Dienstag, 10. April 2012

34 Renaissance kein Thema

Toni ging mit bangem Gefühl zu Bett. Was mochte wieder alles auf ihn einstürzen? Würde Mili zu ihm kommen? Hundert Skrupel trieben ihn um. Aber er schlief ohne Störung und Mili lag neben ihm, als er gegen drei erwachte. Ihr eines Auge war auf ihn gerichtet. Es schien ihm größer als sonst. Wie ein Reh, dachte er. Auch ihr Hals erschien ihm länger als gewöhnlich. Toni legte seine linke Hand auf ihre Brüste, die an der gewohnten Stelle waren. Da drehte sie mit zierlicher Bewegung erst den Kopf und dann den ganzen Körper ihm zu. Sie küssten sich intensiv und begannen eine wildes Liebesspiel.
Als Tonis Atem sich beruhigt hatte, begann Mili mit ihrer Geschichte. AS

Beim Gehöft hält er eine kleine Herde Rehe. Sie sind ihm einzeln zugelaufen. Nachts ist überraschend Schnee gefallen. Er geht hinunter zu schauen, ob sie genug zu fressen haben. Er tritt in die Koppel. Der Schnee ist nicht sehr tief. Die Tiere stoßen ihn mit den Hufen weg und fressen das freigelegte Gras. Da sieht René wie eines seinen Kopf tief in den Boden steckt. So tief kann der Schnee nicht sein, sagt er sich. Es muss in den Boden eingedrungen sein. René tritt näher, um zu sehen, ob da ein Loch ist. Das Tier richtet sich auf und sagt: „Ich fürchte, es muss etwas geschehen, die Leitung im Waschraum ist gebrochen.“
Er kann es kaum fassen. Sein Reh spricht und das mit so deutlichen, klaren Worten. Seit längerem unterhält er eine intensive Beziehung zu diesen Waldtieren und hat schon viel aus ihrem Gebaren gelesen. Aber dass eines ihn anspricht, ist bisher nicht vorgekommen. Er hat aber nicht die Zeit, lange darüber zu sinnieren. Da läuft tatsächlich ein Rinnsal durch die Wiese und lässt den Schnee schmelzen. Er bedankt sich beim Reh und rennt zum Gehöft hoch. Da kommt ihm gerade der Verwalter Peter entgegen.
„In der Rehkoppel läuft Wasser. Eine Leitung im Waschraum muss gebrochen sein“, ruft René und schnappt nach Atem. Wie er darauf gekommen ist, verschweigt er. Der Verwalter steht sowieso skeptisch der Rehhaltung gegenüber.
„Kannst du den Sanitär-Installateur verständigen? Ich dreh solange den Hahn ab“, bittet René.
Die Frau des Verwalters leert gerade die Waschmaschine und hat auch eine zweite Wanne mit Schmutzwäsche da stehen. Während René den Haupthahn abdreht, bittet er sie.
„Kannst du mit dem nächsten Maschinengang warten? Eines der Rohre leckt. Peter ruft gerade den Installateur.“
Ich muss jetzt hier die Wäsche aufhängen, sagt sie in einem Ton, der deutlich macht, dass sie sich gestört fühlt.
„Geht das nicht auch im Haus?“, fragt er. „Hier ist kein Platz. Gleich wird der Installateur kommen, um die Leitung zu reparieren. Sonst musst du warten, bis er die Leitung repariert hat.“
Brummend, den Korb mit der nassen Wäsche unterm Arm, verlässt sie den Raum.
Der Sanitär-Installateur, ein großer Mann, kommt in Begleitung eines ebenfalls sehr hochgewachsenen Mannes, dem Bäcker, daher. Sie haben sich wohl gerade in einem Gespräch befunden. Das könnte der Grund sein, warum der Bäcker dabei ist. Der Leitungsbruch gibt ihnen Anlass zu hochgeistigen Gesprächen wie sie René von einem Sanitär und einem Bäcker nicht erwartet hätte. Aber an diesem Tag scheint ja manches nicht in der gewohnten Bahn zu laufen – Mein Reh hat zu mir gesprochen, er kann es noch immer nicht fassen – Er hört heraus, dass ein unerlaubter Satz über die Renaissance zu diesem Rohrbruch geführt habe. René vermutet, dass sie sich wohl nicht ganz aus dem davor geführten Gespräch haben lösen können und dieses versehentlich mit dem Vorfall durcheinander bringen. Er fragt mit skeptischem Unterton.
„Was für ein Satz, könnte das gewesen sein?“
Der Installateur zieht den Zettel, auf dem er gerade eine Notiz gemacht hat, heraus und liest:
1942 ermordet. Nach Atlantica. Und jetzt hier.
„Halt“, ruft René, „das hat neulich mein Mentor zu mir am Telefon gesagt.“
„Aha, da haben wir ja das Problem“, brummt der Installateur und kratzt sich am Kopf. „Wie heißt dein Mentor?“
René hebt die Schultern. „Da bin ich überfragt. Ich kenne ihn nur vom Telefon.“
„Hast du wenigstens seine Nummer?“
René schüttelt den Kopf. „Er ruft mich an.“
Der Installateur streckt die Hand aus. René reicht ihm sein Handy. Er blättert die einkommenden Anrufe durch.
„Wann hat er diesen Satz gesagt?“
René denkt nach. Es ist beim Ausflug mit den Berufsschülern gewesen, im Schienenbus. Nachdem ihn der Hüne von einem Jungen bedroht hat. „Vor drei Tagen.“
„Um welche Uhrzeit?“
„Gegen Abend, so zwischen fünf und sechs.“
„Unbekannt. Habe ich mir schon gedacht. – Aber das werden wir rausfinden. – Ist ja nicht weiter schlimm. Du hast es ja bemerkt. Wichtig ist, dass du das für dich behältst. Sonst haben wir bald überall Brüche im geschlossenen Kreislauf.“ MLF

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