Der Rollentausch
hat Toni gefallen. Den ganzen Tag ist er wie auf einer Wolke gegangen. Am Abend
denkt er, vielleicht wiederholt sie ja das Spiel. Aber was er in der Nacht
dazwischen erlebt, bis er zu Mili findet, reibt ihn so auf, dass ihm das
Wünschen vergeht.
Er stößt zu
einer Pressekonferenz in einem Gerichtssaal. Ein Mann mit weißen Haaren wird
von Journalisten umlagert. Sein Essay ‚Was gesagt werden muss‘ ist Streitthema.
Es geht hoch her. Wenn Toni recht versteht, handelt es sich um ein brisantes
politisches Thema. Doch plötzlich wenden sich die Anwesenden einem Bild zu, das
ungelogen einen Hintern mit einem offenen Arschloch zeigt. Es ist, als seien
sie plötzlich des trockenen subjects überdrüssig geworden und suchten nun ein
schlüpfriges Thema, um ihre Klatschspalte zu füllen. Während sich Toni die
Augen reibt, ob es sich auch wirklich um einen Popo handle, drehen sich die
Anwesenden ihm zu und werfen ihm vor, dieses Bild in Umlauf gebracht zu haben.
Er weiß nicht, ob er weinen oder lachen soll. Er kann diese Leute nicht ernst
nehmen. Aber sie rücken ihm näher. Im Wechsel stoßen sie gellende Laute aus,
wie eine Schar von Wölfen. Ein lautes Brüllen und diese Meute wird sich
verziehen, glaubt er. Aber er steckt noch immer in dieser sanften, von Mili
verursachten Wolke und bringt keinen Ton hervor.
Zitternd erwacht
er im Bett. Mili, die ihn beobachtet haben muss, schließt ihn in die Arme und
hält ihn, bis er sich beruhigt hat. Statt des Liebesakts bleibt es beim
Kuscheln. Mili setzt die Geschichte vom Vortag fort. AS
Von der Berufsschule wird jemand gesucht, der die Berufsschüler
bei der Gestaltung und Umwandlung ihrer Ausstellungsflächen am Kreuzberg betreut
– ehrenamtlich. René meldet sich. Dass er neuerdings einen Rock trägt, stört
die Schulleitung nicht. Einem ehrenamtlichen Mitarbeiter steht man eine solche
Eigenwilligkeit zu. In der Gruppe reagieren die Schüler befremdet auf seine
Kleidung, sobald sie aber mit ihm vor ihrer Parzelle stehen, ist sein Äußeres
vergessen. Er sagt eigentlich nicht viel, lässt sie vielmehr selber reden. Weist
auf bestehende Ordnungen hin, deutet an, wo einzelne Positionen noch zu schwach
vertreten sind und andere zu viel Raum einnehmen. Wie durch Umgestaltung neue
Schwerpunkte gesetzt werden können, etc. Der Schüler spürt, dass es um ihn geht
und ist dankbar, dass der Mentor ihm mit gutem Gespür und viel Einfühlsamkeit
beisteht. Bei einem der Schüler passiert etwas Besonderes. Obwohl sich seine
Parzelle kaum von denen der anderen unterscheidet, dringen sie im Gespräch
tiefer. Die Ausstellung ist plötzlich nicht mehr nur die Summe seiner Arbeiten,
sondern es zeigen sich Spuren seiner Person. Der Schüler staunt.
„Mir ist, als sähe ich mich selbst hier ausgebreitet, ruft
er aus. Ich sehe meine Vorlieben und meine Schwächen, was mir gelungen ist und
wo ich Irrwege gegangen bin.“ René ist gerührt. Es ist ihm gelungen, was er
anstrebt.
Am Mittag kriegt er in der Schulküche ein Essen. Danach
setzt er sich meistens auf einen Stein vor das Schulgebäude und lehnt sich an
die Wand. Einzelne Schüler kommen und suchen das Gespräch. Er hat ihre
Parzellen genau vor Augen. Wenn nicht, helfen ein paar Details, dass er sie
sich vergegenwärtigen kann. Hier hört er, wie der eine Schüler zu seiner Gruppe
sagt.
„Hei, das war voll magisch. So habe ich mich davor noch nie
gefühlt.“
Ein Schüler kauert neben René, als ein Reisebus zufährt. Aus
den Augenwinkeln sieht René die Besucher aussteigen. Es ist nicht das erste
Mal, dass eine Gruppe auf dem Schulhof ankommt. Ihr Ziel ist der Kreuzberg.
Eine große Frau mit schwarzen Haaren löst sich aus der Gruppe der Besucher. Während
der Schüler weggeht kommt sie näher. Erst als sie in zwei Metern Abstand vor
ihm stehen bleibt, erkennt er sie. Christina, eine alte Bekannte, die sich im
Ortsteil, in dem er früher gelebt hat, besonders engagiert hat.
„Bist du hier?“, fragt sie, als würde sie ihren Augen nicht
trauen. „Sitzt du schon lange da?“ Ihre Stimme klingt nicht bloß erstaunt,
sondern erschrocken.
Er will aufspringen und sie begrüßen. Doch ihm wird bewusst,
dass das seiner neuen Rolle wohl nicht angemessen wäre. An ihrem Blick erkennt
er, dass sie ihn für einen Sadhu (indischer Bettler und Mönch) hält. Um ihre Mutmaßung
zu zerstreuen, erklärt er. „Ich habe gerade reichlich gegessen und sitze hier,
um mich auszuruhen. Schüler nutzen die Gelegenheit und besprechen mit mir ihre
Arbeiten.
„Ach so“, stammelt sie. Ganz überzeugt scheint sie nicht.
Unschlüssig bleibt sie stehen, sucht nach Worten. Aber als ihre Gruppe sich in
Bewegung setzt, verabschiedet sie sich und folgt ihnen.
Ein Tag, an dem die Schüler bei ihren Parzellen stehen,
während Besuchern kommen, steht bevor. Ein Tag des offenen Kreuzberges
sozusagen. Die ehrgeizigeren von den Schülern wollen den Gästen etwas zum Essen
anbieten. MLF
…
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