Nach dem Liebesspiel glitt
Mili auf dem Kissen nach oben und zog Toni rücklings auf ihren Bauch. Sein
Gesäß kam zwischen ihre Beine und sein Kopf zwischen ihre Brüste zu liegen.
Ihre noch feuchte Haut am Rücken spürend, trat ihm das Bild einer mexikanischen
Malerin vor Augen, auf dem sie ihren Mann trägt und selber im Schoß einer
großen Mutter ruht. Leicht entrückt, glaubte Toni im Schoß einer ebensolchen
Mutter zu liegen. Erst als Mili ihre Stimme erhob, die von seinem Gewicht etwas
gepresst war, vergegenwärtigte er sich, wo er lag. AS
Da war auch noch das Haus der Mutter, das außerhalb der Siedlung
lag und oft leerstand, der Garten von einer dichten Hecke umschlossen. Gelegentlich
blieb er über Nacht dort und schlief im Bett, in dem auch die Mutter lag, wenn
sie dort war.
An jenem Abend war Mark früh zu Bett gegangen. Er hatte nichts
Neues mehr anfangen wollen und keine Lust gehabt fernzusehen. Gegen Mitternacht
wachte er auf. Sein Blick fiel auf die Stelle, wo der weiße Tisch gestanden
hatte. Dieser war umgefallen – nein, nicht gefallen, sondern in sich zerfallen.
Genau wie bei mir, in meiner Wohnung auch, stellte er verwundert fest. Zumindest
ihren Tisch, nahm er sich vor, werde er wieder aufbauen. Er war sich aber nicht
sicher, ob sie dies überhaupt wünschte. Dass sie ihn so sehr hatte verkommen
lassen, musste ja einen Grund haben. Er stand auf und schlüpfte in Hemd und
Hose. Als er durchs Fenster in den vom fahlen Mondlicht erhellten Garten
schaute, bemerkte er hinter der Hecke eine Gestalt. Wer mochte sich mitten in
der Nacht so nah am Haus der Mutter aufhalten?, fragte er sich und nahm sich
vor, der Sache auf den Grund zu gehen. Durch die Terrassentür gelangte er nach
draußen.
Wie er durch den von Büschen torartig umfassten Ausgang des
Gartens kam, traf er auf einen Freund.
„Franz, nanu. Was machst
du hier?“
„Wir wollten dich besuchen. Aber da die Fenster dunkel waren,
haben wir nicht gewagt zu klingeln.“
Das Gesicht seines Freundes war breiter geworden. Er wirkte
gelassener, erdiger. Franz war in der Jungend sein Spielgefährte gewesen. In
verschiedenen Lebensabschnitten hatten sie sich wieder getroffen und jedes Mal Neues
miteinander auszutauschen gehabt.
„Was heißt ‚wir‘?“, fragte Mark.
Franz drehte sich gemächlich um und wies auf einen Mann, der nahe
an der Straße im trockenen Gras lag.
„Oppermann? Was, der ist auch dabei?“
Franz drehte sich andersherum und zeigte auf einen Bus samt
Anhänger. „Er wollte dir den Bus vorführen. Aber das Ganze hat sich verzögert. Du
hast schon geschlafen. Deshalb haben wir uns entschlossen, dich erst am Morgen
zu überraschen.“
Franz kaute Gras. Mark sah ihn verwundert an. „Probier, schmeckt
gut“, sagte sein Freund einladend.
Mehr aus Höflichkeit nahm Mark an und schob sich ein paar Halme
in den Mund. Er war überrascht, nicht diesen bitteren, eintönigen Geschmack von
Gras zu schmecken – den wohl nur Kühe mögen – sondern vielseitige Empfindungen
zu spüren. Er fing an, jedes Hälmchen einzeln zu kauen und bemerkte, dass
keines wie das andere schmeckte.
„Wo hast du das her?“, fragte er Franz, der gegen die Gartenmauer
gelehnt nachdenklich seine Kiefer mahlen ließ. „Das ist ja köstlich.“
„Gibt’s hier überall. Aber du musst es nachts pflücken. Sobald es
hell wird, drängen die lichthungrigen Pflanzen nach vorne und du suchst
vergeblich. Solche Kräuter kauen ist besser als jede Lektüre, findest du nicht?“
„Schmeckt wirklich super“, bestätigte Mark. Begriff aber nicht,
wie sein Freund Kauen und Lesen vergleichen konnte. Er wollte nachts nicht zu
viel essen. Um nicht ein anderes Mal durch eine solche Gewohnheit geweckt zu
werden. Deshalb steckte er das restliche Gras in die Hosentasche.
Der Liegende am Straßenrand rührte sich und richtete sich auf.
Als er Mark sah gewahr wurde, sagte er.
„Na, hast du gespürt, dass wir auf dich warten?“
Der Angesprochene überhörte die Frage und bewegte langsam den
Kopf. „Wie kannst du im Freien schlafen, ohne Decke und so nah an der Straße?“
„Alles eine Frage der Übung und des Vertrauens“, sagte Oppermann.
„Aber wenn du schon hier bist, so wirf doch einen Blick auf den Bus.“
Gemeinsam gingen sie zum Bus. Oppermann, der schon seit Langem Marks
Berater war, hatte ihm empfohlen, den festen Wohnsitz aufzugeben und eine
Zeitlang unterwegs zu sein. „Jeder Mensch sollte das mal erleben. Wenn nicht in
der Jugend, dann halt später.“
Auf den Scheiben und den Zierleisten reflektierte sich der matte
Schein des Mondlichts. Das Gefährt mit dem Anhänger schien Mark doch etwas
ungelenk. „Ich kann mit einem Anhänger schlecht rückwärtsfahren“, gab er zu
bedenken.
„Dann lass ihn doch weg“, warf Franz ein.
„Du brauchst ihn für die Bücher“, erklärte Oppermann. „Du kriegst
sie nicht alle vorne rein. Oder hättest keinen Platz, dich darin aufzuhalten.“
„Verstehe, dann muss es wohl sein“, stimmte er zu. War aber von
dieser Lösung nicht begeistert. Andererseits gefiel ihm der Gedanke, sich in
einen Extraraum setzen zu können, wenn ihn die Lust zu lesen überkam.
„Kommt, jetzt gehen wir ins Haus“, lud Mark sie ein.
„Nein, nein, wir bleiben draußen.“
„Dann legt euch doch mindestens in den Bus“, bot er an.
Wollten sie auch nicht.
„Macht was ihr wollt. Ich bin müde.“ Mark begab sich ins Haus zurück.
War er eingeschlafen oder hatte er nur gedöst? Das mit dem
Anhänger beschäftigte ihn. Wozu brauchte er die ganzen Bücher? Er hatte sich
doch das Lesen schon so gut wie abgewöhnt. Mark spitzte die Ohren. Da waren
Stimmen zu hören. MLF
…
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