Dienstag, 29. Mai 2012

57 Das Eschenbacher Schwimmbad


Toni mochte die lauten Schwimmbäder nicht, in denen sich die Massen tummelten und ihm vom Geschrei die Ohren schmerzten. Deshalb war er glücklich, als er im Wald ein ruhiges Bad entdeckte, in dem sich nur wenige Menschen ergötzten.
Als Mili nachts zu ihm kam, schwärmte er von diesem Bad. Endlich habe er einen Ort gefunden, an dem er sich wohl fühle. Fortan werde er sich nur noch dort erholen. Mili äußerte sich nicht. Sie gab sich in seine Arme und sie vereinigten sich. Aber aus der Geschichte, die er anschließend zu hören bekam, schloss er, dass sie seine Begeisterung für das abgelegene Bad nicht teilte. AS

Der Wald war für ihn eine große Entdeckung. Er verbrachte mehr Zeit im Wald als in der Stadt. Um die Firma, in der er früher gearbeitet hatte, machte er einen großen Bogen. Aber ab und zu kam er doch nach Eschenbach. Dabei hatte er auch ein oder zweimal den Chef getroffen. Mark hatte mit seinem Wohnmobil bei der Bank gehalten und vom Automaten Geld geholt. Als er zurückkam, hielt ein großes, glänzendes Gefährt neben seinem ziemlich verstaubten Wohnmobil. Der Chef stieg aus und trat wie zufällig zu ihm.
„Es ist gar nicht leicht die richtigen Leute zu finden“, sagte er. „Eine verwaiste Stelle mit jemandem Patentem zu besetzen, grenzt heute an ein Kunststück.“
Mark bezog diese Bemerkung nicht auf sich und nickte verständnisvoll. Der Chef einer großen Firma hat vielfache Sorgen und es tut ihm gut, wenn er sich erleichtern kann. Er fragte Mark nicht, wann er wiederkomme. Aber in der Stimme klang doch ein leiser Vorwurf: Wann hört diese Herumreiserei endlich auf?
Als Mark wieder mal in Eschenbach Halt machte, zog es ihn auch hier in den Wald. Er stellte sein Wohnmobil in der Ortsmitte auf einen Parkplatz, der sich als hinreichend sicher erwiesen hatte und ging auf direktem Weg durch den Ort in den angrenzenden Wald. Sofort fühlte er sich wohl im Halbdunkel unter den hohen Stämmen und atmete befreit den angenehmen, feuchten Geruch von Moos und Blättern ein. Er stieg zu einer etwas erhöhten Stelle und entdeckte dort von den Bäumen überwachsene Mauern – die Ruinen einer einstigen Burg. Nur die Stümpfe der Mauern waren noch erhalten und ragten irgendwie traurig hervor, bedrückt vom Moder, der sie verdeckte und den Myriaden kleiner Viecher, die unermüdlich an ihrem endgültigen Zerfall arbeiteten. Mark war gekommen, um sich im Wald zu erholen. Doch da stieß er auf eine Pyramide, die sich hinter der Ruine in den Bäumen erhob. Die Pyramide empfand er als Angebot. Er konnte sich im Wald aufhalten und gleichzeitig eine Pyramide ersteigen. Eine bessere Verbindung konnte er sich gar nicht denken. Als er sich anschickte, die erste Stufe der Pyramide zu erringen, stand plötzlich sein Chef neben ihm.
„Mensch, Mark, hier steckst du also“, entrang er sich schnaufend wie eine unter Druck stehende Maschine.
Mark war so überrascht, dass ihm kein Grußwort gelang. Die geballte Spannung eines Leitenden in schwieriger Position, traf ihn.
„Ich bitte dich dringend, komm!“
Ohne dass der Chef es explizit formulierte, fragte er damit, ob er die Arbeit annehmen würde. Er hatte ihm ein Angebot zu einem höheren Preis gemacht und ihm Bedenkzeit gegeben. Wenn er ihm jetzt gefolgt war, so hieß das, dass er dringend benötigt wurde. Als Antwort setzte Mark sich auf einen liegenden Stamm und begann sich die Schuhe anzuziehen, die er auf dem weichen Waldboden ausgezogen hatte. Der eine Schuh hatte einen sehr langen Bändel. Weil der Chef so unruhig war, wickelte Mark diesen flüchtig um den Schaft und verknotete ihn. Dann stand er auf und folgte seinem Arbeitgeber. Dieser eilte voraus und legte die Strecke, die Mark vorher in Stunden gegangen war, in wenigen Minuten zurück.
Als sie aus dem Wald traten, hielt der Chef inne und gab Order, was als erstes zu geschehen hatte. „Wir gehen jetzt zusammen ins Schwimmbad, wir drei!“, ließ er verlauten.
Das Eschenbacher Schwimmbad, fügte Mark in Gedanken hinzu. Um die sonst triviale Aussage für sich selbst ins richtige Licht zu rücken. In einer Stadt, die in ihrem Wappen den Weltenbaum Yggdrasil stehen hatte und das Wasser, das durch die Stadt floss auf die Quelle unter eben diesem Baum zurückführte, war ein Aufenthalt im Schwimmbad nicht ein bloßes Freizeitvergnügen. Mark kamen Zweifel, ob er bei dieser Arbeit wirklich bestehen würde. Dazu brauchte man eine dicke Haut. Im strammen Schritt gingen sie vom Waldrand zum Schwimmbad. Da der Weg eng war, ging Mark voraus.
„Wenn euch meine Empfindlichkeit nicht stört“, rief er warnend nach hinten.
Der Chef antwortete nicht. Wahrscheinlich hatte er andere Sorgen. Mark war gespannt auf den dritten im Bunde. Ob es einer der Kollegen war, die er von früher kannte oder jemand Neues?
Vor dem Schwimmbad stand eine große Gruppe von Eschenbachern. Sie trugen alle dicke Öljacken oder waren im Begriff welche anzuziehen. Ein weiteres Merkmal dieser Stadt, die Lieblingskleidung ihrer Bewohner waren die Gummimäntel oder Pelerinen, um sich gegen Einflüsse von außen zu schützen. Die Gummimäntel, die sie trugen, schienen Mark besonders tauglich. Er liebäugelte damit, sich bei dieser Gelegenheit mit einem einzudecken. Entschied sich aber dagegen. Er hatte ja schon welche und außerdem trug er sie ungern. Er glaubte nämlich im Umgekehrten, dass man das, was von außen kam, auf sich wirken lassen musste, auch wenn es unangenehm war.
Vor dem Eingang des Schwimmbads stand MaLu.
„Nanu, du hier?“, rief er aus und wollte sie herzlich begrüßen. Aber die Stimmung, die von ihr ausging, ließ ihn innehalten.
„Wo ist dein Wettermantel?“, fragte sie nüchtern, obwohl sie selber keinen trug. 
„Ich mag diese Dinger nicht“, gab Mark offen zu. Seine Stimme klang resigniert, weil sie ihn so frostig empfing.
Du hast keine Ahnung, um was es geht“, fuhr sie ihn an.
Er stand da wie ein begossener Pudel. Das mit der Öljacke konnte nicht der alleinige Grund sein. Hatte sie ihn nicht auch schon mal zurechtgewiesen, weil er sich vom Alkohol angeheitert einen Regenmantel angezogen hatte? Es musste noch einen anderen Grund geben, weshalb sie ihm gram war. Das konnte nur der Wald sein. Dass er sich im Wald aufgehalten hatte. Langsam dämmerte ihm, wer der dritte im Bund war. Nicht jener Ingenieur, den er geglaubt hatte, sondern sie, MaLu selbst, die auf unerklärliche Weise immer mit ihm in Verbindung stand. Was auch erklärte, warum der Chef ihn im Wald hatte finden können. MLF

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