Freitag, 16. März 2012

24 Brautzug im Schutz des hotel de ville i

Als Toni aufwachte und Mili neben sich sah, in ihrem Glanz und ihrer Schönheit, kam er sich wie ein kleines Würmchen vor. Tatsächlich war sie viel stattlicher als er. Es war ihm sonst nicht so ins Auge gestochen. Dafür jetzt umso stärker. Er fühlte sich nicht in der Lage ihr beizuwohnen. Irgendwann, wenn der mildernde Schleier der Liebe verflogen war, würde sie sehen, was für ein Pimpf er war und würde nicht wiederkommen. Nein, diese Nacht ging es nicht.
Er stöhnte, als würde er noch schlafen, drehte sich von ihr weg und zog den Kopf unter die Decke. Aber Mili war nicht zu täuschen. Sie verstand es als ein Versteckspiel. Plötzlich war da keine Decke mehr. Offenbar war der Liebesschleier noch sehr dicht, denn sie war ganz verrückt nach ihm.
Darauf erzählte sie ihm die folgende Geschichte. AS

„Glaub ja nicht, dass die dich in Ruhe lassen“, bemerkte Jella skeptisch, als Tommy ihr voller Begeisterung berichtete, er werde Unterstützung bei der Kommune beantragen. [Abrigator, 08.03.]
„Wieso?“, entgegnete er ernüchtert, „du gönnst mir ja nur nicht, dass ich unabhängig werde.“
„Unabhängig? Unabhängig mit sozialer Hilfe? Da glaubst du ja selber nicht dran“, sagte sie schroff.
Enttäuscht ging er nach oben. Typisch für die ältere Schwester. So langsam übernahm sie die Mutterrolle, mäkelte dauernd an ihm rum und wollte ihn doch nicht in die Freiheit entlassen. Nein, er hatte jetzt genug von diesem engen Haus [Trommeln, 06.03.]. Wenn er die Unterstützung bekam, würde er sich eine schöne Einzimmerwohnung mieten. Am liebsten mit Dachterrasse und Blick auf den Marktplatz.
Vor dem Gang zur Agentur, in deren Obhut die soziale Hilfe neuerdings lag, musste er noch beim Rathaus vorbei, um die Wohnbestätigung abzuholen. Das Rathaus war auf zwei Seiten von Arkaden umgeben, gestützt auf schlichte Pfeiler. Auch bei Regenwetter konnte man trockenen Fußes zum Eingang diagonal gegenüber gelangen. Als er unter die Arkaden trat, beobachtete er einen Heiratszug. Eine wunderschöne Frau in Weiß mit langer Schleppe. Der Mann neben ihr wirkte eher wie die Karikatur eines Bräutigams. Er versank in einem schwarzen Zweiteiler, den er sich wohl von einem stattlichen Freund ausgeliehen hatte. Etwa zwei Dutzend Verwandte und Freunde begleiteten sie. Tommy blieb eine Weile stehen und starrte auf das ungleiche Paar und die Gruppe. Sie kamen kaum voran. Aus unerkenntlichem Grund bewegten sie sich im Zeitlupentempo. Er löste sich und ging zum Meldeamt. Als er zurückkam, hatte der Heiratszug noch nicht mal den Knick vorne nach links geschafft. Wenn die weiter so trödeln, dachte Tommy, wird das Standesamt geschlossen sein, bevor sie eintreffen. Er wartete noch eine Weile, aber da bewegte sich nichts. Dann riss er sich los, um nur ja nicht den Termin bei der Agentur zu verpassen. MLF

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