Donnerstag, 21. Juni 2012

71 Die zweigeteilte Leiter verbinden


Er wusste aus den Geschichten von Mili, dass René in einem Ärztehaus wohnte. Da er, dank des Wohnmobils von Mark, die Freiheit hatte, herumzufahren, wollte er ihn aufsuchen. Das Haus war nicht schwierig zu finden. Es stach hervor durch einen großen Eingang als Vorbau. Die Tür stand offen. Toni trat ein und stieß im Eingang auf zwei Leiterteile, deren linke und rechte Seite nicht verbunden waren. Er holte die beiden Holme mit den vereinzelten Sprossen herunter und steckte sie ineinander. Um sie verbinden zu können, brauchte er einen Hammer. Er ging zum Wohnmobil, suchte unter den Sitzen nach einer Werkzeugkiste und fand sie schließlich in einer Nische bei der Hintertür. Mit dem Hammer klopfte er auf den hochgerichteten Holmen, drehte die Leiter und klopfte auf der anderen Seite, bis die Sprossen fest saßen. Dann stellte er die Leiter auf und verstaute das Werkzeug wieder im Bus.
Als er zurückkam, stand die Luke über dem Eingang offen. Eine schöne Frau mit einem markanten Gesicht stieg die Leiter herunter. Als sie Toni sah, blieb sie auf den Sprossen stehen. Sie schaute ihn einladend an, machte auf der Leiter kehrt und stieg wieder nach oben. Toni glaubte in der Kammer darüber die Stimme eines Kinders zu hören. Er wurde neugierig, wie sie da oben hausten und stieg hinter der Frau hoch. Von unten wirkte der Raum völlig dunkel. Oben angekommen dauerte es eine Weile, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Es war ein sehr primitiver Raum. Licht und Luft drangen nur durch einzelne Ritzen herein. Eine Fläche mit Heu, eine Kiste als Tisch und einige Kartonschachteln, die wahrscheinlich Kleider enthielten. Das Kind nahm er nur schattenhaft war, es kauerte weiter hinten auf dem nackten Boden. Links neben der Luke stand ein Tablett mit zwei Tellern, einem großen und einem kleinen, und ein paar Essensresten. Dahinter stand auf einem Klotz ein Plastikbehälter mit Hahn, vermutlich das Trinkwasser. Daneben lagen Becher. Wie mochte es kommen, dass eine Frau mit Kind in einer so primitiven Behausung darben musste?
Als wollte sie ihn von seinen Grübeleien ablenken, öffnete die Frau die Knöpfe ihrer Bluse. Ein weißer, makelloser Oberkörper kam zum Vorschein, allerdings ohne den geringsten Brustansatz. Toni war wie hypnotisiert von dieser schönen, glatten Brust. Wohl durch den Kontrast des weißen Körpers mit dem Dunkel des Raums wurde er davon wie magisch angezogen. Er berührte sie zärtlich, beugte sich vor und küsste sogar flüchtig ihre Lippen. Seine Gefühle brachten ihn in eine schwierige Lage. Eine Stimme in ihm sagte warnend: Wenn du dich auf diese Frau einlässt, wirst du kein normaler Mensch mehr sein. Er konnte sich die starke Anziehung, die von ihr ausging, nur durch den ungewöhnlichen Raum – der ein verbotener zu sein schien – erklären. Die Frau legte ihr Kind an die Brust. Aber das Kind verschluckte sich. Von einer flachen Brust konnte keine Milch kommen. Es musste Luft geschluckt haben. Toni nutzte die Gelegenheit, da die Mutter mit dem Kind beschäftigt war, kroch zur Luke und stieg die Leiter hinab.
Vor dem Haus draußen traf er auf das Ärztepaar.
„René ist wohl nicht da“, sagte er als Erklärung, warum er aus dem Haus herauskam. Dass er die Frau über dem Eingang getroffen hatte, verriet er nicht. Das Paar sah sich vielbedeutend an. Er hatte das Gefühl, dass sie Bescheid wussten. Vielleicht hatten sie beobachtet, wie er die Treppe hinuntergeklettert war.
„Wir möchten Ihnen – wie all unseren Besuchern – mitteilen, dass unser Haus zum Verkauf steht“, sagten sie erwartungsvoll. Toni blickte staunend auf das imposante Gebäude.
„Ah ja, wirklich?“, entfuhr ihm. Er vergaß für einen Augenblick seine wirtschaftliche Situation und dachte. Ich werde es kaufen. Dann kann ich mich als Hauswart dieses Gebäudes einstellen und habe so ein bescheidenes Auskommen. Dabei mochte ihn der Wunsch, der Frau mit der schönen, flachen Brust nahe zu sein, beeinflusst haben.

In dieser Nacht, der zweiten im Bus, war Mili bei ihm und erzählte ihm eine Geschichte. Auf diesem Weg erfuhr er, wo René wohl gesteckt hatte, als er ihn treffen wollte. AS

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen