Montag, 19. März 2012

25 Das Haus in Semperach j


„Na, wie ist euer Stück gewesen?“, fragt Martina, als sie zurück sind im Haus an der Mauer.
Jasmus schaut Oli fragend an. „Gut, sehr gut“, entgegnet dieser. „Na ja“, stößt Jasmus hervor. „Solange es hell gewesen ist, habe ich’s ja ganz gut gefunden. Aber danach ist es mir zu anstrengend geworden. Am Schluss habe ich gar nichts mehr mitgekriegt. Ich weiß nicht, warum die auf die Theaterbeleuchtung verzichten.“
„Das ist doch gerade das Besondere“, fällt ihm Oli ins Wort, „ein natürliches Spiel ohne all dieses künstliche Zeug.“
Jasmus schweigt. Er kennt Oliver lange genug. Über die Jahre werden Beziehungen zu einem Getriebe. Jeder stellt ein Rädchen dar, dessen Funktionsweise man genau kennt (Darum ist es auch so heikel, wenn eines plötzlich anders dreht). Wenn Oli diesen Ton draufhat, kommt man eh nicht gegen ihn an. Das weiß er. Aber das sind kleine Sorgen, er kennt sie ja, seine Pappenheimer. Was ihm dagegen richtig Kummer bereitet, sind die Tiere.
Sie haben ein neues Tier in der WG. Eine Maus ist ihnen zugelaufen, so groß wie ein Meerschweinchen. Sie beansprucht extrem viel Aufmerksamkeit. Dadurch sind die Katze und der Hase etwas ins Hintertreffen geraten. Als Jasmus die beiden zu sich nimmt, um ihnen ein paar Streicheleinheiten zu geben, stellt er Bissspuren an ihrem Fell fest. Komisch, das ist neu, die werden sich doch nicht plötzlich streiten, nachdem sie sich all die Jahre so gut vertragen haben. Als er sie näher untersucht, sieht er, dass sie richtig angefressen sind. Schrecklich. Aber er wird abgelenkt.
Ruben und Ingrid treffen jetzt doch noch ein. Er hört, wie sie unten die Tür öffnen und in die Küche treten. Er geht nach unten.
„Ist euch am Hasen und an der Katze etwas aufgefallen?“, fragt er, statt einer Begrüßung.
Sie schauen ihn befremdet an. Haben wohl mit einem anderen Empfang gerechnet oder sind von der langen Fahrt noch benommen.
In dem Moment fällt ihm ein, wer hinter diesen Bissspuren stecken könnte – die Maus. Es muss diese Maus sein, die sich hier in den Mittelpunkt drängt und sich bei allen einschmeichelt. Er will aber kein vorschnelles Urteil fällen. Er weiß ja, dass Katzen und Hasen auch keine Lämmer sind. Er nimmt sich vor wachsam zu sein. Aber er muss nicht lange warten. Schon beim Frühstück am nächsten Morgen, als alle ihr Brot kauen und ihren Kaffee schlürfen, sieht er, wie die Maus in einem unbeobachteten Moment blitzschnell den Hasen anfällt und sich wieder auf ihren besonderen Platz begibt, als wäre nichts gewesen.
„Da, jetzt hab ich’s gesehen“, ruft er laut aus. „Die muss jetzt weg, ich habe sie ertappt.“
Es dauert eine ganze Weile, bis die andern verstehen, wovon er redet. Keiner will an Katze und Hase auch nur einen Kratzer gesehen haben. Aber schließlich sind sie doch recht betroffen und glauben ihm sogar, als er schildert, wie die Maus vorgegangen ist. Doch als er eine Kiste holt und die Maus hineinsteckt, gibt es ein großes Hallo.
„Was, das arme Tier!“ „Gerade eine Maus, die so gefährdet ist.“ „Sieh doch, was für ein schönes Tier.“ „Die werden sich schon arrangieren. Hase und Katze müssen sich halt wehren.“ Und viele Einwände mehr, jeder am Tisch findet seinen eigenen Grund, warum dieses Tier nicht ausgesetzt werden darf. Oli bietet an, sie in seinem Zimmer zu halten. Martina droht, dass sie den Tierschutzbund anruft, wenn er nicht…
Jasmus, den all diese Argumente nicht überzeugen, versucht es auf eine neue Weise:
„Das ist rührend von euch. Und wer weiß, vielleicht würden sich die drei sogar eines Tages vertragen. Aber eine Maus, die stark genug ist, es mit einem Hasen und einer Katze aufzunehmen, braucht die Freiheit. Sie wird sich dort auch behaupten können. Wir müssen ihr unbedingt die Freiheit wiedergeben.“
Endlich willigen sie ein.
Er wirft sich eine Jacke um und fährt gleich los, bevor es sich jemand anders überlegt. Diese Tiere sind ziemlich klug, das weiß er. Deshalb fährt er bis hinter Wohlhusen. Dort, denkt er, wird sie ein anderes nettes Plätzchen finden. MLF

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