Montag, 26. März 2012

29 Der Zug des Herzens i

Durch ein Labyrinth aus Hecken irrt Toni. Er geht und geht und kommt doch nie ans Ziel. Zwischendurch hört er fremdartige Laute. Doch wenn er stehen bleibt und horcht, sind die Rufe schon verhallt und er fühlt sich noch orientierungsloser als zuvor. Schließlich landet er in einer Sachgasse, die den Zuschnitt eines Zimmers hat. Die Mitte nimmt eine breite, niedere Hecke ein. Sie ist wie ein Bett geformt. Er kann nicht mehr und legt sich darauf. Das Bett ist ziemlich piksig, doch die Erschöpfung zieht ihn in den Schlaf. In dem Moment wacht er in seinem wohlig weichen Bett auf – endlich erlöst. Doch dann sieht er, dass Mili nicht da ist. Die ganze Einsamkeit des Labyrinths umklammert ihn von neuem. Da entdeckt er ihr Ohr. Es ragt aus der Decke hervor, hinter der sie sich versteckt hält. Vom Glück der Befreiung überwältigt fällt ihr Toni in die Arme und sie lieben sich. Anschließend erzählt ihm Mili die folgende Geschichte. AS

In einer Nische aus Stellwänden schneidet er Plattenstücke auf Maß. Die Längen und Breiten, die zu sägen sind, werden per Digitalanzeige im oberen Bereich der vorderen Stellwand übermittelt. Es sind fünf Maß-Paare, die aufleuchten. Wenn er ein Stück zugeschnitten hat, löscht er dessen Maße per Knopfdruck und ein neues Paar wird unten dazugefügt. Er zieht die nächste Platte vom Rollwagen auf die Maschinenfläche. Von mehreren Saugnäpfen wird sie mittels Luft-Unterdruck fixiert. Je nach Ausrichtung tippt er erst das Längsmaß oder das Quermaß ein. Zwei rotierende Sägeblätter bewegen sich gleichzeitig, das eine besäumt, das andere schneidet auf Maß. Ein Hörschutz ist für eine solche Arbeit unverzichtbar.
Auf Einladung von Intrade (international trade and design) arbeitet Erduan vorübergehend in einem großen Produktionswerk in Frankreich mit. Nachdem sie ihm mit der Reise durch Japan ein solch tolles Erlebnis beschert haben, hat er nicht gewagt, diese Forderung abzulehnen.
„Aber wissen Sie, das sind monotone Tätigkeiten“, hat der Product Manager gesagt.
„Ich bin mir dessen bewusst“, hat Erduan darauf entgegnet und leer geschluckt.
Trotzdem ist er einmal mehr davon betroffen, was es heißt, Tag um Tag Stückzahlen zu machen. Schon bald ist die Vorstellung von dem, was aus diesen Teilen, die er da auf einen halben Millimeter genau ablängt, einmal werden soll, verschwunden. Da die Maße nicht immer zu den Platten passen, häuft sich im Eck seiner Nische ein ganzer Berg von Plattenresten an. Nach drei Seiten hin ist er an seiner Maschine abgeschirmt. Nur nach links nimmt er wahr, in was für einer riesigen Schreinerei er arbeitet. So langsam sollte er wissen, was mit den Resten zu tun ist. Da sind einige Arbeiter in seiner Nähe – hauptsächlich Ausländer. Aber er glaubt nicht, dass einer von ihnen ihm Auskunft geben kann. Dann kommt die Durchsage:
„Abschnitte entsorgen!“
Nun gut, wenn die das so anordnen. Mir soll es recht sein, sagt er sich erleichtert.
Als er in der Arbeitspause den Product Manager trifft, der ihm diese Arbeit ermöglicht hat, sieht er die Gelegenheit gekommen, mehr davon zu erfahren, woran er mitarbeitet. MLF

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