Donnerstag, 27. September 2012

103 A Lamellen an der Himmelsdecke

Wendys acht a-tes virtuelles Abenteuer

Auf einem Platz, zwischen Häusern eingeschlossen, stand er, mit Blick auf die Himmelsdecke über ihm. Es war ein eher düsterer Tag und Wendy war etwas wehmütig ums Herz. Auch bei ihm kam es vor, dass er von Trübsinn geplagt wurde. Es war nicht der Himmel direkt über ihm, der ihn beunruhigte, sondern das glänzende Grau weiter hinten. Wenn er dorthin sah, überkam ihn, alleine vom Anblick dieses Graus, ein Gefühl der Kälte. Er sah den Winter herannahen, er dachte an seinen unsicheren Job, er spürte das Älterwerden und was ihn sonst an Ungutem erwarten könnte. Unwillkürlich zog er den Reißverschluss der Jacke höher, denn ihn fröstelte.
Der Platz war leer. So weit er blicken konnte, war niemand zu sehen. Auch nicht bei den Hauseingängen und in den abzweigenden Straßen. Aber neben ihm stand jemand. Einer von der Art, die einen solchen, ungestörten Moment abwarteten, um Einfluss nehmen zu können. Der Nebenstehende hatte Wendys Befremden über den grauen Himmel sehr wohl bemerkt, denn er knüpfte genau dort an, als er sagte:
Ist doch super, so hat man einen Spiegel.“
Wendy sah ihn erschrocken an. Eine graue Gestalt in einem grauen Mantel. Unauffällig bis zur Unsichtbarkeit.
„Sie wollen damit doch nicht sagen, dass das Leben genau so grau ist wie der Himmel dort?“
Statt zu antworten, fadete sich der Unbekannte aus. Weg war er. Wendy, der wusste, dass er noch in der Nähe sein musste, rief zornig.
„Das ist typisch für euch Sarkastiker. Ihr liefert die bissigsten Kommentare, aber wenn man eine ernsthafte Antwort will, löst ihr euch in Luft auf.“
Er sah von dem leeren Platz aus wieder auf das glänzende Grau in der Ferne und dachte. Wenn das wirklich ein Spiegel des Lebens ist, dann könnte ich mich ja gleich umbringen. Der Sarkasmus des Unbekannten weckte in ihm aber das Gegenteil. Er fasste den Entschluss, etwas zu ändern.
Direkt über ihm war der Himmel von senkrechten Lamellen unterteilt, sodass man die Himmelsdecke gar nicht wahrnahm. Diese Lamellen vermittelten ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit. Die Himmelsdecke war einer Zimmerdecke gar nicht unähnlich, wenn auch deutlich höher.
Wendy suchte nach einer praktischen Lösung, wie er das Problem des grauen Himmels in der Ferne beheben konnte. Die Lamellen über ihm, die den direkten Blick auf den Himmel abdämpften, waren sehr dicht montiert. Wenn er da und dort eine herausnähme und diese weiter hinten anbrächte, so würde dadurch das heimelige Gefühl an seinem Platz nicht gestört und der Blick auf das Grau in der Ferne wäre verstellt. Folglich war auf diese Weise sein Problem zu lösen.
Er ging deshalb los, um eine Leiter zu suchen. Es war gar nicht so leicht, eine stabile Leiter zu finden, die hoch genug war, um an die Lamellen heran zu kommen. Aber schließlich fand er, was er suchte.
Auf der Leiter balancierend tastete er sich an die einzelnen Lamellen heran. Sie hatten eine handliche Größe von etwa anderthalb Meter auf einen halben Meter. Er sah, wie gut sich die Lamellen lösen ließen. Manche gingen so leicht weg, dass er sich wunderte, wie sie so lange gehalten hatten. Jedenfalls nahm er sich vor, beim Anbringen nachher deutlich größere Nägel zu verwenden. Schade, dass ich alleine bin, klagte er. Wegen jeder Lamelle musste er von der Leiter hinuntersteigen und wieder hoch klettern.
Da kam zum Glück Pirmin, ein Bekannter, daher, der Priester einer christlichen Gemeinschaft war. Pirmin trat neugierig hinzu und wollte gerade fragen, was er sich hier zu schaffen mache, als Wendy rief.
„Du kommst mir sehr gelegen. Nimm mir die Lamellen ab, dann brauche ich nicht jedes Mal nach unten steigen.“
Wendy bemerkte wohl, dass der Priester nicht begeistert war. Dieser Handlangerdienst schien ihm nicht zu gefallen. Aber da er sich zum Dienen verpflichtet hatte, durfte er ja nicht einfach weiter gehen. Und so reichte ihm Wendy eine Lamelle nach der anderen hinunter.
Pirmin trug eine sonderbare Mütze, wie sie die Rabbis tragen. Das veranlasste Wendy zur Frage. „Bist du neuerdings zur jüdischen Gemeinde übergetreten?“
Dieser nutzte Wendys saloppe Frage, um seinem Unbehagen Luft zu verschaffen.
„Weißt du noch nicht, dass wir jetzt auch mit den Jüdischen in Ökumene leben?“, sagte er, ihm sein Unwissen vor Augen haltend.
„Was? Nein, ist mir nicht bekannt“, gab Wendy zu.
Er stieg schon bald von der Leiter hinab. Bevor er weitere demontierte, wollte er versuchen, wie es mit der Montage weiter hinten klappen werde.
„Wenn du so freundlich bist und wartest, sagte er zu Pirmin. Ich muss nur schnell zur Werkstatt, um längere Nägel zu holen.“
„Das geht nicht“, sagte Pirmin streng und stellte sich ihm in den Weg. „Die Länge der Nägel ist rituell festgelegt. Sie darf nicht verändert werden.“
Wendy begriff nicht gleich und starrte den schwarz Gekleideten an.
Dieser setzte nach. „Überhaupt ist eine solche Arbeit nur im Beisein eines Geweihten erlaubt“, betonte er mit Nachdruck.
Erst jetzt erkannte Wendy in welche Richtung der Wind wehte. Da war Pirmin bei ihm aber an den Falschen geraten. Schon hier lag ihm auf der Zunge zu sagen. Das ist mein Himmel und hier bestimme ich.
Aber da er mit ihm befreundet war und er beim Montieren seine Hilfe noch brauchte, hielt er sich zurück und sagte stattdessen.
„Gut, wenn du meinst, dann will ich es mit den alten Nägeln versuchen.“
Wendy nahm einen großen Bündel Lamellen unter den Arm und schickte sich an, dahin zu gehen, wo das Grau des Himmels glänzte. Doch Pirmin widersetzte sich erneut und sagte.
„Trotzdem geht das nicht. Nicht mal ich kann es entscheiden. Wir müssen bei der Obrigkeit nachfragen.“
Jetzt platzte Wendy der Kragen. Er wusste, was das bedeutete, Aufschub von Kirchentag zu Kirchentag, von Konzil zu Konzil.
„Dann geh deines Weges“, herrschte er ihn an, „ich werde schon jemanden finden, der mir hilft und wenn nicht, schaffe ich es auch allein.“
Er nahm die Leiter und trug sie zu einer Nische am Rand des Platzes. Als er die Lamellen wegtragen wollte, hielt Pirmin diese fest.
„Die bleiben hier. Die sind Eigentum der Kirche.“
„An meinem Himmel?“, rief Wendy erzürnt. „Du hast’s ja wohl nicht alle.“ Er packte die Lamellen und ging los. Aber der Priester hielt sie fest und stemmte sich in den Boden. Doch Wendy war stärker und zog ihn mit sich fort.
Als sie in der Nische waren, drängte er Pirmin gegen die Wand und drohte. „Hier habe ich das Sagen. Hast du verstanden?“
Der unterwürfige Ausdruck in den Augen des Unterlegenen hatte sich noch verstärkt. Ein Blick auf die Wölbung bei der Hose, sagte ihm das übrige. Schade, dass er keine Soutane trägt, dachte Wendy. Er presste sich gegen Pirmin und rieb ihm mit seiner Hüfte die Schwellung.
„Und, wann stehst du bereit, die Lamellen, am neuen Standort mit anzubringen?“, fragte er in herrischem Ton.
Pirmin schaute unterwürfig zu ihm auf.
„Wenn’s dunkel wird“, schlug er zaghaft vor.
„Du Feigling“, rief Wendy spottend, „aber mir soll’s recht sein. Ich will dich ja nicht um deinen Job bringen.“ Und er ließ ihn los. MLF

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