Obwohl
ich die halbe Nacht wachlag, bemerkte ich nicht, wie Mili zu mir schlüpfte. Ich
erschrak und glaubte ein toter Körper liege neben mir. Aber dann drehte sie mir
den Kopf zu und lachte. Ich blieb bedrückt und fragte sie:
„Was ist
es denn, was uns nachts wachhält?“
„Chommer
ond Stouz“ (Kummer und Stolz), kam prompt von ihr.
Ich
musste lachen. Nicht, weil ich, was sie sagte, so komisch fand, sondern weil es
so fremd anmutet, wenn sie Schwizerdütsch spricht. Meistens trifft sie's
nämlich nicht genau.
Dann
berührte sie mich und ich wurde sofort fest. Nach dem Akt berichtete sie mir
die folgende Story von Tommy. AS
In
einem Schuppen unterhalb der Ortschaft hält sich Tommy auf, als er
es erfährt: „Der große Schriftsteller ist tot.“
Das
darf doch nicht wahr sein. Jetzt haben die Kinder erst die Mutter
verloren, und jetzt auch noch den Vater. Vor Schmerz lässt er sich
auf den Boden fallen und windet sich auf dem feuchten Lehm, ob der
Unbegreiflichkeit der Existenz. Er versucht sich die Kinder vor Augen
zu rufen, kommt aber nur bis zum Ältesten, Franz. Oh, wie wird der
sich die Haare raufen und den Eltern nachtrauern. Ich muss unbedingt
zur Beisetzung, fährt ihm durch den Kopf. Also rafft er sich auf,
rennt raus und ruft Georg nach, der mit dem Fahrrad schon oberhalb
der Kurve, die sich um Tommys Schuppen zieht. „Holt mich ab. Ich
möchte mit zur Beisetzung.“
„Also,
wir holen dich ab, kurz nach Mittag“, ruft der Freund zurück.
„Aber mach dich schön und zieh dir was Ordentliches an.“
Das
Leben in einem Schuppen ist unvergleichlich anstrengender als in
einer Wohnung. Deshalb hielten ihn viele für einen Penner, seit er
auf den Luxus verzichten musste. Aber wenn es darauf ankam, konnte er
sich schon richten. Die Kleider aus besseren Zeiten hatte er in
Plastik gehüllt aufgehängt, um sie vor der Witterung zu schützen.
Da ist auch der Anzug mit dabei, den er zur Beisetzung seines Vaters
getragen hat. Auf dem Gaskocher erhitzt er Wasser und mischt es in
einem Plastikeimer zur richtigen Temperatur. Erst wäscht er sich die
Haare, dann mit einem Lappen den Körper und schließlich die Rasur.
„Du
hast dich aber fein gemacht“, sagt Georg anerkennend, als er sich
zu ihm hinten in den Wagen setzt.
Im
Auto läuft das Radio. Es ist Radio drs. Tommy spitzt die Ohren, als
die Nachricht kommt: „Ein großer Schweizer Schriftsteller“, hört
er, „ein Ereignis vergleichbar, als Hermann Hesse in Montagnola
starb.“ Und etwas später: „In der Stadt Mumbay, in der er einen
beachtlichen Teil seines Lebens verbracht hat, sind, ihm zu Ehren,
alle Museen frei zugänglich, heute.“
Im
Friedental ankommen, sind sie noch zu früh dran. „Komm, wir gehn
in die Kneipe“, sagt Georg, „ich lad dich ein.“
Tommy
wehrt ab. Er will lieber ein paar Schritte gehen, um bei seinem
verstorbenen Freund zu sein. Als er über einen Kiesweg an eine
Kuhweide kommt, setzt er sich auf einen Grasbüschel und denkt nach.
Das mit Bombay wundert ihn schon. Dass sein Freund eine so enge
Beziehung zu dieser fremden Welt gehabt hat, ist ihm nicht bewusst
gewesen. Von der schockierenden Nachricht, der langen Fahrt und einer
schlechten Nacht im zugigen Schuppen überkommt ihn plötzlich eine
bleierne Müdigkeit. Er legt sich zur Seite und fällt augenblicklich
in einen tiefen Schlaf.
Als
er erwacht, streift ihm etwas über die Wangen. Er nimmt einen Jungen
war, der in jeder Hand eine tote Maus hält und sie ihm durchs
Gesicht streicht. Tommy zürnt, aber er ist nicht in der Lage sich
aufzurichten. Alles was er vermag, ist die rechte Hand zu heben. Die
legt er dem Jungen um den Kopf, um ihn weg zu drängen. Dabei nimmt
er ein Geschwür am Hinterkopf wahr. Eigentlich sollte ich mit diesem
Jungen Mitleid haben. Einer, der alle nervt, wird gewiss nicht
geliebt, sagt er sich. Die Frage, wie er sich dem Jungen gegenüber
verhalten solle, erübrigt sich allerdings. Bis er endlich hochkommt,
ist dieser längst verschwunden. MLF
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