…
Auf dem Weg quer durch Echazstadt stand ihm fortwährend dieser
Heiratszug vor Augen. Irgendwie beunruhigte ihn, was er gesehen hatte. Da hat
einer eine wunderschöne Braut und kommt doch nicht voran. Geschieht ihm Recht, dachte
er, der ist dieser Braut eh nicht gewachsen.
Vor dem Aufnahmezimmer in der Agentur musste er kaum warten.
Schon saß er im Zimmer der Beraterin gegenüber. Das war doch mal ein gutes
Zeichen. Weniger angenehm war, wie sie ihn mit ihren Augen abscannte. Er konnte
ihre Blicke förmlich lesen: Hat der ein Alkoholproblem? Nimmt er womöglich
Drogen? Ist er geistig unterbelichtet? Leidet er an Depressionen? Ihre Augen
trafen ihn wie Laserstrahlen und die Lippen hatten die Spannung von Federstahl.
„Haben Sie denn keine Arbeit?“, fragte sie schließlich.
„Doch, schon“, antwortete Tommy und um wenigstens ihre letzte
Vermutung zu entkräften, legte er extra Feuer in seine Stimme. „Ich arbeite
schon seit mehreren Jahren in der gleichen Firma und bin dort so unentbehrlich,
dass sie mir nicht mal erlauben, nebenher zu jobben. [Keine Aushilfen, 05.02.] Aber
leider können sie ihre Mitarbeiter noch nicht bezahlen, weil es eine Firma im
Aufbau ist.“
Die Sachbearbeiterin schaute ihn fassungslos an. Er schwieg betreten.
„Dass Sie soziale Unterstützung nur bekommen, wenn Sie keine
Arbeit haben, dürfte Ihnen bekannt sein, oder?“ Der Satz war so messerscharf
gesprochen, dass Tommy unwillkürlich zurückwich.
„Wie meinen Sie?“, fragte er verdutzt.
„Wie ich’s sage. Wer arbeitet hat keinen Anspruch auf soziale
Hilfe.“
„Aber ich verdiene…“, er brach den Satz ab.
Die Frau reichte ihm seine Papiere, mit den Worten. „Ihre Daten
sind erfasst. Melden Sie sich wieder, wenn sie keinen Job mehr haben. Dann werden
wir Ihnen einen besorgen. Brot verkaufen oder Gemüse schälen, werden Sie ja
wohl können.“ Sie wandte sich zur Seite und drückte auf den Knopf. Die Tür
sprang auf, der nächste kam herein.
Tommy trat zur Seite und schaute auf den Hereinkommenden. Ein
dunkler Mann, etwas dicklich. Ah, jetzt wusste er, wem er ähnlich sah. Jener
rührige Mann, der sich im Krankenhaus anstellen ließ, um seine Angebetete, die
ins Koma gefallen war, pflegen zu können. Der Regisseur fiel ihm nicht ein,
aber dieses Mal immerhin der Titel ‚Sprich mit ihr‘.
Tommy hatte, während er durch die Tür in den Flur hinaus trat,
mit Tränen zu kämpfen. Er war nicht rührselig. Aber dieses Gespräch hatte ihn
jetzt doch etwas kalt erwischt. Seine Arbeit aufgeben. Niemals. Lieber würde er
Hungers sterben. Aber als sei der Teufel im Spiel, meldete sich just in diesem
Augenblick sein Magen, der ihn daran erinnerte, dass Jella zu Mittag kochen
würde und sie ihm noch gesagt hatte, er solle anrufen, wenn er nicht
rechtzeitig zurück sei. Er musste die Uhr näher halten, weil sein Blick
verschleiert war. Doch, wenn er sich beeilte, schaffte er es noch. MLF
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