Dienstag, 14. Februar 2012

10 Wie in einem Roman von ... j


Er hatte plötzlich den Eindruck, sie befänden sich in einem Roman von H. Mukamari, diesem Künstler, bei dem man nie wusste, ob das, was man las, real war oder nicht. Er erinnerte sich, dass in dem Roman ein Verbrechen geschah. Dieser Junge wird das Mädchen umbringen, glaubte  er und erschrak gleichzeitig ob seinen Gedanken. Es war wirklich ein saublödes Gefühl.
Der Junge schien jedoch ganz unbekümmert und wies auf den zweiten Wohnblock in der Kette der Wohnfabrik hin. "Da bin ich untergebracht", sagte er freimütig, "und ab und zu darf ich zu meiner Familie."
Aha, dachte Jasmus, er ist also dort untergebracht. Ein Verbannter. Wie er selber ja eigentlich auch. "Und wie alt bist du?", fragte er gerade heraus, um in diesem unsicheren Punkt Klarheit zu bekommen.
"Im Jahr ... in Heimen geboren", kam als knappe Antwort.
Jasmus glaubte nicht recht zu hören. Genau so alt wie er und auch noch im selben Ort zur Welt gekommen. Das war es wahrscheinlich, was ihn an diesem Mann so befremdete. Er war nicht gealtert. Das konnte nur vom Dahinvegetieren in einem solchen Wohnblock herrühren, zum Nichtstun verdammt. Mit seinem aufgeschwemmten Vollmondgesicht und den tapsigen Bewegungen wirkte er noch immer wie ein Kind.
Jasmus fiel wieder der Roman ein. Jeden Moment konnte etwas Grausiges geschehen. Er wusste, dass er daran nichts ändern konnte. Er könnte höchstens aufhören sich zu erinnern- Aber die Geschichte würde dadurch nicht gelöscht. Wenn es ihm dagegen gelang, sie wachzurufen, so würde ihn das Schreckliche nicht ganz so unerwartet treffen. Sie betraten das hohe Gebäude, in dem Jasmus wohnte und stiegen durch das schwach beleuchtete Treppenhaus hoch.
Das Verbrechen war ziemlich am Anfang verübt worden. Ansonsten hatte er den Roman als eher aufbauend in Erinnerung. Aber das war eine echte Tortur. Er erwartete, dass dieser Junge das Mädchen tötete. Aber wie? Im Geist sah er einen Schlagring vor sich. - Mit einem Schlagring? In seinem Beisein? - Grauenhaft. Wie würde er nachher vor ihre Eltern treten? Schweiß rann ihm von der Stirn. Ändern konnte er nichts.
Auf einer der Zwischenstufen machten sie Rast. Leute hatten alte Stühle und Müll hinterlassen. Er und das Mädchen setzten sich. Der Junge nicht, der ging weiter.
Nach einer Weile kam er zurück, ganz aufgeräumt, munter, wie ihm Jasmus nicht zugetraut hätte. "Ich habe in vier Sekunden..."
Was hast du?
Er drängte Jasmus ihm zu folgen. Er müsse unbedingt kommen.
Ihm war nicht wohl dabei. Vielleicht war das eine Falle, um ihn vom Mädchen wegzulocken. Andererseits wollte er ihm den Wunsch nicht abschlagen, da er so gut drauf war. Verändern konnte er sowieso nichts, der Roman war längst geschrieben. Vier Sekunden hörte sich nach einer super Zeit an. MLF

Und, ist das alles?, fragte ich verwundert. Sie sah mich auffordernd an, als wollte sie sagen: Du hast doch den Roman gelesen, erinnerst du dich nicht, Toni?
Nein, ich kannte ihn nicht. Und ich war sogar froh darum. Das Schreckliche war noch nicht eingetreten. Ich konnte mir eine schönere Wendung ausdenken. Zum Beispiel, dass der Junge durch eine Entdeckung, die er gemacht hatte, plötzlich gereift war und das Mädchen heil nach Hause kam. AS

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