Freitag, 13. April 2012

36 Gras im Rucksack j

Erneut schlüpfte er in die Kleider und ging nach draußen. Da sah Mark an die zwanzig Personen, die sich mitten in der Nacht am Eingang des Gartens zusammengefunden hatten. Jetzt war ihm auch klar, warum die beiden sich nicht in den Bus hatten legen wollen. Sie hatten auf andere Nachtschwärmer gewartet. Ein großer schwarzer Hund rannte auf ihn zu. Er zögerte.
„Nicht beachten.“ „Der tut dir nichts“, riefen ihm raue Stimmen zu. Am liebsten wäre er umgekehrt. Durfte man aber nicht, wenn ein Hund auf einem zukam. Zudem wollte er Oppermann bitten, den Anhänger abzustoßen. Der Hund verlor tatsächlich das Interesse an ihm. Es hatte ihn aber einiges an Überwindung gekostet. Langsam beruhigte sich sein Blut wieder. Er setzte sich zu Franz und schaute auf die illustren nächtlichen Gäste, soweit er sie im Mondlicht erkennen konnte. Ihre grobe Kleidung weckte in ihm den Eindruck von Nachtfaltern, deren pelzige Flügel weniger bunt und weniger ausgeformt sind als die der Tagfalter. Sie tauschten mit gedämpften Stimmen Erfahrungen aus. Oder erzählten aberwitzige Geschichten, von denen er auf die Kürze nichts aufschnappen konnte. Sie kauten Kräuter wie Franz, manche rauchten. Zwei, drei Frauen waren auch dabei. Da fiel ihm ein, dass er Oppermann mitteilen wollte den Anhänger wieder zu verkaufen.
„Der hat sich jetzt doch in den Bus gelegt“, teilte ihm Franz mit.
Es standen viele Autos an der Straße. Der Bus war wohl der letzte in der Reihe. Für den Fall, dass Oppermann schlief, wollte er ihm einen Zettel unter den Scheibenwischer stecken. Deshalb ging er ins Haus zurück und holte seinen Rucksack. Die Kräuter, die noch immer in der Hosentasche steckten, schob er in den Sack.
Der letzte Wagen in der Reihe war es auch nicht. Daran anschließend begann mit einem zweistöckigen Carport und dem zugehörigen Haus die Siedlung. Mark schaute auch da noch nach. Da stand ein Bus im überdachten Bereich, aber der war beschriftet. Durch die Scheibe spähend sah er blitzende Rohre und einen Schrank für Werkzeuge oder Ersatzteile. Das war ohne Zweifel der Werkwagen eines Installateurs. Von einem Sog gezogen ging Mark die Treppen hoch zum oberen Stock des Carports. Eigentlich konnte er sich nicht vorstellen, dass Oppermann hier geparkt hatte. Und doch, im oberen Stock stand der Bus, ohne Anhänger. Mark ging nach unten, um aus dem Rucksack, den er neben dem Treppenaufgang gelassen hatte, Zettel und Stift zu holen. Aber der Rucksack war nicht da. Obwohl er sich sicher war, ihn unten gelassen zu haben. Man kann sich ja täuschen, sagte er sich und ging wieder hoch. Zweimal ging er hoch und runter und konnte einfach nicht verstehen, wo der Rucksack geblieben war. Er fürchtete, die Leute zu wecken. Als er wieder hinunterkam, stand eine Frau bei der Treppe im Halbdunkel. Umständlich entschuldigte er sich.
„Es tut mir leid, dass ich hier mitten in der Nacht hoch und runter gehe. Aber oben steht der Bus eines Bekannten. Ich will ihm einen Zettel schreiben. Aber mein Rucksack ist weg.“
Die Frau fing an zu kichern. „Ich hab ihn“, sagte sie und lachte unverhohlen. Ihr Gesicht wirkte im Halbdunkel verlebt, die Schwellungen unter den Augen traten deutlich hervor.
Was für ein Scherz, mitten in der Nacht. Mark war sauer. Aber das schien sie noch mehr zu belustigen.
Und es war Gras drin“, rief sie und lachte laut, dass er fürchtete, die ganze Nachbarschaft würde zusammenlaufen. „Sie haben Gras im Rucksack.“
Mark glaubte, es mit einer Irren zu tun zu haben. Aber da fiel ihm ein, dass er von den Kräutern, die Franz ihm gereicht hatte, nur wenig gegessen und den Rest eingesteckt hatte. Im Rucksack waren nicht nur Zettel und Stift drin, sondern auch seine ganzen Papiere und sein Geld. „Kann ich ihn wiederhaben?“, fragte er vorsichtig.
Sie ging ihm voran zum Haus. Das war modern, aber unfertig und wirkte dadurch wie eine Ruine. Auf das Betätigen des Türklopfers ging die Türe auf. Eine junge Frau stand in der Öffnung mit einem rotbackigen Gesicht, wie dem ‚Tomi-Ungerer-Liederbuch‘ entsprungen. Offensichtlich war sie die Tochter der Humoristin, denn sie zeigte sich genauso erheitert. Lachend ließ sie ihn wissen.
Ich habe einen Freund, der isst auch Gras. Er heißt Schaman.“
Mark war nur an einem gelegen. Möglichst schnell von diesem Haus am Rand der Siedlung wegzukommen. Sobald er den Rucksack hatte, lief er davon. Aufs Zettelschreiben verzichtete er.
Als er sich später bei Oppermann über diesen nächtlichen Vorfall beklagte, meinte dieser lakonisch. „Was hast du anderes erwartet? Du bist ja ein Kind der Erde und nicht des Glücks.“ MLF

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