Um die Mittagzeit war Toni mit Mili auf dem Motorrad unterwegs.
Sie waren noch nicht weit gekommen, als plötzlich die Maschine stehen blieb.
Was er auch versuchte, es gelang ihm nicht, sie wieder zu starten. Mit
ziemlicher Mühe schob er das schwere Ding nachhause in den Hof zurück. Im
Kasten steckte der Brief vom Kunstförderverein.
‚Wir bedauern Ihnen sagen zu
müssen, dass die Jury dem Förderantrag nicht zugestimmt hat.‘
Er hatte das Gefühl, das Selbstverständlichste der Welt zu lesen.
Welche Gesellschaft möchte das rein private Vergnügen zweier Liebender
unterstützen? Er schämte sich geradezu, dass er überhaupt auf die Idee gekommen
war, den Verein anzuschreiben. Andererseits hielt er Mili für ein solch
ungewöhnliches Wesen und ihre Geschichten hatten für ihn eine so große
Bedeutung, dass er es durchaus als Geschenk ansah, was er der Leserschaft
anbot. Nur der pure Neid – weil er mit einem solch außergewöhnlichen Wesen
zusammen war – hatte die Jury bewogen, ihn auszuschließen. So oder so, er
musste jetzt einen Job annehmen.
Installateur kam nicht in Frage, diesen Job konnte er nur in
Vollzeit ausüben. Aber in einem anderen Bereich, wie Regale einräumen,
Küchendienst, Müllabfuhr würde sich schon eine Arbeit finden, bei dem er genug zum
Überleben verdienen würde.
Als Mili nachts zu ihm kam, teilte er ihr den Entschluss zu
arbeiten mit. Im Halbdunkel war schwer zu beurteilen, wie sie die Meldung
entgegennahm. Zur Sicherheit rechtfertigte er sein Vorhaben. „Leider brauche
ich was zu essen und ich möchte eigentlich auch dieses Bett nicht verlieren,
erklärte er und machte den Vorschlag. „Was hältst du davon, dass du jetzt nur
jede zweite Nacht eine Geschichte erzählst?“
Er spürte förmlich, wie sie erstarrte. Mili ging nicht auf ihn
zu. Toni war es fast lieber so, dann wurde er nicht so aufgewühlt. Sie lagen
unbeweglich nebeneinander. Aber er hatte kein gutes Gefühl dabei. Schließlich
richtete sie sich auf und erzählte ihm die Geschichte von den Vögeln und den
Schlangen. AS
Als er in sein Zimmer kam, sah er
auf der rechten Seite des Sofas einen Ring aus schwarz glänzenden Schlagen. Im
Zentrum des Rings befand sich ein etwa eine Spanne weites, rundes Loch. Erst
dachte Kermit, es seien Nattern, aber ihm wurde schnell bewusst, dass diese
Schlangen viel dicker waren. Nicht fingerdick, sondern armdick waren sie. Wie sie da zu mehreren so glücklich vereint beieinander langen, schienen sie
sich sehr wohl zu fühlen. Ihre feucht-glänzende Schwärze schien ihm ein Ausdruck
ihrer strotzenden Zufriedenheit. Nur eine gute Spanne entfernt, zur Mitte des
Sofas hin, hielten sich ein paar Vögel auf. Im Gegenlicht konnte er nicht
erkennen, welche Art es war. Von der Größe her konnten es Drosseln sein, aber
sie waren nicht so dunkel gefärbt. Aufgrund einer Bemerkung, die ein Freund
später machte, kam ihm dann die Vermutung, dass es womöglich kleine Tauben
gewesen sein konnten. Er verstand nicht, was die Vögel bei den Schlangen
suchten. Wie zwei so verschiedene Tierarten sich einen Platz nah beieinander
teilten, wollte ihm nicht in den Kopf. Imelda stand auch im Raum. Sie verhielt
sich ruhig und sagte nichts. Wie er, beobachtete auch sie die Tiere. Kermit
schlich sich davon in sein Arbeitszimmer, um den Fotoapparat zu holen, aber als
er zurückkam, waren die Tiere verschwunden.
Er traf die Schauspieler nur noch
sporadisch. Nach dem Misserfolg in Freiburg, hatte er wieder zu arbeiten
begonnen. Es blieb ihm nur wenig Zeit mit den Künstlern zu sein. Nach dem
Erlebnis am Morgen zog es ihn zur Gruppe. Er wartete am Abend bis sie ihre
Vorstellung beendet hatten und schloss sich ihnen beim Besuch in der Gaststätte
an.
„Wie war die Vorstellung?“,
fragte er in die Gruppe.
Sie sprachen von ihren
Versprechern, ärgerten sich und lachten gleichzeitig.
„Bestimmt hat das Publikum eure
Fehltritte nicht bemerkt“, warf er ein „und wenn doch, hat es sich bestimmt
darüber amüsiert.“ Dann berichtete er sein Erlebnis.
„Heute Mittag, als ich von meinem
Lagerjob zurückkam, habe ich auf dem Sofa Schlangen gesehen. Sie haben sich in
einem Ring um ein Loch in der Sitzfläche getummelt. Nicht weit von ihnen haben
sich Vögel aufgehalten. Seither mache ich mir Gedanken, wie es kommt, dass sich
Vögel zu Schlangen gesellen.
Tristan sah ihn verblüfft an.
Nach einer Weile sagte er. „Merkwürdig, das erinnert mich an die Geschichte
eines Persers, der in den Niederlanden lebt. Ich lese gerade sein Buch ‚Die
geheime Schrift‘. Das Buch handelt von den politischen und kulturellen
Veränderungen seines Landes, dem traditionellen Persien, der Ära des älteren
und des jüngeren Schahs und von der Machtergreifung der Geistlichen. Er
schreibt da von einem Brunnen, der eine wichtige Bedeutung einnimmt bei diesen
Ereignissen – Wartet…“
Tristan bückte sich, hob seinen
Rucksack und zog ein Buch heraus, mit merkwürdigen Zeichen auf dem Cover, die
an die Keilschrift erinnerten. Er blätterte eine Weile und las dann:
„‘Die Zeit des heiligen
Brunnens ist ebenfalls vorbei… Der Brunnen ist leer. Die Wildtauben fliegen
hinein, um ihre Eier in den Nischen auszubrüten. Giftschlangen verstecken sich
hinter den Felsen und warten geduldig ab. Sobald die Vögel ausgeflogen sind,
kriechen die Schlangen in den Brunnen und fressen die Eier auf. Die Vögel, die
bei ihrer Rückkehr die leeren Nester vorfinden, weinen über dem Brunnen.‘“
„Ist ja wunderlich“, rief Kermit
aus. „Wann hast du das gelesen?“
„Heute in der Mittagspause“, gab
Tristan zur Antwort.
Kermit schüttelte den Kopf. „Unbegreiflich
was es für Zusammentreffen gibt.“ Dann nickte er. „Aber diese Bemerkung hilft
mir weiter, ich danke dir.“
„Aus der Beobachtung des Persers
schließe ich, dass die Vögel auf meinem Sofa keinesfalls in Symbiose mit den
Schlangen leben, wie ich als Möglichkeit auch in Betracht gezogen habe. Mir
scheint jetzt eher, sie kommen nicht mehr an ihre Nester ran.“
Er sah in die Gruppe und sagte: „Ich
habe irgendwie das Gefühl, dass das alles mit dem verfluchten Job zu tun hat,
den ich seit neustem ausübe.“ MLF
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