Die Tür stand angelehnt. Wie er in den erhellten Raum trat,
wunderte er sich über die Einrichtungsgegenstände. Die Garderobe, der Rahmen
der Durchgangstüre, sogar die Möbel waren in einem eigenwilligen Stil
gestaltet, in kantiger Weise. Dadurch war ihm klar, wo er hingeraten war – in
ein eusophisches Zentrum. Er spürte einen Stich in der Brust und fragte sich,
muss ich mich auch von diesen ernsthaften und engagierten Menschen trennen? Sie
förderten in vielen Bereichen eine sorgfältige Lebensweise, predigten nicht,
sondern legten kräftig Hand an. Am meisten legten sie Wert auf ein gedankliches
Leben.
Ein eher kleiner Mann mittleren Alters, mit dunklem Haar trat zu
ihm und hieß ihn willkommen.
„Bitte kommen Sie rein“, sagte er einladend.
Das musste der Leiter des Hauses sein, dem Tonfall nach ein
Spanier oder Südamerikaner. Für einen Südländer war er blass. Das kam wohl von
den intensiven geistigen Übungen, die man sich in diesen Kreisen auferlegte.
„Sie sind Toni, nicht wahr? Mein Name ist Alfonso“, sagte er als
perfekter Gastgeber.
Sie können sich hier gerne für ein paar Tage zum Arbeiten
niederlassen. Ein eigenes Zimmer kann ich ihnen leider nicht anbieten. Sie sind
von ausländischen Gästen belegt. Aber wenn Sie mit diesem Sekretär hier vorlieb
nehmen und ihnen dieses provisorische Bett genügt, sind sie ein gern gesehener
Gast.“ Er wies auf ein Feldbett, das ans Pult anschließend der Wand entlang
aufgebaut war.
Als Toni gesehen hatte, dass er seine Wohnung nicht würde halten
können, hatte er sich in dem Zentrum beworben, und man hatte ihm einladend
geantwortet. Alfonso zog sich zurück.
Toni nutzte die Gelegenheit und machte sich gleich an die Arbeit.
Sogar ein PC stand ihm zur Verfügung. Die Notizen von Milis letzten Geschichten
galt es in Gedrucktes umzuwandeln. Er mochte etwa eine Stunde geschrieben
haben, als Alfonso kam und ihm einen Tee anbot.
Toni nahm dankend an. Sie setzten sich an den großen Tisch, auch
dieser und die Stühle waren besonders gestaltet. Nur das Klavier, das zwischen Tisch
und Tonis Arbeitsbereich stand, war von gewöhnlicher Form.
Toni sagte im Lauf des Gesprächs. „Ich schätze an der eusophischen
Bewegung, dass sie keine sexuellen Regeln in den Kodex der Organisation aufgenommen
hat.“
„Sexualität liegt in der Gestaltungsfreiheit des Individuums“,
stimmte der Leiter ihm zu.
Alfonso fragte ihn, ob er als Künstler ein Projekt an der
Astoria-Schule übernehmen könnte.
Toni wollte einwenden, dass er Sanitärinstallateur und nicht
Künstler sei. Und nur durch die Begegnung mit einer ungewöhnlichen Frau auf ein
quasi-künstlerisches Terrain geraten sei. Aber er verschwieg dies und zeigte
Bereitschaft sich dieser Aufgabe zu stellen.
Die Augen Alfonsos glänzten. „Dann werde ich Sie morgen in unsere
Schule führen.“
Toni wusch sich am Waschbecken des Gästeklos und legte sich auf
das Feldbett. Sofort fiel er in einen tiefen Schlaf. Mili teilte ihm auch in
dieser Nacht eine Geschichte mit. Er kam aber erst am Abend dazu sie
aufzuschreiben. Da sollte er schon wieder im Bus sitzen. Aufgrund der Vorfälle
dieses Tages, würde er sich aus dem eusophischen Zentrum zurückziehen. Und in
Marks Gefährt arbeiten.
Als sie auf die Astoria-Schule zugingen, trat ihnen ein Lehrer
dieser Schule freudig entgegen.
„Wir möchten ein Theaterstück schaffen, in dem wir unsere Schule
künstlerisch vorstellen“, sagte er mit großem Eifer.
Toni zeigte sich interessiert. Wenn er auch etwas betreten war,
durch die großen Hoffnungen, die sie in ihn setzten. Sie gelangten in einen
großen Aufenthaltsbereich, der als ein riesiger Wintergarten mit viel Grün und
ganzen Bäumen gestaltet war. Jugendliche, die auf ihn einen sehr freien,
selbstbewussten Eindruck machten, saßen einzeln oder in kleinen Gruppen an den
Tischen.
Der Lehrer wollte noch jemanden dazu holen und schickte Toni durch
eine Tür einige Stufen hinab in einen schmalen Tanzraum mit Garderobeplätzen an
der Seite. Eine Tanzlehrerin übte mit einer Mädchengruppe seltsam fließende
Bewegungsformen. Die Bewegungen, die sie machten, kamen Toni zwar etwas komisch
vor, aber als ein Aspekt des Stückes wäre das ja durchaus in Ordnung, fand er.
Um zu wissen, wie sich dieser Tanz anfühlte, stellte er sich zu den Mädchen und
machte bei den Übungen mit. Die Tanzlehrerin war davon nicht begeistert. Mit
giftigen Blicken brachte sie ihn zum Einhalten. Betroffen schlich er sich zur
Seite und wartete.
Da kam schon der begeisterte Lehrer zurück, mit einem Artistenclown
an seiner Seite. Dieser stellte sich auf die Hände und kam mit in der Luft
schwankenden Beinen die Treppe hinunter. Auf der letzen Stufe überschlug es ihn
und er fiel unsanft gegen die Garderobenabtrennung. Aber er sprang sogleich auf
die Füße und lachte lauthals.
Toni war schon ziemlich verunsichert. Er fragte sich, ob das
nicht alles dazu angetan war, ihm die Lösung von der eusophischen Bewegung und
der Astoria-Schule zu erleichtern. Aber er nahm dann doch eine Einladung an für
den Nachmittag. Eine Festlichkeit, die man im Freien begehen wollte.
Als er dort ankam, stieß er auf viele geschundene Wildtiere.
Marder, Dachse, Waschbären, nur Füchse fielen ihm keine auf. Auch Großvögel,
Enten, Wildgänse und Raubvögel waren dabei. Zum Teil lebten die Tiere noch. Es
war schrecklich, sie in diesem Zustand zu sehen. Auch ein Arzt würde sie nicht
retten können. Eine Wildgans schien noch heil zu sein. Er glaubte, sie sei
durch einen Schrecken kurzzeitig betäubt geworden. Also nahm er das Tier
behutsam an sich und ging mit ihm in Richtung des Waldes. Er sprach ihm
aufmunternd zu und spürte wie sich sein wild pochendes Herz beruhigte. Doch als
er es loslassen wollte, fiel es zu Boden. Erst da sah er, dass unter den
Deckfedern die feinen Federn fehlten. Das Tier hatte doch eine Verletzung
erlitten.
Enttäuscht kehrte er zum Platz zurück, wo im großen Stil gefeiert
wurde. Die Tiere waren alle entsorgt worden und er wusste nicht, wo er die
Wildgans hintun sollte. Als Engagierter an der Schule, wurde ihm ein großer
Teller mit Erdbeer-Nachtisch gereicht. Doch just im Moment, da er den Löffel ansetzte,
hauchte die versehrte Wildgans ihr Leben aus. Sie fiel hin und landete mit dem
Kopf in seinem Erdbeerteller und blieb dort liegen. Müßig zu sagen, dass ihm
der Appetit dabei verging.
Loslassen, sagte er sich. Er ging zum eusophischen Zentrum
zurück, räumte den ihm dankenswert eingeräumten Platz, entschuldigte sich, dass
er beim Theaterprojekt nicht mitmachen könne und setzte sich in Marks Transit,
der ihm jetzt noch mehr bedeutete als zuvor. AS
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen