Montag, 30. Januar 2012

Das Bad im Grand Hotel i

Sie möchten vielleicht wissen, wie ich, Toni Saibel, Mili zum ersten Mal begegnet bin. Welcher Zufall uns zusammengeführt und mir zum Glück verholfen hat, ihr Sekretär zu sein – wenn man das ein Glück nennen will. - Ich weiß nicht mehr, welche Begegnung die erste war. Aber eine bleibt mir in besonderer Erinnerung, weil sie ihr Fischkleid trug. Davon möchte ich berichten.
Als Kind war ich häufig mit meinen Eltern und Geschwistern in einem Grand Hotel im Bündner. Wir waren nicht im Hotel selber – das hätten sich meine einfachen Eltern nicht leisten können – sondern in dem großen, dazu gehörigen Bad, das öffentlich zugänglich war. Allerdings nicht ohne Gebühr. Meine Mutter hat mir später erzählt. Wir Kindern hätten uns da wie Fische im Wasser gefühlt. Deshalb habe mein Vater noch etwas härter gearbeitet, damit wir uns diesen Luxus leisten konnten.

An einer gewundenen Straße, durch ein Viertel in besonders schöner Hanglage, hatte ich in meinem Beruf als Reparateur von sanitären Anlagen in zwei Häusern zu tun. Die Reparaturarbeiten waren schneller abgeschlossen als gedacht. Ich fuhr die Straße weiter in Erwartung einer Wendeplatte, als ich plötzlich auf das Grand Hotel stieß, in dessen Bad wir uns als Kinder vergnügt hatten. Merkwürdig, es stand noch immer in alter Größe da, hatte aber seinen Glanz verloren. Es dauerte eine Weile bis ich bemerkte, woran es lag. Das Hotel war nicht mehr in Betrieb.

Ja, und was ist aus dem Bad geworden?, war meine bange Frage. Der Traum meiner Kindheit, der Ort, wo wir die schönsten Stunden verbracht hatten. Nur noch leere Becken und zerfallene Räume?

Der Zugang zum Bad war tiefer gelegen. Wir waren – so viel erinnerte ich mich – außen herum die Treppen hinab gestiegen. Drinnen hatte uns ein Badewärter von seiner Theke aus kritisch geprüft. Er hatte uns wohl für eine der Familien gehalten, die keine Badewanne hatten und deshalb das öffentliche Bad benutzten.

„Bitte gründlich duschen!“, sagte er jedesmal.

Ich erinnere mich, wie meine Mutter – die wohl arm, aber von feiner Art war – ihre Nase rümpfte und ihn mit verächtlichem Blick taxierte. Dann ging für uns der Zauber los. Eintauchen in die Wunderwelt des Wassers.

Und das alles sollte zerstört sein? Der Gedanke, dass es ja inzwischen viele neue Bäder gab, ja dass sie wie Pilze aus dem Boden schossen und sich gegenseitig an Superlativen übertrafen, war mir in dem Moment ein schlechter Trost. Ich wollte genau wieder dieses Bad, in dem ich als Kind alles um mich vergessen hatte. Eine Wehmut über die Vergänglichkeit beschlich mich. Es gibt nichts Bleibendes und wenn etwas besonders schön ist, dann ist es noch viel kurzlebiger als alles andere. Besser wäre ich heut schon tot als erst morgen, stieß ich seufzend hervor. AS
Fortsetzung siehe:  'Das Bad im Grand Hotel j'
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