Er konnte nicht
einschlafen. Seine rechte Hand zitterte. Wie würde Mili sich verhalten, wenn
sie bemerkte, dass jemand mit im Zimmer war? Sein jüngerer Cousin besuchte ihn
überraschend, war die ganze Strecke mit dem Fahrrad gekommen. Er hätte ihn
unmöglich am gleichen Tag nach Hause schicken können. Also schenkte er ihm
klaren Wein ein. „Heute Nacht wird eine Frau kommen. Wenn du nicht
mucksmäuschenstill bist, warst du das letzte Mal mein Gast.“ Der junge Mann
lief puterrot an, seine Augen glänzten. Dann schlief Toni doch ein. Als er
erwachte, glaubte er, eine Geisha säße neben ihm. Ein Stück Vorhangstoff als
wallendes Gewand drapiert, das Haar hochgesteckt, die Nase flacher als sonst,
die Augen schlitziger – was für eine Verwandlungskünstlerin. Als würde sie es
darauf angelegen, bei dem jungen Mann den Sinn für weibliche Schönheit zu
wecken, ließ sie den Stoff langsam fallen, drehte sich umständlich nach links
und nach rechts, damit er im Schein des Stadtlichts auch gewiss ihre schönen
Konturen sah. Dann erst schlüpfte sie zu Toni und gehörte ihm ganz. Ihm schien
aber, dass Mili etwas weniger laut war als sonst. Beim Frühstück musste Toni
seinen Cousin nur anschauen, da wusste er, dass dieser im entscheidenden Moment
nicht geschlafen hatte.
Doch natürlich hatte Mili
auch eine Geschichte erzählt. AS
Die japanische Consultin lud Erduan zu einer Erlebnisfahrt durch
Japan ein. Für ihn als Bewunderer von Stil und Künsten Nippons ging damit ein
langjähriger Traum in Erfüllung. Dass ihn dabei Peter, sein früherer Kamerad
bei der Werkausbildung, begleitete, ergab sich durch einen Zufall.
Erduan, ganz glücklich mit seiner Entscheidung für Wood-Spots,
der einfacheren Lösung für sein neues Arbeitsfeld [22, Modernes Studio bei
Staus] erhielt am frühen Abend Besuch in der Falterstraße. Als er auf das
Klingeln die Tür öffnete, stand ihm Peter, sein alter Werkkamerad, gegenüber.
„Peter, ja so eine Überraschung, komm rein.“
„Ich habe gehört, dass du im Land bist, sagte dieser zögernd. Da
habe ich gedacht, ich schau mal vorbei. Du machst dich ja ziemlich rar
inzwischen.“
Sie drückten sich die Hand.
Erduan schenkte Peter gerade ein Bier ein, als die Japanerin
anrief. Peter ging solange ans Fenster. Als Erduan sich wieder zu ihm gesellte,
wies Peter auf den Hügel am Horizont. „Das ist die Achalm und dahinter liegt
Pfuhlen, wo wir wohnen.“
Wenn Erduan auch nur wenig Austausch mit seinem früheren Kamerad
pflegte, so wusste er doch, wo er sich niedergelassen hatte und dass er dort
bei einer Firma die Produktion überwachte. Er entschuldigte sich. „Das ist ein
wichtiger Anruf gewesen. Die Frau hat von weither angerufen. Ich habe sie nicht
auf später vertrösten können. – Und wie geht es dir? Was macht Jeanette und die
Kinder – warte, Nadine und Philippe?“
„Nadia“, korrigierte Peter. „Ja, die beiden schlagen sich ganz
wacker, nur dass man sie kaum noch sieht. Aber ist ja besser so, als wenn sie
keine Freunde hätten.“
„Und die Produktion – ein neues Programm?“, fragte Erduan weiter.
Peter gab Antwort, aber irgendwie schien er verstimmt. Es
entstand eine Pause, die Erduan nicht richtig einzuschätzen wusste. Sein
Kamerad hatte etwas Gewicht zugelegt. Kein Wunder, wenn man alles erreicht
hatte, Familie, eigenes Haus, solider Job.
Nach einer Weile stieß Peter hervor. „Irgendwie finde ich das
ungerecht. Du bist erst in Sibirien, dann in China, fliegst mal kurz nach Hause
und jetzt wirst du auch noch nach Japan eingeladen. Während ich das ganze
Jahr…“
„Aber, ihr fährt doch jeden Sommer ans Meer. Und warst du nicht
letzten Winter beim Skifahren?“, unterbrach ihn Erduan.
„Ja, schon, aber…“
„Was aber? Glaubst du, dass ich in diesen Ländern auf
Abenteuerreise bin?“, rechtfertigte sich Erduan. „Gerade hänge ich total in der
Luft. Was ich denen vorgeschlagen habe und wofür ich verdammt nochmal ein
halbes Jahr lang auf Trab war, haben sie die Gass runter geschoben. Und jetzt
wollen sie etwas, von dem ich noch nicht mal ne Vorstellung habe. Na, stimmt
nicht ganz, langsam nimmt es Konturen an. Ich will nicht jammern, aber ich
möchte dir verständlich machen, dass ich nicht aus Spaß reise, zu diesen
verschiedenen Plätzen in der Welt.“
„Aber das, wovon ihr gerade am Telefon gesprochen habt, hat sich nach
Urlaub angehört oder nicht?“, beharrte Peter.
Erduan schluckte. Er war nahe daran zu sagen, das geht dich
nichts an. Aber eigentlich sollte er sich doch freuen, dass Peter Interesse
zeigte und nicht wie ein Dörfler (der negativen Art) alles ausblendete, was
mehr als zehn Kilometer entfernt lag. Er fasste sich und ließ Peter an seiner
freudigen Überraschung teilhaben. „Die Frau ist wirklich eine Glückskarte für
mich. Erst hat sie mich aus dem Dreck gezogen, indem sie mir ein neues Projekt
angeboten hat und jetzt lädt sie mich auch noch nach Japan ein. Du musst
nämlich wissen, dass ich ein Japanophiler bin.
„Japan“, stieß Peter hervor, „Japan“. MLF
…
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