Freitag, 1. Juni 2012

60 Ärger mit weißen Hunden

Den Blick starr nach oben auf die runde Lampe aus Glas gerichtet wacht Toni auf. Die Helligkeit von draußen erzeugt im Glas ein Spiegelbild. Er sieht zwei Personen darin und erkennt dass Mili und er es sind. Noch im Tran vermeint er, sie steckten beide in einem Essigkrug wie der Mann und die Frau in Bechsteins Märchen. Weil ich immer jammere und mein Glück verkenne, werde ich bestraft, klagt er und bereut bitter seinen Kleinmut. Aber plötzlich ist das Bild weg. Er spürt eine Hand auf seinen Augen. Da wird er gewahr, dass Mili neben ihm liegt und er sich von einem Trugbild hat erschrecken lassen. Mit doppelter Freude umarmt er seine Schöne und genießt ihren Liebreiz.
Dann erzählt sie ihm die folgende Geschichte. AS

Er war gar nicht auffällig gekleidet. Jedenfalls trug er keinen Rock. Außerhalb der Schule hatte er es doch nicht geschafft, Nathalis Gebot durchzuhalten. Er fuhr einfach nur auf dem Fahrrad auf gewundener Straße durch eines jener engen Viertel, die er oft in hohen Tönen als heimelig, schnuckelig und pittoresk besungen hatte. In einer Kurve war der Gehsteig zu einem kleinen Platz verbreitert. Hier hatte ein weißer Daimler gehalten, nicht von der großen Sorte, aber teuer genug, um in einem solchen Viertel Eindruck zu machen. Just als René vorbeikam, entsprangen der Hintertür zwei kleine weiße Hunde. Er freute sich, hielt an und wollte sie streicheln, womöglich ein paar Worte mit den Leuten wechseln. Der Wagen gehörte einem älteren Ehepaar. Die Frau stand draußen, den Mann sah er hinter dem Steuer. Sie wirkten auf ihn wie aus dem Wachsfigurenkabinett: ‚Älteres Ehepaar, das den andern im Viertel ein größeres Auto voraushat‘. Er klappte den Radständer nach unten und ging in die Knie, um die süßen Kleinen zu begrüßen. Sie gebärdeten sich wie toll. Der eine war auf Anhieb vernarrt in ihn. René hatte noch nicht den Mund aufgemacht, als das Paar ihn schon anschnauzte. Die Frau halb weggedreht, mit abschätzendem Blick, der Mann durch das offene Wagenfenster.
„Man darf hier nicht fahren. Sie gefährden unsere Hunde.“
Bei solchen Leuten hatte er keine Lust zu bleiben. Er streichelte die Hunde nochmal, stand auf und ging weiter, wobei er das Rad schob. Nichtsdestotrotz fingen sie an, über ihn zu lästern.
„Ein Warmer, ein Schwuler“, befand die Frau. Und der Mann geiferte, „dem Knackarsch sollte man einen Stock in den Hintern stecken.“
Woher wussten die auf Anhieb, wie er gestrickt war? Das gab ihm einmal mehr ein Rätsel auf. Oder waren das inzwischen so allgemeine Schimpfworte, dass sie benutzt wurden, wie Rumtreiber und Dreckskerl? – Wohl kaum. Der eine Hund tänzelte um ihn und folgte ihm auf dem Fuß. Er folgte René auch noch, als dieser aufs Rad stieg und weiterfuhr. Die Frau hätte die Hunde halten können. Aber statt dem Kleinen nachzugehen, hetzte sie wie ihr Mann, der zu faul war den Wagen zu verlassen, die Leute im Viertel gegen ihn auf. Wie ein Stadtbrand verbreitete sich die Nachricht: Ein Schwuler fährt durchs Viertel und lockt die weißen Hunde fort.
Ein Mann versuchte ihm in den Weg zu treten. Da René unbeirrt weiterfuhr, holte er eine Flinte, ein Luftgewehr. Doch da war er bei René am Falschen. Von einem Luftgewehr ließ der sich nicht beeindrucken. Da ihm aber der kleine Weiße noch immer folgte, stieg er ab.
Da kam just ein Bekannter entgegen, Maurer mit Namen. René war erleichtert, jemand Bekanntes zu treffen und er klagte ihm seine missliche Lage.
„Dieser kleine Weiße läuft mir nach. Ich kann nicht weiter, weil dieser süße Kleine an mir hängt. Das halbe Viertel ist schon im Aufruhr.“
Maurer zeigte kein Verständnis für seine Lage. „Ich fürchte, die Rechtsprechung steht eindeutig gegen dich“, befand er. „Das gilt insbesondere, wenn die Hunde klein sind.“ MLF

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