Freitag, 25. Mai 2012

Verworfen: 56 Interview mit einem Holzkopf j

Im Wohnzimmer standen ein altes Ledersofa, ein Tisch und ein paar Stühle mit geflochtenen Sitzen, alles Möbel von seinem Vorgänger. An der Wand hing, ebenfalls von früher, eine Maske, die die Journalisten schon zu kennen schienen.
Bis Tommy an der Grenze auf den Umschlag mit dem Geld gestoßen war, hatte er geglaubt, dass Geld ihm nichts bedeute. Jetzt spürte er ein großes Verlangen, von diesen drei Männern und der Frau fotografiert und ausgefragt zu werden. Fieberhaft überlegte er, was er ihnen mitteilen könnte, wenn sie ihn fragten.
Man bat ihn mit ihnen rauszufahren und fragte, ob man die Holzmaske für das Fotoshooting ausleihen dürfe. Von der Eitelkeit beseelt sagte er ja und gab zu allen Fragen bereitwillig Auskunft, obwohl ihm die meisten unvernünftig erschienen.
Im Wesentlichen ging es darum, warum er unbezahlt arbeite. Das schien die Journalisten zu beschäftigen. Sie forschten nach seiner Motivation. Ob er glaube, der Welt mit seiner Arbeit einen Dienst zu tun? Er wurde auch gefragt, ob er Schulden habe.
Die Frage mit den Schulden war die einzige, die er ausweichend beantwortete.
Sie führten ihn an einen See. Im Auto hatten sie Kameras. Als man vorschlug, ihn mit Holzmaske zu filmen, zögerte er kurz. Aber dann war es ihm gar nicht unrecht, weil er an seine Gläubiger dachte. Die Journalisten zogen Badekleider an und begaben sich ins Wasser. Er mochte nicht, wenn vier gleichzeitig fotografierten und machte es zur Bedingung, dass nur einer abdrückte. Die andern verließen darauf das Wasser. Im Moment des Blitzes übertrug sich die Spannung auf seinen Körper. Er spürte einen starken elektrischen Schlag.
Der Beitrag, ‚Kontaminiertes Haus wieder bewohnt‘ wurde im Abendjournal ausgestrahlt. Er sah sich die Sendung bei Jella an. Sie war nicht zuhause, worüber er nachträglich froh sein würde. Die erste Einstellung war der Blick auf das Haus von außen, die zweite auf die Maske an der Wand. Dann stand er bereits auf der Wiese und trug dieses Ungetüm von einer Holzmaske, die mindestens die doppelte Größe eines gewöhnlichen Kopfes hatte. Es sah nicht so aus, als trüge er eine Maske, sondern als sei sein Kopf aus Holz. Die Antworten, die er im Haus und unterwegs gegeben hatte, wurden jetzt von dem Holzkopf mit seiner Stimme gesprochen.
„Ich habe in meinem Leben noch nie Geld verdient, obwohl ich viel gearbeitet habe“. Diese an sich schon paradoxe Aussage, klang aus diesem Holzkopf heraus völlig absurd. Tommy wurde ganz mulmig zu Mute.
Ob er die Welt verändern möchte?
„Die Welt verändern ist zu viel gesagt. Aber ich möchte schon, dass meine Arbeit eine Wirkung zeigt.“
Als er diese Worte hörte, traf ihn der gleiche elektrische Schlag, wie bei dem Fotoshooting vom Wasser aus. Die Sätze klangen so fürchterlich, dass er am liebsten ein Beil genommen und diesen Holzkopf zerschlagen hätte. Nach und nach erst erkannte er, in was ihn die Journalisten da hineingeritten hatten.
Zum Schluss wurde noch gefragte, warum der neue Bewohner des Hauses diese Maske wohl trage? – Was für eine Unverschämtheit. Man hatte ihn gebeten sie anzuziehen – Darüber gebe es verschiedene Ansichten. Die einen sagten, er wolle sich mehr Ausdruck verschaffen, da er von Natur her eher unscheinbar sei. Die anderen, weniger freundlichen, fanden, dass er seine Hässlichkeit verbergen wolle.
Jella war zum Glück nicht da. Sie hätte ihn an der Stimme erkannt und ihm Vorwürfe gemacht, dass er sich auf die Fragerei eingelassen hatte.
Erst beim Abspann sah er sein Gesicht und auch da nur im Profil. Wie er beim Ablegen der Maske zum Vorschein kam. So hässlich bin ich nicht, dass ich mich verstecken müsste, sagte er sich beruhigt. Wahrscheinlich war es seine Unscheinbarkeit, die sie dazu führte, ihn als Holzkopf darzustellen. MLF

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