Als Toni aufwachte, erkannte er Mili im Halbdunkel. Sie gingen aufeinander zu und vereinigten sie in der Liebe. Anschließend erzählte
sie ihre Geschichte. AS
„Weißt du noch, wie er mit Paul
den Treff ‚Arsenal‘ aufsuchte?“, fragte Mili.
Toni war überrascht, weil sie ihn
für gewöhnlich nicht direkt ansprach. Er nickte kräftig. „Er erkannte dort,
dass es ein Fehler war, sich nicht um seine eigenen Bedürfnisse zu kümmern.“
„So ist es“, bestätigte Mili und
fing ihre Geschichte an.
Tommy hatte ein Kuvert gefunden
und konnte sich auf Grund dessen einen gewissen Lebensstil leisten. Er achtete
von da an auf seine Bedürfnisse. Was dazu führte, dass der Inhalt des Kuverts
nun schwand. Es war eben doch kein magischer Umschlag, der sich von selbst
wieder füllte. Als das Geld zur Neige ging, war er genau so arm, wie davor,
musste froh sein, dass er bei Jella wohnen und essen konnte und von seiner
Mutter gelegentlich etwas Taschengeld zugesandt bekam.
Nach dem Erlebnis im
Arsenal-Treff sah er es als seine Pflicht, für seine Bedürfnisse zu kämpfen. Da
die Firma sich weiter im Aufbau befand, wandte er sich an einen Freund, der ihm
offen gestanden hatte, dass er mit seinem angehäuften Geld und verschiedenen
Besitztümern bis zu seinem Lebensende reichlich zu leben habe. Diesen Freund
lud er zu sich nach Hause ein, zu einer Zeit, da Jella nicht daheim war. Sie
setzten sich auf Sofa und Sessel gegenüber und er eröffnete ihm sein Anliegen.
Obwohl der Freund geahnt haben
musste, was auf ihn zukam, war er doch erschrocken. Aber Tommy spürte, wie er
sich einen Ruck gab.
„Ja, ich sehe, wie du dich
bemühst. Lange kann es ja nicht mehr dauern, bis deine Firma den Aufbau
geschafft hat. Das mit dem Kredit geht in Ordnung.“ Und er fügte – bewegt von
der eigenen Großzügigkeit – noch ein paar Worte hinzu, die aus dem Mund eines
Reichen etwas seltsam klangen. „Ich teile meinen Mantel gerne mit dir.“
Tommy konnte das Leben, das er
sich mit seinem gefüllten Umschlag angewöhnt hatte, weiter führen. Er ging
einmal die Woche mit Paul in Ausgang und gelegentlich mit einem anderen Freund
ins Kino. Er kaufte sich ein paar neue Kleidungsstücke und ab und an ein Buch.
Auf ein Auto verzichtete er wohlweislich. Er lebte in bescheidenem Maße seine
Bedürfnisse. Das Jahr verging und das Guthaben schwand. Aber in seiner Firma
hatte sich nichts geändert. Da nahm Tommy Zuflucht zu seiner alten
Gelassenheit, die darin bestand, nicht auf seine Bedürfnisse zu achten und
dankbar zu sein, dass Jella sich um ihn sorgte. Seinem Gläubiger sagte er
offen, dass sich seine Situation leider nicht geändert habe, dass er ihm aber das
Geld zurückgeben werde, sobald die Firma ihn bezahlen könne.
Als Tommy mal wieder seinen
Freund auf seinem ausgedehnten Grundstück besuchte, kam ihm von unten ein Wolf
entgegen. Zwar mit wedelndem Schwanz, aber doch deutlich ein Wolf. Wie manche
Reiche hielt sein ‚Freund‘ lieber wilde Tiere, als die gewöhnlichen Haustiere.
Durch dieses Tier sensibilisiert, spürte er, dass der ‚Freund‘ nicht mehr der
gleiche war. Er wirkte gehemmt und schien ihn misstrauisch zu beobachten. Tommy
ahnte, dass es mit dem Darlehen zusammenhing, aber da er im Moment die Schuld
nicht tilgen konnte, schwieg er.
Eines Tages ging Tommy durch den
Schulort. Als er über den zentralen Platz, den Flecken, kam, sah er aus der
Luft große Teile auf den Platz zufliegen. Ein starker Wind musste einen Stapel
von Holzbalken erfasst und davongetragen haben. So kam es, dass just in dem
Moment, da er den Platz überqueren wollte, es Balken regnete. Erst wollte er
nicht wahrhaben, was er sah. Er schaute zu, wie jemand gegenüber von einem
Balken erschlagen wurde. Aber erst als unmittelbar neben ihm ein Balken einschlug,
wurde er sich der Gefahr bewusst, in der er sich befand. Da hechtete er hinter
den Brunnen, dessen massive Einfassung dem Auftreffen eines solchen Geschosses
standhalten musste.
Von dort aus sah er einen
Fremden, der aufrecht auf den Brunnen zukam.
„Wie kommt denn sowas?“, rief er
diesem zu.
„Chur martinensem ist vorbei“,
antwortete der Fremde mit sachlicher Stimme und trat näher zu ihm heran.
„Chur was?“, rief Tommy in einer Lautstärke, als müsste er
gegen einen Sturm anschreien.
Der Fremde blieb aufrecht stehen.
„Die Martins-Kür“, erklärte er. „Das sind die Tage, an denen die Reichen
traditionell ihren Mantel mit den Armen teilen. Am Tag danach regnet es für
gewöhnlich Balken. Viele Wohlhabende bereuen ihre Großzügigkeit und fallen über
ihre Schuldner her – hast du ein Anleihen bei einem Begüterten gemacht?
Tommy fiel seine Schuld ein und
er nickte.
Dann warte lieber hier, bis der
Regen aufhört, sonst könnte dich ein Balken treffen.
Der Fremde ging weiter, ohne
Furcht. Er schien keine Schulden gemacht zu haben.
Tommy musste noch eine ganze
Weile warten, bis der Regen nachließ. Dann ging er nach Hause.
Am nächsten Tag lag ein großer
Umschlag im Briefkasten, an ihn adressiert. Vom Anwalt des ‚Freundes‘.
‚Da mein Klient mit Ihnen, Tommy
Ohnesorg, ‚befreundet‘ ist, erlauben wir Ihnen die Rückzahlung des Kredits in
Raten‘ stand da auf kostbarem Papier mit Wassersiegel. Die Termine waren
geregelt. Innert eines Jahres war die letzte Rate zu begleichen. Mit einer
Anmerkung, was geschehen werde, falls der Schuldner seinen Pflichten nicht
nachkommen werde. MLF
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