Freitag, 16. März 2012

24 Brautzug im Schutz des hotel de ville j

Auf dem Weg quer durch Echazstadt stand ihm fortwährend dieser Heiratszug vor Augen. Irgendwie beunruhigte ihn, was er gesehen hatte. Da hat einer eine wunderschöne Braut und kommt doch nicht voran. Geschieht ihm Recht, dachte er, der ist dieser Braut eh nicht gewachsen.

Vor dem Aufnahmezimmer in der Agentur musste er kaum warten. Schon saß er im Zimmer der Beraterin gegenüber. Das war doch mal ein gutes Zeichen. Weniger angenehm war, wie sie ihn mit ihren Augen abscannte. Er konnte ihre Blicke förmlich lesen: Hat der ein Alkoholproblem? Nimmt er womöglich Drogen? Ist er geistig unterbelichtet? Leidet er an Depressionen? Ihre Augen trafen ihn wie Laserstrahlen und die Lippen hatten die Spannung von Federstahl.
„Haben Sie denn keine Arbeit?“, fragte sie schließlich.
„Doch, schon“, antwortete Tommy und um wenigstens ihre letzte Vermutung zu entkräften, legte er extra Feuer in seine Stimme. „Ich arbeite schon seit mehreren Jahren in der gleichen Firma und bin dort so unentbehrlich, dass sie mir nicht mal erlauben, nebenher zu jobben. [Keine Aushilfen, 05.02.] Aber leider können sie ihre Mitarbeiter noch nicht bezahlen, weil es eine Firma im Aufbau ist.“
Die Sachbearbeiterin schaute ihn fassungslos an. Er schwieg betreten.
„Dass Sie soziale Unterstützung nur bekommen, wenn Sie keine Arbeit haben, dürfte Ihnen bekannt sein, oder?“ Der Satz war so messerscharf gesprochen, dass Tommy unwillkürlich zurückwich.
„Wie meinen Sie?“, fragte er verdutzt.
„Wie ich’s sage. Wer arbeitet hat keinen Anspruch auf soziale Hilfe.“
„Aber ich verdiene…“, er brach den Satz ab.
Die Frau reichte ihm seine Papiere, mit den Worten. „Ihre Daten sind erfasst. Melden Sie sich wieder, wenn sie keinen Job mehr haben. Dann werden wir Ihnen einen besorgen. Brot verkaufen oder Gemüse schälen, werden Sie ja wohl können.“ Sie wandte sich zur Seite und drückte auf den Knopf. Die Tür sprang auf, der nächste kam herein.
Tommy trat zur Seite und schaute auf den Hereinkommenden. Ein dunkler Mann, etwas dicklich. Ah, jetzt wusste er, wem er ähnlich sah. Jener rührige Mann, der sich im Krankenhaus anstellen ließ, um seine Angebetete, die ins Koma gefallen war, pflegen zu können. Der Regisseur fiel ihm nicht ein, aber dieses Mal immerhin der Titel ‚Sprich mit ihr‘.
Tommy hatte, während er durch die Tür in den Flur hinaus trat, mit Tränen zu kämpfen. Er war nicht rührselig. Aber dieses Gespräch hatte ihn jetzt doch etwas kalt erwischt. Seine Arbeit aufgeben. Niemals. Lieber würde er Hungers sterben. Aber als sei der Teufel im Spiel, meldete sich just in diesem Augenblick sein Magen, der ihn daran erinnerte, dass Jella zu Mittag kochen würde und sie ihm noch gesagt hatte, er solle anrufen, wenn er nicht rechtzeitig zurück sei. Er musste die Uhr näher halten, weil sein Blick verschleiert war. Doch, wenn er sich beeilte, schaffte er es noch. MLF

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