Wendys dreiunddreißigstes virtuelles Abenteuer
Langsam ging es voran bergwärts. Schrittweise stiegen sie vor ins
Hochgebirge. Noch ein letzter Aufstieg bis zur Hochfläche. Linkerhand ragte
eine senkrechte Felswand empor. In der Gruppe hieß es. „Klettern wird nötig
sein.“ Aber da war die Rede von Touren oben vom Berghaus aus.
Eine ungewöhnliche Sicht tat sich auf, als sie die Hochfläche
erreichten. Es war, als hätten sie durch ein großes Treppenhaus ein flaches
Dach erreicht, das sich endlos ausbreitete. Aber näher oder ferner war die
Hochebene von dunklen Felsen und weißen Riesen umfasst.
Oben angekommen rüsteten sich die Teilnehmer mit apricot-farbenen
Schutzhelmen aus, wie man sie (in Gelb) auf Baustellen trug. Nur Elmar und
Wendy waren noch barhäuptig. Wendy wunderte sich, in Anbetracht der ebenen
Fläche, auf der sie sich befanden. Aber er wusste ja nicht, welche Tour sie
sich vorgenommen hatten. Ein Helm war übrig geblieben. Mitten in dieser archaischen
Landschaft stand ein Trittbrett aus Metall. Elmar wurde eingeladen sich darauf
zu stellen. Für seine Arbeit, für die er den Zeitco-Preis gewonnen hatte, wurde
ihm der freie Helm überreicht. Er nahm das Kunststoffding entgegen und ließ es
an seiner Hand baumeln.
Wendy, der immer etwas patzig wurde, wenn andere in seiner
Anwesenheit geehrt wurden, fuhr ihn an. „Jetzt musst ihn aber auch aufsetzen.“
Widerstrebend setzte Elmar den Bauhelm auf den Kopf. Einer der
alten Hasen half ihm beim Festziehen des Bändels unter dem Kinn.
Und ich selber?, fragte sich Wendy. Einen Helm wollte er nicht
aufsetzen, aber Handschuhe hätte er mitbringen sollen. Schon bald würden sie wohl
ins Eis geraten. An den Händen war er empfindlich. Um die anderen auf der
bevorstehenden Tour nicht zu behindern, musste er sich Handschuhe besorgen.
Da wo sie hochgekommen waren, gab es die einzigen Bäume weit und
breit. Eine Allee aus niedrigen Birken. An einem der Bäume entdeckte er einen
Korb vom Format eines Schirmständers. Er ging zu diesem Korb hin.
„Was suchst du denn?“, wurde er von den andern gefragt.
„Handschuhe“, gab er zur Antwort und bückte sich über den hohen
Korb.
„Du kannst auch in der Hütte schauen, da haben sie immer welche“,
wurde ihm geraten.
Aber Wendy wurde fündig. Zwischen kleinen Reisigbesen stieß er
auf ein Paar schöne Fellhandschuhe. Es waren Damenhandschuhe. Beim Herausnehmen
knackte es. Er sah Federn und Eierschalen im Innern. Ein Vogel musste darin
gebrütet haben. Wendy hob sie an den Fingerenden und klopfte sie aus. Er
schlüpfte hinein. Sie passten wie für ihn modelliert.
Im Gänseschritt ging es über die karge Fläche vor zu einem
geräumigen Berghaus, das den sprechenden Namen, Adlerhorst hatte. Von einer
weiterführenden Tour war erstmal nicht die Rede. Das kam Wendy gelegen, denn er
hatte ja die Absicht, den im Berghaus Anwesenden sein Erlebnis vorzustellen. Er
zog sich in einen Nebenraum zurück und fing an, mangels anderer Materialien,
seine Erlebnisse aus Zeitungspapier und Kleister in Pappmaché zu modellieren.
Er hatte sich alles schön durchdrungen vorgestellt. Die Bootsfahrt, das
Gedränge in der Kleinstadt, die Bilder in der Synagoge, der Wall, die
Neustadtstraße, der Auszug – diesen bemalte er in düsteren Farben – die Husaren
und schließlich der Elefant mit dem Reiter und die Autoachse, die in seiner
Darstellung nur wie eine Hantel wirkte. Er rang zäh mit der Gestaltung seines
Erlebnisses, aber was herauskam, war ein langer Wurm in sehr unterschiedlichen
Farben.
Im Saal der Herberge Adlerhorst gab es einen Tisch bei der Bühne.
Hier stellte er seine Pappmaché-Plastik aus und schrieb darunter. Während der
Bootsfahrt, Besuch des Städtchens, Synagoge voller Bilder, Auszug eines Trosses
von Armen, Ankunft der Autoachse. W.N.
Die andern aus der Gruppe sahen sich die Arbeit an. Aber von
niemandem kam eine Reaktion. Das hatte er nicht anders erwartet. Aber er
hoffte, dass jemand hier vorbeikam, der vielleicht etwas Ähnliches erlebt
hatte. Der Einfluss hatte und seine Arbeit lobte.
Beim Aufbruch zur Rückkehr machte er draußen eine Entdeckung, die
ihn wenig optimistisch stimmte. Vor einer Felswand gegenüber dem Berghaus sah
er eine Spitze dem Boden ragen, die wie ein kleines Dach wirkte. Als er näher
ging, entdeckte er ein Verlies von mehreren Metern Tiefe. In diesem Felsloch
steckte ein Boot, das so lang war, dass es oben noch herausragte. Wie er dieses
gefangene Boot sah, erinnerte er sich daran, dass sein Erlebnis ja mit einer
Bootsfahrt begonnen hatte. Da sank unvermittelt seine Zuversicht, dass man
seine Arbeit annehmen würde. Aber die Hoffnung blieb, die rechte Person werde
kommen und auf den Wert seiner Arbeit hinweisen. MLF
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