…
Am nächsten Morgen hielt sich Tommy an die Arbeit. Zum Fundbüro konnte
er auch am Nachmittag noch gehen.
Im Laufe des Morgens kam sein Bekannter, Peter Matt, vorbei.
„Hallo Peter, wie geht’s?“, fragte Tommy, erfreut über die
Zerstreuung.
Matt schüttelte sorgenvoll den Kopf. „Habe heute schon kalt
geduscht. Jetzt ist auch noch die Gastherme kaputt.“
„Was, kalt duschen? Wie schrecklich! Hast du dem Installateur
Bescheid gegeben?“
„Noch nicht. Was glaubst du, was das wieder kostet. Keine
Rücklage. Da rödelt man den ganzen Tag und es bleibt doch nichts hängen.“
Matt war ein lieber Kerl, aber er brachte nichts auf den Punkt.
Und was Tommy wirklich nervte, er schwärmte gerne von den früheren Zeiten. Aber
er hatte sich ihm gegenüber als hilfsbereit erwiesen. Tommys Blick fiel auf die
Scheine. Da entschied er, Matt zwei Hunderter zu geben. Er stellte es so an,
dass sein Bekannter das Kuvert nicht sah. Als Peter, sich herzlich dankend
verabschiedete, legte Tommy den Umschlag unter die Werkbank zu dem Wust von
Dingen, die da lagen. Da kam ihm erstmals der Gedanke, dass er das Kuvert auch
behalten könnte. Falls ihn doch jemand gesehen hatte, konnte er ja sagen, er
habe es unter der Werkbank vergessen. Mit diesem Geld wären nicht nur seine
Probleme gelöst, sondern er könnte auch andern helfen, die wie Peter in
Schwierigkeiten steckten.
Kurz darauf trat Jella in die Werkstatt. Sie warf einen Blick auf
seine Arbeit und sagte dann. „Um fünf bin ich zurück. Kannst du bis dahin das
Essen richten?“
Er nickte mechanisch. Da sie arbeitete und ihn mit dem Nötigsten
versorgte, verrichtete er einen Teil der Hausarbeiten. Er stellte sich vor die
Bank und schob das Kuvert etwas tiefer nach hinten. Es war weniger die Angst,
sie würde einen Anteil fordern, als die Vermutung, dass sie ihn drängen würde, das
Gefundene abzuliefern oder es zumindest als Einnahme korrekt zu versteuern. (Was
auf das Gleiche hinausgelaufen wäre)
Weder der Besuch von Peter, noch der von Jella hatten Tommy
überrascht. Was er hingegen kurz danach sah, ließ ihn an seinen Sinnen
zweifeln. Unweit von ihm stand plötzlich ein Weib. Er beobachtete, wie diese
hässliche, schrumpelige Frau sich über ein irdenes Becken beugte, das auf der
hinteren Werkbank lag. Seit er auf das Kuvert gestoßen war, spielte seine
Fantasie verrückt. Erst den chinesischen Weisen und nun dieses fürchterliche
Erdweib. Tommy näherte sich ihr. Das Wasser war eine widerliche, dreckige
Brühe. Nichtsdestotrotz senkte sie ihren verstrubbelten Kopf und trank wie ein
Tier von diesem Schmutzwasser. Tommy tat die Frau leid.
„Warten Sie“, sagte er, „ich fülle Ihnen frisches Wasser ein.“
Aber alles was er zur Antwort bekam, war ein verächtlicher,
abwehrender Blick.
Von seiner Werkstatt aus führte eine kurze Straße abwärts und
mündete im spitzen Winkel in die große Hauptstraße. Dieser kurze Abschnitt war
bekannt für seine Blitzer. Gleich mehrere waren dort aufgestellt. Die Fahrer
wurden kontrolliert, bevor sie in die große Straße einmündeten. Das Besondere
an diesen Geräten war, dass sie die Fahrzeuge nicht nur von vorne, sondern auch
von hinten prüften. Eines der Geräte, hatte er bemerkt, war völlig
eingewachsen. Unten war nur der halbe Tragepfosten zu sehen und oben ein Eck
des Kastens. Er hatte bezweifelt, dass diese Geräte wirklich eingesetzt würden,
wenn man sie so verkommen ließ. Andererseits hatte er von jemandem erfahren,
der, aufgrund einer Prüfung in diesem Abschnitt, vor Gericht gestellt worden
war und eine Haftstrafe verbüßen musste. Der Bestrafte hatte ein Stück von
einer Plane unter die Heckklappe geklemmt, um das Erkennungsschild zu
verdecken. Vor Gericht versuchte er seine Maßnahme damit zu rechtfertigen, dass
er die Heckseite als seine Intimseite habe schützen wollen. Damit erreichte er
keine Milderung, im Gegenteil. Tommy hatte das Auto gesehen. Man hatte es zur
Abschreckung eine Weile lang stehen lassen. Die Plane hing noch so, wie er sie
angebracht hatte, sie ließ Tommy an einen Lendenschurz denken. Dies ging ihm
durch den Kopf, als er nach dem Fund der Geldscheine diese Straße abwärts fuhr.
Da traf ihn plötzlich wie ein Blitzstrahl der prüfende Blick einer
Person. Der Mann stand am Straßenrand und fixierte ihn durch die Frontscheibe
hindurch. Tommy erschrak. Dieser Blick drang tiefer als er mit seinem Gewissen
bisher gekommen war, das spürte er. Ich bin jetzt auch einer von denen, die
Geld an sich ziehen, warf er sich vor. So ins Visier genommen zu werden, hatte
bestimmt einen Grund. Ein solcher Blick ließ sich nicht täuschen. Er gestand
sich schmerzlich ein: Ich bin jetzt auch
ein Korrupter. Am selben Tag, da er die Scheine gefunden und an sich
genommen hatte, war er schon denen zugeordnet worden, die Geld an sich zogen
und nie genug davon kriegten. MLF
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