezember 2012

132 A Das Volk der Gaußpi


Er schaute auf ein umfriedetes Gebiet von langgezogener Form, gleich einem ausgedehnten Garten, dessen Ende nach hinten nicht absehbar war. Was ist denn das für ein Land, fragte sich Tonke. Die Umfriedung kam ihm vor wie das Modell eines Lebensraumes, der nicht ganz zu überblicken war. Er stand auf der oberen Seite. Vor ihm, in der Mitte, stand ein großes Gebäude mit einem überdimensioniert großen Turm. Dieser Turm nahm fast die Hälfte des Grundrisses des Gebäudes ein. In ihm wurde eine Schrift aufbewahrt, von der es hieß, dass sie von großer Bedeutung für dieses Land sei. Es hieß weiter, dass dieses Buch Auskunft über die Geschichte des Landes gebe. Als Problem stellte sich allerdings die Sprache heraus, in der es verfasst war. Tonke hegte die Hoffnung, dass die Schrift sich in der Sprache dessen zeige, der sie aus dem Turm barg. Doch, wie sich zeigte, erfüllte sich dieser Wunsch nicht. Die Sprache war auch nicht Englisch. Also musste es die Sprache der Bewohner dieses Landes sein. Nun wusste er, dass Lula von einem Volk dieses Landes abstammte. Also müsste sie doch bei der Übersetzung helfen können.
Mit Lula stand er nun an der anderen Längsseite, weiter hinten. Lula las ihm aus dem Buch vor. So erfuhr er aus dessen Geschichte: Die Bewohner waren eher klein und ihre Lebensspanne war nicht sehr lang. Aber innerhalb dieses Gebietes hatte es einst ein Volk gegeben, dessen Menschen sehr groß gewesen waren und deren Lebensdauer deutlich länger gewährt hatte, als die der übrigen Bevölkerung. Die kleinwüchsigen Völker hatten versucht sich mit diesen großen Menschen zu verbinden. Männer wie Frauen warben um die großen Menschen und gingen Beziehungen zu ihnen ein. Aber leider blieben all diese Verbindungen unfruchtbar. Weil sie gerne große und stattliche Kinder gehabt hätten, versuchten sie es immer wieder, aber ohne Erfolg. Nicht ein einziges Kind wurde bekannt, das aus einer dieser Beziehungen hervorgegangen wäre.

Folglich wandte man sich von ihnen ab. Das Volk rückte in die Ferne und bald war es nur noch die Erinnerung die blieb. Der Stolz mit solch großen Menschen in einem Land zusammengelebt zu haben.



Sie befanden sich nun im Hof vor einem Zweckbau, der zum Gebäude mit dem großen Turm gehörte. Der Hof lag in Richtung der ausgedehnten Seite des umfriedeten Geländes. Vom Hof trat Tonke durch ein offenes Tor unter die Überdachung. Und ging zu der Stelle, an der sie ihre Sachen lagern konnten. Auf dem Möbel lag die getrocknete Hälfte eines der Länge nach aufgeschnittenen Flaschen-Kürbisses. Tonke zögerte. Er war etwas verwirrt. Schließlich legte er, was er bei sich hatte in diese Kalebasse.

Draußen im Hof stand ein Wagen mit kleinen Tischen, an denen man sich stärken konnte. Toni stand neben Lula. Die Vorstellung, mit ihr auf die Reise zu gehen, gefiel ihm sehr. Aber es war noch nicht Zeit für die Abfahrt.

Andere kamen. Auch sie hatten von diesem Volk der Großen gehört und zeigten sich neugierig. Jemand hatte ein spezielles Stück Brot mitgebracht. Das war hauchdünn und dunkelbraun und sah aus wie diese dünnen dänischen Kekse. Nur viel größer, so groß und rund wie eine stattliche Brotscheibe. Mutmaßungen wurden angestellt, um was für ein Volk es sich handelte und in welcher geschichtlichen Epoche sie gelebt haben könnten. Die einen sprachen von Göttern, weswegen eine Blutsverbindung nicht möglich gewesen sei. Tonke tippte auf die Biblischen Väter, wegen dem langen Leben, das man ihnen nachsagte. Aber danach überzeugte ihn die Ansicht eines Gesprächspartners noch mehr. Dieser sagte, dass jedes Volk sich seine mythischen Vorfahren als Idealgestalten schaffe. Die würden überhöht und stünden mit dem Leben so direkt nicht in Verbindung. Da meldete sich Lula in klagendem, vorwurfsvollem Ton:

Mich fragt niemand. Dabei bin ich doch eine der Überbleibenden dieses Volkes.

Alle sahen sie verwundert, ja erschrocken an.

„Aber ich habe dich doch gestern nach ihnen befragt, warf ihr Tonke vor „und du hast mir keine Antwort gegeben. So sag uns, wie dieses Volk heißt.“

„Gaußpi“, gab sie zur Antwort.

„Gaußpi, was für ein seltsamer Name“, rief man durcheinander. „Und dieses Brot“, wurde gefragt, „hat das etwa auch mit deinem Volk zu tun?“

Lula nickte. „Das ist unser Brot“, bestätigte sie.

Da rief Tonke. „Komm wir brechen auf. Ich bin gespannt, die Stätte deines Volkes kennenzulernen.“

Sie stiegen in den Wagen. Los ging es zum Volk der großen Menschen. MLF