Den Blick starr nach oben auf die runde Lampe aus Glas gerichtet
wacht Toni auf. Die Helligkeit von draußen erzeugt im Glas ein Spiegelbild. Er
sieht zwei Personen darin und erkennt dass Mili und er es sind. Noch im Tran
vermeint er, sie steckten beide in einem Essigkrug wie der Mann und die Frau in
Bechsteins Märchen. Weil ich immer jammere und mein Glück verkenne, werde ich
bestraft, klagt er und bereut bitter seinen Kleinmut. Aber plötzlich ist das
Bild weg. Er spürt eine Hand auf seinen Augen. Da wird er gewahr, dass Mili
neben ihm liegt und er sich von einem Trugbild hat erschrecken lassen. Mit
doppelter Freude umarmt er seine Schöne und genießt ihren Liebreiz.
Dann erzählt sie ihm die folgende Geschichte. AS
Er war gar nicht auffällig
gekleidet. Jedenfalls trug er keinen Rock. Außerhalb der Schule hatte er es
doch nicht geschafft, Nathalis Gebot durchzuhalten. Er fuhr einfach nur auf dem
Fahrrad auf gewundener Straße durch eines jener engen Viertel, die er oft in
hohen Tönen als heimelig, schnuckelig und pittoresk besungen hatte. In einer
Kurve war der Gehsteig zu einem kleinen Platz verbreitert. Hier hatte ein weißer
Daimler gehalten, nicht von der großen Sorte, aber teuer genug, um in einem
solchen Viertel Eindruck zu machen. Just als René vorbeikam, entsprangen der
Hintertür zwei kleine weiße Hunde. Er freute sich, hielt an und wollte sie
streicheln, womöglich ein paar Worte mit den Leuten wechseln. Der Wagen gehörte
einem älteren Ehepaar. Die Frau stand draußen, den Mann sah er hinter dem
Steuer. Sie wirkten auf ihn wie aus dem Wachsfigurenkabinett: ‚Älteres Ehepaar,
das den andern im Viertel ein größeres Auto voraushat‘. Er klappte den Radständer
nach unten und ging in die Knie, um die süßen Kleinen zu begrüßen. Sie
gebärdeten sich wie toll. Der eine war auf Anhieb vernarrt in ihn. René hatte
noch nicht den Mund aufgemacht, als das Paar ihn schon anschnauzte. Die Frau
halb weggedreht, mit abschätzendem Blick, der Mann durch das offene
Wagenfenster.
„Man darf hier nicht fahren. Sie
gefährden unsere Hunde.“
Bei solchen Leuten hatte er keine
Lust zu bleiben. Er streichelte die Hunde nochmal, stand auf und ging weiter,
wobei er das Rad schob. Nichtsdestotrotz fingen sie an, über ihn zu lästern.
„Ein Warmer, ein Schwuler“,
befand die Frau. Und der Mann geiferte, „dem Knackarsch sollte man einen Stock
in den Hintern stecken.“
Woher wussten die auf Anhieb, wie
er gestrickt war? Das gab ihm einmal mehr ein Rätsel auf. Oder waren das
inzwischen so allgemeine Schimpfworte, dass sie benutzt wurden, wie Rumtreiber
und Dreckskerl? – Wohl kaum. Der eine Hund tänzelte um ihn und folgte ihm auf
dem Fuß. Er folgte René auch noch, als dieser aufs Rad stieg und weiterfuhr.
Die Frau hätte die Hunde halten können. Aber statt dem Kleinen nachzugehen,
hetzte sie wie ihr Mann, der zu faul war den Wagen zu verlassen, die Leute im
Viertel gegen ihn auf. Wie ein Stadtbrand verbreitete sich die Nachricht: Ein
Schwuler fährt durchs Viertel und lockt die weißen Hunde fort.
Ein Mann versuchte ihm in den Weg
zu treten. Da René unbeirrt weiterfuhr, holte er eine Flinte, ein Luftgewehr.
Doch da war er bei René am Falschen. Von einem Luftgewehr ließ der sich nicht
beeindrucken. Da ihm aber der kleine Weiße noch immer folgte, stieg er ab.
Da kam just ein Bekannter
entgegen, Maurer mit Namen. René war erleichtert, jemand Bekanntes zu treffen
und er klagte ihm seine missliche Lage.
„Dieser kleine Weiße läuft mir
nach. Ich kann nicht weiter, weil dieser süße Kleine an mir hängt. Das halbe
Viertel ist schon im Aufruhr.“
Maurer zeigte kein Verständnis
für seine Lage. „Ich fürchte, die Rechtsprechung steht eindeutig gegen dich“,
befand er. „Das gilt insbesondere, wenn die Hunde klein sind.“ MLF
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